Ein Tornado aus Braunschweig, Teil II

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Galka Scheyer in ihrem Haus in Hollywood mit der amerikanischen Filmemacherin Maya Deren, 1940, Photograph by Alexander Hammid, © Estate of Alexander Hammid

Einer jungen Frau, die Tochter eines Industriellen aus der Goslarschen Straße in Braunschweig, ist die Stadt viel zu eng. Das verspürt sie schon früh und bricht aus. Das war seinerzeit zu Beginn des 20ten Jahrhunderts höchst ungewöhnlich und nicht “schicklich”.

Der Braunschweig-Spiegel war auf den Spuren von Emelie Esther Scheyer, dieser ungewöhnlichen und mutigen Frau aus Braunschweig, die später nur noch “Galka” genannt wurde und insbesondere in Amerika ihre Abdrücke hinterließ.  

Wir veröffentlichen diese Kurzbiografie in drei Folgen. Wir geben wertvolle Hinweise, falls weiteres Informationsbedürfnis besteht. Davon gehen wir bei dieser spannenden Frau aus. um

Teil I finden Sie hier

Galka (Emmy) und ihr künstlerischer Weg 

Aber nur die Kunst ist das, was sie wirklich interessiert. Malerin will sie werden – muss sie werden.  Sie ist immer unterwegs in den nächsten Jahren und sie ist immer unterwegs ihr ganzes Leben lang.   

In dieser ersten, befreiten und freien Phase ihres Lebens, reist sie kreuz und quer durch Europa zu den wichtigen Kunst-Museen, sie lernt Maler kennen, sie studiert deren Stil, sie lernt von ihnen – in Paris (wo sie nicht nur malt und Museen besucht, sondern auch Sprachunterricht nimmt und ein Examen ablegt), in München, in Brüssel, bei Malerei-Kursen in Viareggio und Pisa, gegeben vom aus Braunschweig stammenden Maler Gustav Lehmann  (der aber lieber in München und anderswo arbeitet). 

Emmy ist begeisterungsfähig, kommunikativ und eigensinnig – das heisst, sie hat eine eigene Meinung und die sagt sie sicherlich auch. Das ist für eine Frau in der damaligen Zeit so außergewöhnlich, wie es auch schwer zu ertragen ist für die Mehrheit der konventionell denkenden und lebenden Menschen um sie herum. Das ist Emmy offensichtlich egal.  

Sie lernt  mehr und mehr Menschen aus der Schicht kennen, die man damals Bohème nennt, also Künstler, Galeristen, Sammler, wahrscheinlich auch Kunstkritiker, Professoren und Schriftsteller. So schafft sie sich ihr Grundmuster für ihr lebenslang immer größeres und intensiveres und internationaleres Netzwerk.  

In Brüssel, zum Beispiel, besucht sie ihre Braunschweiger Schulfreundin, Hilde Heymann, die sich später, seit 1937 auf der Flucht vor den Nazis befindet und sich im amerikanischen Exil Lette Valeska nennen wird. Heymann wird als Malerin,  Bildhauerin  und vor allem als Fotografin in Hollywood  sehr erfolgreich sein. Ihre fotografischen Portraits von Filmstars wie Gregory Peck, Liz Taylor, Ingrid Bergmann und vielen anderen sind heute Ikonen der Portrait- und Star-Fotografie.  

Emmy ist jetzt auf einem guten künstlerischen Weg. Sie hat auch bereits einige Bilder erfolgreich verkauft.  Doch dann, nach ihrer ersten Begegnung mit Alexej von Jawlensky in Lausanne (wahrscheinlich 1916), gibt sie spontan die Malerei auf und will sich von nun an nur noch um seine genialen Werke kümmern.  

