GALKA SCHEYER und DIE BLAUE VIER – Kandinsky, Feininger, Klee, Jawlensky

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bis zum 19. Mai 2024 im Haus am Löwenwall des Städtischen Museums Braunschweig

Galka Scheyer mit Hund Tec – im Spiegel die Filmemacherin Maya Deren, 1940 © Estate of Alexander Hammid

Diese Ausstellung ist der pure Genuss.

Allein die 150 fantastischen Gemälde und Grafiken der „BLAUEN VIER“, und die Werke von Galka Scheyer und der Braunschweiger Malergruppe, sind mehr als einen Besuch wert.

Gemälde aus der Braunschweiger Künstlergruppe um den Maler Gustav Lehmann, der auch Galka Scheyer angehörte. ca. 1905-1914 (Foto M. Brandes)

Außerdem: was hier an Kunstwerken zu sehen ist, wird es so opulent in Braunschweig wohl nicht wieder geben.

Ausstellung Galka Scheyer und Die Blaue Vier (Foto/ M. Brandes)

Die Braunschweigerin Galka Scheyer war 1924, vor 100 Jahren, gemeinsam mit den Bauhaus-Visionären Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee und dem avantgardistischen Künstler Alexej von Jawlensky, Gründerin der Künstlergruppe „DIE BLAUE VIER“ mit dem Hauptziel, die Werke dieser heute weltberühmten Ausnahmekünstler in den USA zu vermarkten.

Alexej von Jawlensky und Galka Scheyer um 1919 (Foto M. Brandes)

So wurde sie eine der ersten Kunstagent*innen und Vermittler*innen überhaupt. Sie war Pionierin und Botschafterin der Moderne und des Bauhaus in den USA. Dadurch ist sie auch ungewollt zu einer Retterin eines wichtigen Teils der kulturellen Identität Deutschlands geworden, denn ohne ihren Einsatz wären noch mehr Werke avantgardistischer Künstler von den Nazis vernichtet worden.

2 Gemälde von Galka Scheyer: ganz links und mittig (Foto M. Brandes)

Die klug konzipierten “Themeninseln“ mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten lassen die Ausstellung zu einem wunderbaren Wissens- und Reiseabenteuer werden – durch all die vergangenen Welten, in denen ein wichtiger Teil unserer kulturellen Identität entstanden ist.

Gemälde von Galka Scheyer (Foto: M. Brandes)

So vieles lässt sich hier entdecken: Texte, Fotos, Dokumente, Audiovisuelles und natürlich großartige Werke aus dem Oeuvre der Blauen Vier, die die Entwicklung der Künstler, ihre Suche nach darstellerischer Freiheit, ihre Schnittstellen zur Musik, zur Psychologie, zur Wahrnehmungstheorie mit einer überwältigender Intensität veranschaulichen.

Blick in die Ausstellung (Foto: M. Brandes)

Die Ausstellung entfärbt auch historische Vergilbungen, zeigt die Modernität und außergewöhnliche Bedeutung dieser starken, unabhängigen Frau mit ihren weltweiten Netzwerken.

Beim Betrachten der seltenen historischen Fotos, den außergewöhnlichen Dokumenten und Briefen entdeckt man auch immer wieder Zeichen der Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt Braunschweig, die ihr durch die nationalsozialistische Herrschaft gestohlen wurde.

Ein solides Frauenleben nach damaliger Vorstellung sah sicher anders aus als das Leben der 1889 geborenen Emelie Esther Scheyer (später dann “Galka”) die zusammen mit ihren Brüdern Paul (1886) und Erich (1887) in der Okerstraße 10 und dann am Löwenwall 4b aufwuchs.

Prospekt der Konservenfabrik Maseberg

Galkas Vater war der jüdische Unternehmer Leopold Scheyer. Erst Lederwaren-Händler in der Gördelinger Straße 48, kaufte er 1906 die Konservenfabrik „Maseberg“ an der Goslarschen Straße 61, wohin die Familie dann umzog.

Wie es sich für eine Tochter aus „gutem“ Hause gehörte, erhielt Emmy Klavierunterricht, besuchte bis 1905 die Städtische Höhere Mädchenschule „Kleine Burg“ und wurde dann für ein Jahr auf ein Pensionat für höhere Töchter geschickt, wo es ihr wahrscheinlich nicht gefallen hat.  

