Ein Tornado aus Braunschweig

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Galka-Scheyer, 1933 © Norton Simon Museum, The Blue Four Galka Scheyer Collection Archives, Pasadena, California

Einer jungen Frau, die Tochter eines Industriellen aus der Goslarschen Straße in Braunschweig, ist die Stadt viel zu eng. Das verspürt sie schon früh und bricht aus. Das war seinerzeit zu Beginn des 20ten Jahrhunderts höchst ungewöhnlich und nicht “schicklich”.  

Der Braunschweig-Spiegel war auf den Spuren von Emelie Esther Scheyer, dieser ungewöhnlichen und mutigen Frau aus Braunschweig, die später nur noch “Galka” genannt wurde und insbesondere in Amerika ihre Abdrücke hinterließ.  

Wir veröffentlichen diese Kurzbiografie in drei Folgen. Wir geben wertvolle Hinweise, falls weiteres Informationsbedürfnis besteht. Davon gehen wir bei dieser spannenden Frau aus. um

Botschafterin der modernen Kunst – Die Braunschweigerin Galka Scheyer in Amerika  

Braunschweig, Brüssel, Bali, Mexiko, San Francisco, Hollywood,  das sind nur ein paar der Lebensstationen des  “Kleinen Tornado” – so nennt Lionel Feininger die Künstlerin und geniale Kunst-Netzwerkerin Emmy “Galka” Scheyer.  

Ein solides Leben nach damaliger Vorstellung sieht wahrscheinlich etwas anders aus als das Leben der Emelie Esther Scheyer, später genannt “Galka”.  

Ihr Geburtsjahr 1889 (geboren wird sie 15. April), ist  ein deutsches Friedensjahr.  

Zwei (etwas) ältere Brüder, Paul, geboren 1886 und Erich, geboren 1887, hat sie schon.   

Braunschweig hat  inzwischen über 100.000 Einwohner und wird 1890 offiziell zur Großstadt.  

Deutschland ist jetzt nach England und Frankreich die drittgrößte Kolonialmacht und will noch mehr.  

Seit 1888 herrscht der mit 29 Jahren noch jugendliche Kaiser Wilhelm II.   

Im Mai 1889 besucht er das Herzogtum Braunschweig.  

Jüdische Bürger besitzen seit 1871, der Gründung des Deutschen Reiches, die vollen Bürgerrechte und unterliegen keinen formalen Einschränkungen mehr.  

Die Wirtschaft floriert.   

Fabrik Maseberg in der Goslarschen Straße

Braunschweig auch. Maschinenbau, Zuckerindustrie, optische Industrie (Rollei/Voigtländer), Musik-Instrumentenbau (Schimmel/Steinweg) – aus Braunschweig kommen Produkte, die erfolgreich sind auf der ganzen Welt.   

Ihre ersten drei Kindheitsjahre lebt Emmy in ihrem Geburtshaus in der Okerstraße 10, dann zieht die Familie um zum Löwenwall 4b.   

Braunschweig, Okerstrasse10, Geburtshaus von Emmy Scheyer. Quelle: Katrin Keßler/TU Braunschweig

Galkas Vater ist der großbürgerliche jüdische Unternehmer Leopold Scheyer. Er startet 1881 als junger Lederwaren-Händler erfolgreich ein Geschäft (Scheyer & Regensburger) in der Gördelinger Straße 48.  

1885 heiratet er in Kassel Henriette Katzenstein, die Tochter eines Uniform-Fabrikanten. 1906  kauft er schließlich die größte Brauschweiger Konservenfabrik „Maseberg“, an der Goslarschen Straße 61, wohin die Familie dann vom Löwenwall in die geräumige Villa auf dem Grundstück umzieht.  

Prospekt der Konservenfabrik Maseberg kurz vor der “Arisierung” 1936/37

Wie es sich für eine Tochter aus „gutem“ Hause gehört, erhält Emmy natürlich Klavierunterricht. Sehr wahrscheinlich bei der Musik-Pädagogin Minette Wegmann am Hagenmarkt 18.  

Sie besucht bis 1905 die Städtische Höhere Mädchenschule „Kleine Burg“ und wird dann für ein Jahr auf das Victoria-Pensionat für höhere Töchter nach Bad Homburg geschickt, wo es ihr wahrscheinlich nicht gefällt. 

Danach hofft die wilde, laute und widerspenstige Emmy, endlich frei zu sein und zu tun, was sie wirklich will: Reisen und Malen.  

Regelmäßigen Mal-Unterricht hat sie bereits seit einigen Jahren. Es ist allerdings nicht bekannt, bei welchem Braunschweiger Maler oder Malerin. Möglicherweise im Atelier von Anna Löhr an der Bammelsburger Straße 9, die auch den modernen Strömungen in der Malerei aufgeschlossen gegenübersteht.  

1907 zeigt Emmy ihr Können mit mit einem Ölbild: ein Strauß gelber Pfingstrosen. 

Emmy Scheyer Pfingstrosen, 1907 Privatsammlung, München. Das Bild ist von der Website des Scheyer-Zentrums Braunschweig entnommen.

Der geliebte Vater, der seine rebellische Tochter immer gegenüber ihrer, auf Konvention und „gute Sitten“ fixierten Mutter unterstützt hat,  stirbt 1909. Ihre Brüder übernehmen die Fabrik. Emmy erhält von nun an sehr wahrscheinlich regelmässige Zuwendungen aus dem Erbe.  