Alexej von Jawlensky:  Mystischer Kopf (1917) Das Modell ist Galka Scheyer 
© Norton Simon Museum, The Blue Four Galka Scheyer Collection Archives, Pasadena, California

Jawlensky, der russischen Maler und seine Lebensgefährtin Marianne von Werefkin, mussten beide 1914 innherhalb von 48 Stunden als feindliche Ausländer München verlassen. Ihren Besitz und ihre Einnahmen haben sie zurücklassen müssen. In diesem Unglück war es wahrscheinlich ein überraschender Lichtblick in ihrer  prekären finanziellen Situation, denn Galka treibt auch gleich lange offene Außenstände bei Kunsthändlern und Verlegern ein.  

In Wiesbaden, wo der Künstler bald nach dem 1. Weltkrieg lebt, organisiert Galka 1921 eine  kommerziell sehr erfolgreiche Ausstellung von Jawlensky´s Werken und tourt damit dann erfolgreich auch durch weitere deutsche Städte.  

Mit Jawlensky hat sie einen schriftlichen Vertrag und sie ist seine offizielle Agentin. Sie erhält 50% der erzielten Erlöse, muss damit aber alle entstehenden Kosten finanzieren. Galka wird zukünftig auch mit allen anderen Künstlern, die sie in dieser Zeit kennenlernt und als Agentin vertreten wird, stets klare vertragliche Absprachen treffen.  

Emmy Scheyer hat ihre Bestimmung gefunden. Sie wird zur Kunstvermittlerin,  Kunstsammlerin, Kunstagentin, Kunst-Netzwerkerin. Und sie wird zu “Galka”, der Dohle, wie Jawlensky sie nennt – wegen ihrer schwarzen Haare und wahrscheinlich auch wegen ihres ungebremsten, oft schrillen Redeflusses.  

Und bald wird sie auch zu Feiningers “kleinem Tornado” werden. Beides bleibt sie durch alle Höhen und Tiefen ihr Leben lang, mit Freude und Begeisterung.   

1924 ist die Zeit reif für den entscheidenden Schritt in ihrem Leben.   

Lionel Feininger, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky gründen gemeinsam mit Emmy, die jetzt nur noch Galka heißt,  die Künstlergruppe “Die Blaue Vier”.  Ausstellungen und natürlich Verkäufe sind Zweck und Ziel. Für beides ist Emmy Scheyer von nun an vertraglich verantwortlich. Sie erhält  dafür 30% der Verkaufserlöse, die Künstler bekommen 50%.  Die restlichen 20% kommen in die Gemeinschaftskasse und sind für die Abdeckung der Kosten vorgesehen.  

Eine Collage, bestehend aus einem Ausschnitt einer Zeitungsseite des „San Francisco Examiners“ vom 1. November 1925 
sowie fünf Fotoausschnitten darstellend (v.l.n.r.) Galka Scheyer, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Alexej Jawlensky
© Norton Simon Museum, The Blue Four Galka Scheyer Collection Archives, Pasadena, California

Deutschland in der Weimarer Republik, ist ein armes Land; bankrott durch den ersten Weltkrieg und durch die Reparationszahlungen als Folge des Versailler Vertrags.  Museen haben kaum Budgets für moderne Kunst.  Viele  potenzielle Kunstkäufer  sind verarmt durch die gerade überstandene Inflation. Die große Steuerreform des Finanzministers Erzberger von 1920 führt darüber hinaus eine Luxussteuer von 12% ein, die auch für den Verkauf und Erwerb von Gemälden gilt und die deshalb gerade jetzt, nach der überstandenen Inflation,  zu einem spürbaren Rückgang von Galerieumsätzen führt.  

Während der Inflationsjahre (ein Brot kostet im Dezember 1923: 3,2 Milliarden Reichsmark),  als nur noch Sachwerte wirklich zählen, wird zwischen Künstler und Käufer oft einfach getauscht – so kauft Galka Künstlern Bilder mit Konservendosen aus der heimischen Fabrik in der Goslarschen Straße ab. 

Dem Bauhaus in Weimar sind in diesem Jahr 1924 von der rechtsradikalen Mehrheit im Thüringischen Landtag die Mittel um 50% gekürzt worden und es ist im Grunde pleite. Damit haben Feininger, Klee und Kandinsky ein festes Einkommen verloren.   