Emmy (später Galka) Scheyer in Brüssel,ca 1915 (c) Norton-Simon-Museum-The-Blue-Four-Galka-Scheyer-Collection-Archives-Pasadena-California

Zusammen mit Else Daubert, Käthe Evers, Albert Löhr, Albert Hamburger nahm sie in Braunschweig, München und Italien Malunterricht beim spätimpressionistischen Maler Gustav Lehman. In der aktuellen Ausstellung kann Besucher*in eine Auswahl ihrer Werke und auch die  sehenswerten Gemälde dieser Braunschweiger Künstlergruppe bewundern.

Blick in die Ausstellung (Foto: M. Brandes)

Einer der großen Förderer der in Braunschweig nicht besonders geschätzten Avantgardekunst war der mit Paul Klee befreundete Otto Ralfs, der 1924 die Gesellschaft der Freunde Junger Kunst gründete, die bis 1933 mehr als vierzig Ausstellungen durchführte, darunter Jawlensky, Feininger, Dix und Kokoschka.  

Lionel Feininger, Lübeck. Alte Häuser, 1931 (links) daneben Paul Klee, Architektur, 1923 (Foto M. Brandes)

Galka Scheyer arbeitet mit dem genialen Netzwerker bis 1933 immer wieder für Ausstellungen zusammen. Auch Galkas Bruder Erich und dessen Frau Margrit gehörten bis 1933 zu den wichtigsten Sammlern von Gegenwartskunst in Braunschweig. 

Galka Scheyers Netzwerk (Foto: M. Brandes)

Das Gästebuch von Otto Ralfs mit Zeichnungen, Aquarellen und Collagen der Künstler ist ein echtes Sammlungs-Juwel des Museums und einiges daraus kann man hier in der Ausstellung bewundern.

Eintrag ins Gästebuch von Otto Ralfs mit einer Zeichnung von W. Kandinsky (Foto M. Brandes)

Wohlsituierte Bürgerstöchter wie Emmy Scheyer wurden üblicherweise brave Ehefrauen und Mütter, gingen vielleicht in eine Frauen-Malklasse, wo sie dann lernten, hübsche Blumenbilder zu malen, um damit dann andere brave Ehefrauen und Mütter beim Nachmittags-Tee zu langweilen. 

Eine kluge, junge, unabhängige Frau, die sich nichts sagen ließ, die deutlich machte, dass sie keine Lust hatte zu heiraten, die allein in Europa und in der Welt herumreiste, die höchst  suspekte Leute wie moderne Maler, die seltsame Motive auf Leinwände pinselten und dafür auch noch Geld haben wollten, nicht nur kennenlernte, sondern mit ihnen auch noch befreundet war, all das war sicher eine Zumutung für ihre großbürgerliche Braunschweiger Familie. 

Werke von Alexej von Jawlensky in Greta Garbos Haus in Hollywood (Foto M. Brandes)

Nach ihrer ersten Begegnung mit Alexej von Jawlensky in Lausanne (ca. 1916), gab Emmy Scheyer spontan die Malerei auf und beschloss, sich von nun an nur noch um seine genialen Werke kümmern. Er nannte sie Galka. In Wiesbaden, wo der Künstler bald nach dem 1. Weltkrieg lebte, organisierte sie 1921 für ihn eine kommerziell sehr erfolgreiche Ausstellung.

1924 war die Zeit reif für den entscheidenden Schritt in ihrem Leben.  

Paul Klee, Die Heilige vom Innern Licht (Foto: M. Brandes)

Lionel Feininger, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky gründeten gemeinsam mit Galka die Künstlergruppe „DIE BLAUE VIER”. Galkas Aufgabe sollte es werden, das reiche Amerika für die Werke der “Blauen Vier” zu begeistern und sie zu verkaufen.

Wassily Kandinsky/ Locker-Fest, 1926 (Foto M. Brandes)

Wieder ein sehr außergewöhnlicher Schritt, ganz besonders für eine alleinstehende junge Frau.  

Im Mai 1924 kam sie in New York an und legte auch sofort los. Doch auf der einzigen Ausstellung, die sie organisieren konnte, wurde kein  Bild verkauft.