Braunschweigs Industrie – Werbe-Postkarte für die Konservenindustrie, 1904 (von Wikiwand) 

Sie ist jetzt 20 Jahre alt. Sie wird ab sofort sehr oft auf sehr langen Reisen sein, aber immer wieder auch nach Braunschweig und in die Villa zurück kommen. Dort kann sie dann die faszinierenden neue Gemälde bewundern, die ihr Bruder Erich und dessen Frau Margrit gekauft haben, denn das Ehepaar gehört bis 1933 zu den wichtigsten Sammlern von Gegenwartskunst in Braunschweig.  

Emmy wird der Sammler-Hintergrund des Bruders bei ihren Reisen und beim Knüpfen ihres Netzwerkes sicher geholfen haben und sehr wahrscheinlich war es auch für  Erich  nützlich, eine so aktive und gut vernetzte Schwester zu haben, die für ihn Kunstkäufe einfädeln kann und über neue Trends in der Kunstszene berichtet.  

Für junge Frauen zu Galka Scheyers Zeiten, also am Anfang des 20. Jahrhunderts, ist ein so unabhängiges Leben, wie es jetzt Emmy  führt, eigentlich gar nicht vorgesehen. Wohlsituierte Bürgerstöchter wie sie werden üblicherweise brave Ehefrauen und Mütter, gehen vielleicht in eine Frauen-Malklasse, wo sie dann lernen, hübsche Blumenbilder  zu malen, um damit dann andere brave Ehefrauen und Mütter beim Nachmittags-Tee zu langweilen.  

Galka Scheyer, wahrscheinlich Anfang der 1920er 
C. Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung der Familie Klee 

Eine kluge, junge, unabhängige Frau, die sich nichts sagen lässt, die deutlich macht, dass sie keine Lust hat zu heiraten, die allein in Europa und in der Welt herumreist, die höchst unmoralische, suspekte Leute wie moderne Maler, die seltsame Motive auf Leinwände pinseln und dafür auch noch Geld haben wollen, nicht nur kennenlernt, sondern  mit ihnen auch noch befreundet ist, das könnte alles vielleicht doch ein bischen viel Zumutung sein, für eine gutbürgerliche, fast schon reiche, jüdische Braunschweiger Familie.  

Aber es schaut nicht so aus. Offensichtlich gibt es eine hohe Toleranz, eine familiäre Freundlichkeit und finanzielle Unterstützung, bis ganz zuletzt, bis das Eigentum der Familie vom Staat, den die Nationalsozialisten nun beherrschen, endgültig geraubt wird. Arisierung nennt man diesen staatsverbrecherischen Raub damals.  

Galka Scheyer und Wassily Kandinsky auf der Terrasse der Henning-Villa in Berlin, 1933  © Bibliothèque Kandinsky, MNAM/CCI, Centre Pompidou – Dist. RMN-Grand Palai

Zum Glück gelingt es Erich, kurz vor dieser Enteignung durch die Nazis, aus Braunschweig noch über 50 Arbeiten, darunter Bilder von Munch, Mattisse, Kokoschka, Beckmann, Kubin, Kandinsky und anderen wichtigen Malern, vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten zu retten und zu seiner Schwester nach Hollywood zu schicken.  

Der Untergrund des Lebens von Galka war vielleicht so dünn wie die Leinwand einer ihrer geliebten Malerfreunde, aber auch genauso fest und trug sie über ihr ganzes, bewunderungswürdiges und viel zu kurzes Leben.  

Mit der sehr konventionellen, sehr auf gesellschaftliche Reputation achtenden Mutter versteht Emmy sich überhaupt nicht  gut.  Das Zusammensein mit ihr macht die junge Frau oft sogar körperlich krank – sicher ein weiterer Grund, lieber immer wieder unterwegs zu sein.  

Gleich nach dem Tod ihres Vaters geht sie 1909 zu einer wohlhabenden englischen Familie nach Oxford als Kinderfräulein „in Stellung“, macht aber gleichzeitig ein Sprachexamen an der Oxford-Universität.  

Demnächst Teil II: Galka (Emmy) und ihr künstlerischer Weg 

a) Wer möchte, kann in Braunschweig wunderbare Spaziergänge zu den Orten machen, die für Galka Scheyer, ihre Familie, ihre Freunde wichtig waren in dieser Stadt. Weitere Informationen findet man hier.

b) Es gibt die sehr gut recherchierte und informative Broschüre der “Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa” in der TU BS  in der Tourist-Info in Braunschweig. Hier kann man sich  eine eigene Kennen-Lern-Route zusammenstellen, die auch ein Rundgang durch die großartige jüdische Geschichte des Braunschweiger Bürger-Lebens ist. Viele der Informationen in diesem Artikel über Wohnsitze und das Leben von Galka in Braunschweig sind aus dieser lesenswerten Broschüre.

c) Das Galka Emmy Scheyer Zentrum in Braunschweig bietet auf seiner schön gestalteten Website viele Fotos und eine Vielzahl interessanter Informationen und Details aus ihrem Leben und freut sich über Mitarbeit und Informationen. 

d) Das Norton-Simon-Museum im kalifornischen Pasadena hat eine eigene “Blaue-Vier/Galka-Scheyer” Sammlung und bietet interessante Video-Lectures.

e) 2023  ist Braunschweig ein Galka Schleyer Jahr geplant – mit  Austellungen im Herzog-Anton-Ulrich und im Städtischen Museum.  Der Braunschweig Spiegel wird darüber natürlich weiter informieren.  

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