Der Verkauf ihrer Bilder wird plötzlich noch wichtiger.  

Die USA sind ein reiches Land, ein Boom-Land, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Warum nicht auch für die moderne Kunst, wird Galka wohl gedacht haben? Jedenfalls sollte es nun Galkas Aufgabe werden, das reiche Amerika für die Werke der “Blauen Vier”  zu begeistern und ihre Werke auf dem Kunstmarkt zu verkaufen. Nach Amerika zu gehen, das ist zu dieser Zeit ein sehr außergewöhnlicher Schritt, ganz besonders für eine alleinstehende junge Frau.   

Galka Scheyer kümmert das nicht. Sie kauft sich die Schiffspassage, packt jede Menge Bilder der “Blauen Vier” zusammen und noch im selben Jahr geht sie als Repräsentantin der “Blauen Vier” in die USA.   

Praktisch im Alleingang wird  diese eigensinnige Frau dort “ihre” Künstler bekannt machen und damit auch das “Bauhaus” und seine Kunst, worüber man in den USA noch sehr wenig weiß.  

Ob sie es ahnt oder nicht, Galka wird nun die Botschafterin der Moderne und des “Bauhaus” in den USA.  

Als sie im Mai 1924 mit dem Schiff in New York ankommt, legt sie auch sofort los. Doch sie bringt in den ersten sieben Monaten nur eine einzige Ausstellung zustande, in einer Galerie auf der Madison Avenue, die aber kein einziges Bild verkauft.  

Natürlich kann es sie es nicht lassen und reist – quasi zwischendurch – zusammen mit Angelica Archipenko, der Frau von Alexander Archipenko, einem der Begründer der modernen Bilderhauerei quer durch die Vereinigten Staaten.  Das deutsch-russische Ehepaar, jetzt eingebürgerte Amerinkaner, hat die unermüdliche Netzwerkerin schon in den ersten Wochen in New York kennengelernt.  

Galka gibt natürlich nicht auf  – sie gibt nie auf – und  schreibt über 1000 Briefe an Universitäten, Kulturinstitute, Museen, Kunstvereine, überall in den USA, um ihre “Blauen Vier” zu promoten – und erhält gerade mal eine einzige Antwort – von der kommunalen Oakland Art Gallery an der Pazifik-Küste. Diese industriell geprägte Stadt liegt in der San Francisco Bay Area. Dorthin fährt sie jetzt, die Bilder ihrer Schützlinge im Gepäck.  

Demnächst Teil III: Ein Tornado aus Braunschweig, Teil III

a) Wer möchte, kann in Braunschweig wunderbare Spaziergänge zu den Orten machen, die für Galka Scheyer, ihre Familie, ihre Freunde wichtig waren in dieser Stadt. Weitere Informationen findet man hier.

b) Es gibt die sehr gut recherchierte und informative Broschüre der “Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa” in der TU BS  in der Tourist-Info in Braunschweig. Hier kann man sich  eine eigene Kennen-Lern-Route zusammenstellen, die auch ein Rundgang durch die großartige jüdische Geschichte des Braunschweiger Bürger-Lebens ist. Viele der Informationen in diesem Artikel über Wohnsitze und das Leben von Galka in Braunschweig sind aus dieser lesenswerten Broschüre.

c) Das Galka Emmy Scheyer Zentrum in Braunschweig bietet auf seiner schön gestalteten Website viele Fotos und eine Vielzahl interessanter Informationen und Details aus ihrem Leben und freut sich über Mitarbeit und Informationen. 

d) Das Norton-Simon-Museum im kalifornischen Pasadena hat eine eigene “Blaue-Vier/Galka-Scheyer” Sammlung und bietet interessante Video-Lectures.

e) 2023  ist Braunschweig ein Galka Schleyer Jahr geplant – mit  Austellungen im Herzog-Anton-Ulrich und im Städtischen Museum.  Der Braunschweig Spiegel wird darüber natürlich weiter informieren.  

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