Zeitungsartikel im San Francisco Examiner v. 1. 11. 1925 (Norton Simon Museum, The Blue Four Galka Scheyer Collection

Galka gab nicht auf  – sie gab nie auf –  schrieb an Universitäten, Kulturinstitute, Museen, Kunstvereine überall in den USA, um ihre “Blauen Vier” zu promoten. Sie erhielt eine Antwort – von der kommunalen Oakland Art Gallery in der Bay-Area an der Pazifik-Küste. Dorthin fuhr sie, die Bilder ihrer Schützlinge im Gepäck. 

Wassily Kandinsky, Kühle Streifen, 1930 (Foto: M. Brandes)

Schnell hatte sie dort wieder ein Netzwerk, organisierte  Ausstellungen für die “Blauen Vier”, hielt Vorträge überall, wohin man sie einlud.  Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Kunstlehrerin auf einem teuren Mädcheninternat, gab Kindern und Jugendlichen aus prekären Verhältnissen kostenlosen Kunstunterricht.

Anfang der 1930er Jahre verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt von San Francisco nach Los Angeles. Galka hatte sich arrangiert mit Hollywood, trotz anfänglicher Vorbehalte, z.B. gegen “Gangster-Darsteller” wie Edward G. Robinson, der aber auch ein engagierter Kunstsammler war.

Werke von Wassily Kandinsky (Foto: M. Brandes)

Galka schuf sich Freundschaften mit Filmstars, wie Ingrid Bergman, Fritz Lang, Marlene Dietrich, verkaufte bei schicken Abendessen und grandiosen Parties in ihrem, vom Architekten Richard Neutra 1934 gebauten Haus in Hollywood, die Werke der „Blauen Vier„, z.B. an Greta Garbo.

Dear little Tornado (Foto: M. Brandes) – Tornad war der Spitzname von Galka

Noch zweimal, im Sommer 1928 und Oktober 1932 bis Mai 1933, sah sie ihre alte Heimat wieder (seit 1931 ist sie Bürgerin der USA).

Die Brüder durften ihr seit 1936 kein Geld mehr schicken, konnten 1939 noch in letzter Minute nach dem erpresserischen Eigentumsraub durch die sogenannte Reichsfluchtsteuer und der Enteignung aller Vermögenswerte in die USA bzw. nach Großbritannien fliehen. Ihre Mutter starb am 1941 in einem jüdischen Altersheim in Hannover.  

Der Krieg hatte im Dezember 1941 auch in den USA die Macht übernommen. Das Interesse für Kunst schwand, vor allem wahrscheinlich für moderne Kunst aus Deutschland.

1941 organisierte sie ihre letzte “Blaue Vier”-Ausstellung in Honolulu auf Hawaii. In den beiden darauf folgenden Jahren gelangen ihr nur noch zwei weitere Ausstellungen.

Die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands am 8. Mai 1945 konnte sie noch erleben. 

Am 13. Dezember desselben Jahres starb Galka Scheyer mit 56 Jahren an einer Krebserkrankung in ihrem Haus am Blue Heights Drive in den Hollywood Hills  (wo die Häuser heute acht Millionen Dollar und mehr kosten).  

Weitere Informationen auf der Website des Museums: https://www.braunschweig.de/kultur/museen/staedtisches-museum/artikelpool-temporaer/galka-scheyer-und-die-blaue-vier-kandinsky-feininger-klee-jawlensky.php

Diese Ausstelng ist die zweite dieser Art über Galka Scheyer. Der Braunschweig-Spiegel veröffentlichte Folgen über Frau Scheyer im Jahr 2012 und 2024. Dokumentarische Aufführung in Braunschweig am 14. Mai 2012 im Haus der Wissenschaft von Gilbert Holzgang und von Martin Brandes über vier Folgen mit Galka Scheyer. Folge 1, Folge 2, Folge 3 und Folge 4.

Die Installation der HBK am Anfang der Ausstellung gehört auch dazu (Foto M. Brandes)

Sehr empfehlenswert ist auch der schöne und wissenspralle Katalog – u.a. mit den klugen und beschwingten Beiträgen der Ausstellungs-Kuratorin Bianca Strauß.

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