„Zum ewigen Frieden“

2
Prof. Dr. Heribert Prantl war 25 Jahre lang Leiter des Ressorts Innenpolitik der SZ, sodann Leiter des neugegründeten Ressorts Meinung. Acht Jahre lang war er Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seit seinem altersbedingten Ausscheiden aus diesen Ämtern zum 1. März 2019 ist er Kolumnist und Autor der SZ.

Von Heribert Prantl

Der Kanzler will eine große Rede halten, eine Festrede; er will am Montag in Berlin den dreihundertsten Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant feiern. Das überwältigende Interesse an dessen Philosophie lässt sich „mit der Sorge um den Zustand unserer Welt erklären“. So hat das der Bundespräsident vermutet, als er vor zwei Tagen im Schloss Bellevue die Ausstellung eines handschriftlichen Auszugs aus Kants Werk „Zum Ewigen Frieden“ eröffnet hat.

Zum ewigen Frieden!  Ist das ein bitterer Scherz? Eine wohlmeinende Phantasie? Eine Utopie? Eine verzweifelte Mahnung?  Man denkt an den Nahen Osten, man denkt an Putin und die Ukraine … und stöhnt. Vielleicht schmunzelt man auch verlegen, vielleicht ist man melancholisch oder, trotz alledem, hoffnungsvoll. Schon zu Kants Zeiten war es so, dass man den Titel „Zum ewigen Frieden“ mit Blick auf die Weltlage eigentlich nur ironisch oder satirisch verstehen konnte:  Den Schriftzug „Zum ewigen Frieden“ hatte damals ein holländischer Gastwirt aufs Schild an seiner Wirtshaustür geschrieben und wollte damit auf den nahegelegenen Friedhof verweisen. Gleich am Anfang seines Buchs nimmt Kant mit mutiger Ironie auf das Wirtshausschild Bezug. Aber für ihn ist die Idee vom ewigen Frieden weder eine Schnapsidee noch eine, die erst im Tod eine Chance hat. Frieden, so Kant, fällt nicht vom Himmel, er liegt nicht in der Natur des Menschen, sondern muss mit dem festen Willen, unbeirrbarer Vernunft und politischer Kraft gestiftet und bewahrt werden.

Frieden stiften – genau das ist, genau das wäre die Aufgabe heute. Wer stiftet? Wo sind die Mutigen? Es wäre eine Sensation, wenn Kanzler Olaf Scholz in seiner Festrede auf Immanuel Kant Vorschläge dafür hätte. Und ein angemessenes Geburtstagsgeschenk für den Philosophen wäre das auch.

Oma kannte Kant nicht, aber …

Meine Großmutter (ich habe in meinem Letter schon einige Male dankbar von ihr erzählt) kannte Kant nicht; sie war nicht studiert, sie war aber eine Friedensphilosophin des Alltags. Das Buch, das sie immer wieder studierte, war nicht das vom ewigen Frieden, sondern die Bibel. Sie hatte vierzehn Kinder geboren. In ihrem Zimmer stand eine große Holzkiste, darauf in Sütterlin-Schrift die Aufschrift „Der Krieg“. Darin befanden sich Briefe, die ihre Söhne und Schwiegersöhne von allen Fronten des Zweiten Weltkriegs nach Hause geschrieben hatten. Bisweilen saß sie auf dieser Kiste und erzählte vom Krieg. Was würde Großmutter heute sagen, wenn sie noch lebte? „Schreib was Bub“, würde sie sagen, „schreib was gegen den Krieg.“ Und sie würde mir dann vom Ersten Weltkrieg erzählen, davon, wie der Krieg auf einmal da war, mitten im schönsten August und wie die Menschen damals erst jubelten und dann verzweifelten.

 „Schreib was, Bub. Schreib was gegen den Krieg“. Das habe ich nun, gut zwei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, auf 240 Seiten in einem soeben erschienen Buch getan. Ich habe über Kant geschrieben und über Martin Luther King, über Gewalt und Pazifismus, über die Kraft und die Ohnmacht der Gewaltlosigkeit. „Den Frieden gewinnen“ heißt das Buch. Von all den Büchern, die ich geschrieben habe, ist es vielleicht das Wichtigste.

2 Kommentare

  1. Trotz aller Vernunft, trotz aller sozial- und politikwissenschaftlicher Analysen, trotz aller Friedensbewegungen: Unsere gewählten Regenten folgen leider den Leithammeln, die uns weiß machen wollen, dass der Weg zum Frieden nur über den Krieg gegangen werden kann, dass Regeln, die ein Teil der Welt zu eigenem Nutzen geschaffen hat – die sog. regelbasierte Ordnung – wichtiger sei als Leben selbst, dass Grenzen und Land wichtiger seien als das Leben von Menschen, die es verteidigen, ja, dass es sein muss, dass Zehntausende für Grenzen, Regeln und Mitgliedschaften in NATO, EU usw. sich opfern müssen, damit unsere Werte Leben können, Werte, die wir nicht überall zugleich allen Menschen zugestehen: siehe Gaza. Die wahren Kriegstreiber aber – der sogar. militärisch-industrielle Komplex – sitzen vor ihren Auftragsbüchern, verzeichnen den Eingang von Milliarden für Waffen und bezahlen Lobbyisten und Journalisten dafür, dass die Geschäfte weitergehen. Politik und Medien verhalten sich dabei wie im Märchen vom Wettlauf zwischen Hase und Igel und übertrumpfen sich gern. Kant hätte sich hier mit Ekel abgewandt.
    Was steht dazu nochmal im Grundgesetz? Bitte nachlesen!

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.