Der lange Schatten der Leuchttürme

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Foto: Edgar Vögel

Von Edgar Vögel

Braunschweig: Erster Kompaktbericht zum integrierten Klimaschutzkonzept 2.0 („IKSK 2.0“) liegt vor:

Braunschweig, so wollen es Rat und Verwaltung, soll bis 2030 klimaneutral werden. Dies zu erreichen sei, wird ständig versichert, sehr ambitioniert. Eine erste Zwischenbilanz nach einem Jahr liegt seit Ende Oktober vor. An der Umsetzung von 38 stadtweiten Maßnahmen wird gearbeitet.

Im Licht: Entstehende Netzwerke und Beratungsangebote, Meetings, erste Schritte in einzelnen Bereichen, Pläne, auf den Weg gebrachte Vorhaben intern und extern, weitreichende Konzepte und Preise für die klug Planenden. Ja, es bewegt sich etwas. …

Aber Finsternis dominiert. Darüber können gefällige Worte, wie sie sich allenthalben im Kompaktbericht finden, nicht hinwegtäuschen. An quantifizierten Faktoren, die Aussagen über den Stand der Zielerreichung erlauben würden, herrscht dagegen eher Mangel. Wo sie angegeben werden, siehe Zubau Fotovoltaik, werden die Planzahlen um 50% verfehlt (Maßnahme 3.7), kaum Fortschritte bei der energetischen Gebäudesanierung im Bestand (2.2) erzielt; es wird die Gesamtzahl der PKWs in Braunschweig perspektivisch jährlich weiter steigen (auf dann über 150.000), zwei Preiserhöhungen beim ÖPNV innerhalb eines Jahres (1.1. 2023, 1.1.2024) erschweren den Umstieg dorthin zusätzlich, usw. …

Das ist sehr zu bedauern, kommt aber nicht wirklich überraschend. Dieser Beitrag geht bei der Einschätzung des Kompaktberichts und dem zugrundeliegenden Konzept von vier zentralen Feststellungen aus, die hier kurz umrissen und in weiteren Beiträgen anhand von Teilaspekten belegt und weiter ausgeführt werden.

I. Feststellung: Ökonomie first, Klima second

Kornblum macht deutlich: „Wirtschaftliche Vernunft, die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Klimaschutz müssen zusammen gedacht werden, um die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Braunschweig zu gewährleisten.“ … „Als SPD stehen wir fest zur Notwendigkeit von modernen und nachhaltigen interkommunalen Gewerbegebieten, um ganz konkret Arbeitsplätze in der Region zu schaffen“. (OB-Wahlprogramm der SPD).

Spagat oder Doppelstrategie? Nach zwei Jahren müssen wir erkennen: Ökonomische Interessen dominieren klar über den Klimaschutz – leider auch in Braunschweig. Ganz dem Zeitgeist geschuldet, ist jetzt zwar ein „moderner“ und „nachhaltiger“ Anstrich verbal Pflicht. Vorbilder aus der Realität, wie das aussähe: Fehlanzeige. Zwischen den offiziellen Bekundungen, klimaneutral werden und dabei regional Vorbildfunktion übernehmen zu wollen, wie im „Integrierten Klimaschutzkonzept 2.0“ (kurz IKSK) einerseits – und den öffentlichen Äußerungen und dem realen Handeln der politisch Verantwortlichen in Braunschweig andererseits – besteht ein eklatantes Missverhältnis, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt:

– Die klimaschädliche Flächenversiegelung durch neue Baugebiete (Baulandmodell Wohnen) geht ungebrochen weiter (Wenden, Rautheim, Kälberwiese, Nordstadt, …)- Pläne für mehr und neue Gewerbegebiete auf der Grundlage des „Braunschweiger Baulandmodells Gewerbe“ werden wie bisher bzw. verstärkt vorangetrieben. Pläne für weitere interkommunale Gewerbegebiete mit Wolfenbüttel (gescheitert) und in Scheppau (Machbarkeitsstudie in Arbeit) zeugen von der ungebrochenen Kontinuität alten Denkens und Wachstumsglaubens. Dabei ist sowohl auf Bundesebene (Koalitionsvereinbarung), als auch auf Landesebene („der Niedersächsische Weg“) längst klar, dass die klimaschädliche Flächenversiegelung endlich beendet werden muss.

Mit „modernen und nachhaltigen Gewerbegebieten“ in völligem Widerspruch zu bundesweiten klimapolitischen Setzungen? Der Sachverstand der Forschung, auf den in der Selbstdarstellung gern Bezug genommen wird, spielt bei der lokalen Umsetzung des Klimaschutzkonzepts so gut wie keine Rolle. TU? Haben wir! Wissenstransfer im Bereich Klima? Brauchen wir das als Zentrum der forschungsintensivsten Region Deutschlands denn auch noch? Weder mögliche Beiträge des Fachbereichs Architektur noch die der Geoökologie werden irgendwie einbezogen oder wenn ausnahmsweise doch, dann bestenfalls randständig („Mooswände“ an der Schlossfassade).

