Der lange Schatten der Leuchttürme – Teil 1

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Leuchtturm in Bremerhaven an der Kaiserschleuse (Pingelturm). Foto: Hans-Georg Dempewolf

Von Edgar Vögel

Vorbemerkung Red.: Diese Artikelserie beschäftigt sich mit dem „Intergrierten Klimaschutzkonzept (IKSK) 2.0 der Stadt Braunschweig. Eine Einführung in das Thema (eine Zusammenfassung der wichtigsten kritischen Aspekte) finden Sie hier. Wegen der Fülle des Stoffs wurde der Inhalt auf insgesamt vier Teile aufgeteilt. Hier folgt nun der erste Teil, die restlichen drei Teile werden wir in den nächsten Tagen veröffentlichen.

Teil 1: Feststellung: Ökonomie first, Klima second

1. Der Rat beschließt – die Verwaltung liefert?

Während in den Fachreferaten versucht wird, dem Ratsbeschluss gerecht zu werden, sind die Vorgesetzten in der obersten Etage überwiegend in der Gegenrichtung unterwegs; stellvertretend seien die Herren Geiger, Leuer und Dr. Kornblum genannt. Sie setzen die Zeichen.

Das geht etwa so: Zur EXPO REAL, Immobilien- und Investorenmesse, Anfang Oktober 23 in München, reiste der OB mit großem Gefolge an. 15 Partner aus der Immobilienbranche samt Wertgrund und BRAWO repräsentierten den Wirtschaftsstandort und rückten den Research Airport Brunswick ins rechte Licht. Ambitionierter Klimaschutz? Nein; kein Werbeargument in einem solchen Umfeld. Teure Leuchtturmprojekte für die Ökonomie, Dümpeln beim Klimaschutz.

2. Flächenversiegelung durch immer neue Baugebiete schreitet fort

Die Flächenversiegelung in Braunschweig wird durch immer neue Baugebiete („Baulandmodell Wohnen“) und durch das „Baulandmodell Gewerbe“ immer weiter vorangetrieben und sogar intensiviert. Für Ankauf und Bevorratung von Gewerbeflächen hat Braunschweig im letzten Jahr ein 40 Millionen-Programm auf den Weg gebracht. Der als Begründung genannte Bevölkerungszuwachs hat sich bisher stets – auch in der letzten Dekade – als Wunschdenken erwiesen (2013: 248.424, 2015: 252.768, 2022: 253.167). Dennoch soll von 2020 bis 2035 Planungsrecht für 12.200 Wohnungen geschaffen werden. Beispiele:

Im Bau: Rautheim-H.d.Löwe/Querum/Stöckheim-Süd/Nördl. Ringgebiet,II) Planung bzw. Erschließung:Mittelweg/Wenden/Holzmoor/Kälberwiese/An der Schölke/Bahnstadt/Glogaustr./Holwedestr./Wenden- West/Nördl. Ringgebiet/Rautheim-Westrand

Dazu noch einmal in aller Deutlichkeit: Flächenversiegelung ist klimaschädlich und muss, so schnell es eben geht, beendet werden. Auch wenn die Zeithorizonte unterschiedlich sind; sowohl auf Bundesebene (Koalitionsvereinbarung), als auch auf Landesebene („der Niedersächsische Weg“) ist ein Ende der Flächenversiegelung fixiert. Und Braunschweig mit seinem Vorzeige-Klimaprogramm? Das „Herzogtum Braunschweig“ gibt sich völlig losgelöst und ahnungslos.

3. Neuplanung hatte bislang stets Vorrang vor Bestandspflege

Da, wo die Stadt aus dem Bestand statt durch Neuplanung Zeichen setzen und ihre Gestaltungsmöglichkeiten nutzen könnte, tut sie bislang regelmäßig eher das Gegenteil.

Beispiel Umgestaltung des Hauptbahnhofbereichs:

Die Idee eines Konzertsaals mitten in „Viewegs Garten“, die Entgrünung des Berliner Platzes/Willy-Brandt-Platzes und der Ecken von Viewegs Garten zeigen, wozu Braunschweig fähig ist:

„Bei dem Baublock (sic!) IX handelt es sich aufgrund der zentralen Lage im Quartier, im Nahbereich des Parks und in Sichtweite des Hauptbahnhofs um einen äußerst wichtigen städtebaulichen Bereich“, so im Neusprech der städtischen Presse und dort geht es eben nach der Regel Ökonomie vor Ökologie.

