Von Reinhardt Faudt
Frank-Walter Steinmeier:
„Freie Medien, möglichst viele unterschiedliche freie Medien sind die Grundlage einer lebendigen Demokratie… Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch. …“ (14.November 2014)
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/141115-rede-bm-anlaesslich-verleihung-lead-awards/266898
Die politisch-mediale Zeitenwende
Ich habe das Gefühl, in einem Albtraum zu leben: Nach jahrzehntelangem Frieden und Erfolgen der Entspannungspolitik soll Deutschland plötzlich wieder „kriegstüchtig“ werden. Bin ich in den letzten Jahren irgendwo „falsch abgebogen“? Als jahrelanger Leser von SPIEGEL, ZEIT, Süddeutscher Zeitung, FAZ, TAZ usw. befinde ich mich in einer politischen und medialen „Zeitenwende“, die mir von allen Seiten einflüstern will, dass mein Glaube an zivile Formen der Konfliktbewältigung, an Entspannungspolitik, an Wandel durch Annäherung und Verständigung naiv gewesen sei, einen schwerwiegenden Denkfehler enthalte, sogar Kriege erst wieder möglich gemacht habe!
Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine und dem Krieg in Gaza hat sich die Berichterstattung unserer Leitmedien zu Krieg und Frieden verwandelt in eine einhellig polarisierende auf Freund-Feind-Schemata reduzierte und gut orchestrierte mediale Empörungswelle, die die Bevölkerung auf Kriegstüchtigkeit einstimmen soll. Sie erscheint mir als gelenktes mediales Orchester, das allerdings keinen Dirigenten hat, sondern derer viele, z.B. die Transatlantiker mit ihren elitären Zirkeln, die Netzwerke der Chefredakteure und Verlagsmanager der großen Leitmedien, die vielen Thinktanks rund um die NATO und die als Sicherheitsexperten getarnten Rüstungslobbyisten und gewissenlose PolitikerInnen in den Parteien, neuerdings besonders bei den grünen und liberalen Bellizisten. Alle folgen diesem Mainstream, kritische Analysen und Hintergrundrecherchen sind passé.
Jetzt soll Haltung gezeigt werden:
Wie stehst du zu Israel? Hast du dich klar genug distanziert von allen Spielarten des Antisemitismus? Auch des linken? Wie konsequent bist du bei der Verurteilung des russischen Angriffskriegs? Wie konsequent bei der Unterstützung der Ukraine? Träumst du etwa noch vom „ewigen Frieden“ (Immanuel Kant)?
Wie konnte es so weit kommen? Wer zu den älteren BürgerInnen gehört, wird sich vielleicht an den Satz des preisgekrönten Journalisten und ehemaligen Moderators der Tagesthemen Hanns Joachim Friederichs erinnern, ein guter Journalist mache sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer vermeintlich guten. Nun gilt die Aufrüstung und Kriegsfähigkeit wieder als gut – überall schallt mir das gleiche Echo entgegen: Die Zeitenwende ist da! Aufwachen! Kehrt Marsch, ihr Lumpenpazifisten, Entspannungsträumer!
Kritik der Medienwissenschaft
Wer sich über diese Entwicklung der Medien informieren will, dem sei einerseits die medienwissenschaftliche Studie von Uwe Krüger empfohlen, “Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse.“ Köln 2019, sowie sein Buch „Mainstream, Warum wir den Medien nicht mehr trauen“, München 2016. Zum anderen hat sich weitgehend unbeobachtet von den Leitmedien eine Branche entwickelt, die unter der Bezeichnung „cognitive warfare“ moderne und alt bewährte Propagandatechniken als „neue Waffengattung“ der NATO (!) entwickelt hat und massiv Einfluss auf die mediale Berichterstattung nimmt. Hierzu hat der Propagandaforscher Dr. Jonas Tögel eine analytische Darstellung verfasst unter dem Titel „Kognitive Kriegsführung“, Westendverlag, Neu-Isenburg 2023.
Geht die „politische Willensbildung“ noch „vom Volk aus“, wie unser Grundgesetz schreibt?
Glücklicherweise gilt in der Demokratie, dass ihr Funktionieren davon abhängt, wie sie mit Minderheitenmeinungen umgeht, wie offen sie für eine vielfältige Meinungsbildung und für kritische Stimmen ist. Unserem Grundgesetz zufolge geht die politische Willensbildung vom Volk aus (die Breite der Gesellschaft) und wird in Wahlen und Abstimmungen wirksam. Wenn ich das Presse-Echo der letzten Jahre anschaue, habe ich eher den Eindruck, die Meinungsbildung geht eher von den Partei- und Regierungsspitzen und den Medien als ihrem Sprachrohr gleichermaßen aus (der politischen und medialen Führungselite). Ob ich die ZEIT, den SPIEGEL, die WELT, FAZ, Süddeutsche Zeitung o.a. Leitmedien lese oder ARD oder ZDF schaue, überall erfahre ich das Gleiche: Die Entspannungspolitiker der SPD waren naiv, wir waren alle vom Frieden verwöhnt und müssen nun lernen, wieder kriegstüchtig zu werden: Ohne (militärische!) Sicherheit sei alles nichts! Dabei sagen aktuell 51% der Menschen bei uns in Umfragen, dass ihnen die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine nicht weit genug gingen, 41% gehen die Waffenlieferungen in die Ukraine sogar zu weit. Das mediale Echo nimmt diese Meldungen zwar auf und berichtet sie, aber im Kontext einer durch Kommentare und meinungsleitende Überschriften eingerahmten regierungsfreundlichen Belehrung – wir BürgerInnen haben halt Bedarf an Nachhilfe – besonders im Osten. Nicht nur durch Kommentare üben die Medien ihren politischen Einfluss aus, sondern „auch durch die Auswahl, die Platzierung, den Umfang und das Framing von Themen“ (Krüger, Meinungsmacht, S.108). Framing ist zu verstehen als manipulatives „Einrahmen“ eines Ereignisses in einen wertegebundenen Kontext.
Statt Friedenspolitik gilt nun Sicherheitspolitik: Hier klafft eine große Lücke zwischen Überzeugungen der Elitenetzwerke und der Bevölkerung
Als 2010 der damalige Bundespräsident Horst Köhler die Notwendigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit unseren wirtschaftlichen Interessen begründete, gab es noch einen medialen Sturm der Entrüstung: 53% der BürgerInnen hatten 2008 dazu eine ablehnende Haltung. Eine klare Mehrheit der deutschen Führungskräfte (72%) sprachen sich dagegen bereits Ende der 90er Jahre für Auslandseinsätze der Bundeswehr aus, jedoch nur 22% der Bevölkerung. (Krüger, Mainstream,S.152f.) Betrachtet man die Berichterstattung und Kommentare der Leitmedien seit jener Zeit, muss man feststellen, dass diese im wesentlichen die Elitenüberzeugung transportiert haben, oft mit einem belehrenden Unterton. Besonders die militärische Aufrüstung wurde von den Leitmedien gefordert, ein erweiterter Sicherheitsbegriff (Schutz von Handelswegen, Verteidigung westlicher Werte u.a.) wurde propagiert, die ablehnende Haltung der Bevölkerung nicht oder nur ablehnend-kritisch erwähnt, die Vorzüge und Geschlossenheit der NATO dargestellt.
Zweiter Teil folgt:
Wie kann es sein, dass in einer grundgesetzlich verbrieften Medienlandschaft so eine Gleichförmigkeit der Meinungsbildung entsteht?