II. Feststellung: Paradigmenwechsel – Fehlanzeige

Der für so weitreichende und ambitionierte Klimaziele unabdingbare Paradigmenwechsel im Handeln der politisch Verantwortlichen findet nicht statt. Ein generelles Umdenken und Umsteuern mit dem Primat der Nachhaltigkeit gibt es nicht. Gesprächen mit „Fridays for Future“ signalisieren eine Offenheit, der in der Regel kaum Taten folgen, die dem Ernst der Lage angemessen wären. Bisherige Denk- und Verhaltensmuster bestehen im Wesentlichen weiter, ja werden zum Teil sogar vertieft und ausgeweitet, wie z.B. mit der ursprünglich geplanten Bebauung von Viewegs Garten mit einer Konzerthalle/Musikschule oder der weiter verfolgten Entgrünung des Bahnhofbereichs.

Anders kann das Fällen von 210 alten Bäumen gegen die Neupflanzung von 260 jungen Bäumen nicht bezeichnet werden. Mehr noch: Dazu gesellen sich erhebliche Demokratiedefizite (Bezirksratsbeschlüsse, wie im Südwesten oder zur Grü- newaldstr. werden bei Nichtgefallen in der Ebene darüber (Rat, bzw. seinen Ausschüssen) einfach kassiert, Bürgerbegehren zum Bahnübergang Grünewaldstraße vom Verwaltungsausschuss auf Betreiben der Stadtspitze für unrechtmäßig erklärt).

Auf mehreren Beteiligungsveranstaltungen durften sich die Bürger zur Umgestaltung des Bahnhofsbereichs einbringen. Für die Bebauung der Ecken von Viewegs Park sprach sich niemand aus. Macht nichts. „In jedem Fall bleibt es dabei, dass die Ecke von Viewegs Garten bebaut werden soll und an dieser Stelle Bäume weichen müssen. Dies war in den Überlegungen von Beginn an vorgesehen“, so der Stadtsprecher. Beteiligung – wohl nur ein Missverständnis? Last not least: Klimaaktivisten werden nicht als Antreiber, sondern wie Gegner behandelt, maximal ausgegrenzt und ihre Kriminalisierung betrieben („Allgemeinverfügung“ ausschließlich gegen sie).

III. Feststellung: Geburtsfehler beim IKSK 2.0

Das IKSK 2.0 weist wesentliche Geburtsfehler auf, die eine Realisierung selbst bei höchsten Anstrengungen enorm behindern. Indem Großunternehmen und die Vielzahl städtischer GmbH-Gesellschaften in das Konzept nicht einbezogen wurden, fehlen in Teilen notwendige Zugriffs- und Steuermöglichkeiten. Beim „Forschungsflughafen“, hier bezüglich des Flugbetriebs, kommt erschwerend hinzu, dass Nichtstun offensichtlich beabsichtigt und auch politisch so gewollt ist. Die dadurch anfallenden enormen CO2-Emissionen verschwinden wohl einfach, indem man sie beständig wegschweigt? Auch bei kleineren und mittleren Unternehmen in der Stadt kann nur auf freiwillige zusätzliche Beiträge gesetzt werden – ohne greifbare Erfolge bislang.

IV. Feststellung: Ohne „BS-Energy“ keine Klimaneutralität bis 2030

Durch den Ausverkauf städtischen Eigentums zur vorgeblichen Haushaltssanierung unter OB Hoffmann und der fehlenden Bereitschaft zur Korrektur durch seine Nachfolger ist der Einfluss der Stadt auf den Hauptenergieerzeuger und einzigen Fernwärmelieferanten in BS (von der Braunschweiger Versorgungs-AG, 100%, hin zu „BS-Energy“, 25,1%) zweitrangig geworden. Besonders gravierend: Ohne wesentliche Mitwirkung dieses Unternehmens kann BS keine hochgesteckten Klimaziele erreichen.

Die Zeithorizonte beider Akteure klaffen aber um mindestens 5 Jahre auseinander, die Ziele wohl auch (Altholzverbrennung als Dekarbonisierung?), mehr Fernwärme nur da, wo es sich für BS-Energy auch ordentlich rechnet. Haben wir vielleicht überhört, dass BS-Energy erklärt hat, den ihr im IKSK-Konzept zugedachten und erhofften Beitrag als wichtigstem Unternehmen im Bereich Klima auch übernehmen zu wollen?Die Braunschweiger Klimapolitik gleicht so einem Menschen, der gleichzeitig mit dem rechten Fuß Gas gibt und mit dem linken bremst.

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