Gepaart wird das zusätzlich mit 7-stöckigen, einander gegenüberstehenden Gebäuden im Bahnhofsvorbereich, die eine enge Flucht und damit einen neuen Hotspot der Stadterwärmung bilden werden. Dafür müssen 210 ältere Bäume gefällt werden. Die Neupflanzung von 260 jungen Bäumen hat eher Alibicharakter. Sie bräuchten mindestens 30 Jahre, bis sie die gefällten ökologisch ersetzen könnten. Wer künftig aus dem Bahnhof käme und Richtung Stattmitte blickt, würde von dem Park überhaupt nichts mehr sehen, dafür aber Beton satt. Alles „Leuchttürme“, die für eine klimafeindliche Stadtumgestaltung stehen.

4. Rolle der Forschung vor Ort geht beim Klima gegen null

Der Sachverstand der Forschung, auf den in der städtischen Selbstdarstellung gern Bezug genommen wird, spielt bei der lokalen Umsetzung des Klimaschutzkonzepts so gut wie keine Rolle. Der Kompetenztransfer im Bereich Klima liegt doch gerade im selbsternannten „Zentrum der forschungsintensivsten Region Deutschlands“ auf der Hand. Aber weder mögliche Beiträge des TU-Fachbereichs Architektur noch die der Geoökologie werden erkennbar einbezogen.

Dazu je ein Beispiel:

Modernes, klimaschonendes Bauen heißt heute, mit Rohstoffen und Energie schonend und nachhaltig umzugehen und Veränderungen im Bestand absoluten Vorrang vor Neubauten zu geben. Das bedeutet, es wird etwa Beton aus Abbruch wiederverwendet, statt mit hohem Energieaufwand neuen zu erzeugen. Eine Fülle interessanter Veranstaltungen des FB Architektur machte Konzepte, Alternativen und Beispiele auch einer interessierten Öffentlichkeit bekannt. Sie werden aber offenbar weder von OB noch vom Stadtbaurat als Handlungsperspektive aufgenommen.

Erst, wenn es ökonomisch gar nicht anders geht (Konzerthalle im Gewandhaus statt Leuchtturmprojekt im Park) und der Handlungsdruck durch immer mehr Leerstände in der Innenstadt zu groß wird oder wie im Fall der denkmalsgeschützten Stadthalle, lässt man sich auf die schonendere Variante Bestandsveränderungen überhaupt ein. Aber vielleicht findet da ja gerade doch ein Umdenken statt?

Für das starre Festhalten an der aberwitzigen und inzwischen völlig aus der Zeit gefallenen Vision eines interkommunalen Megagewerbegebiets, dem Lieblingsleuchtturm von OB Dr. Kornblum, gilt das mit Sicherheit nicht. Eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Fachbereich Geoökologie nahm vor vier Jahren schwerpunktmäßig die Kaltluftentstehungsgebiete am Stadtrand in den Fokus. Sie sind essentiell für das Stadtklima und dürfen auf gar keinen Fall bebaut werden. Die Leitbahnen Richtung Stadt dürfen nicht behindert werden. Einem Stadtbaurat sollte das eigentlich bekannt sein, zumal, wenn in einem Antrag des Bezirksrats Südwest an die Stadt gegen deren Bebauung aus der Untersuchung zitiert wird.

Den Antrag lehnte der Stadtbaurat dann in Bausch und Bogen ab, mit einem inhaltlichen Eingehen auf die Argumente hielt er sich gar nicht erst auf. Bei ihm haben die Argumente der Wissenschaft also keine Chance. Wissenschaftsfeindlichkeit, made in Braunschweig, ist aber das letzte, wofür wir diesen Stadtbaurat brauchen. Im vorliegenden Fall geht es um den Südwesten Braunschweigs, wo ein großes und bedeutsames Kaltluftentstehungsgebiet liegt.

Aber genau da hat die Stadt ein weiteres Leuchtturmprojekt im Köcher, das mindestens überregional, wenn nicht sogar europaweit sichtbar werden soll: Ein großes interkommunales Industrie- und Gewerbegebiet (330ha). Herr Leuer im Ausschuss für Planung und Hochbau: „Das dürfen wir uns auf gar keinen Fall aus der Hand nehmen lassen“. Das wäre dann zwar nicht nur dumm für das Gebiet und noch dümmer für das Stadtklima, sondern das definitive „Aus“ für das integrierte Klimaschutzkonzept. Klima: second.







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