Späte Ehrung eines ‚eingreifenden Juristen‘

0

Coronabedingt konnte der ehemalige Richter am Oberlandesgericht zu Braunschweig, Dr. Helmut Kramer, nicht zu seinem 90. Geburtstag, am 30. März 2020, sondern erst vom 19. bis 21. November 2021 im Rahmen eines Symposiums geehrt werden. Es erschien über diesen ungewöhnlichen und kämpferischen Juristen ein Symposiumsband, auf den der Braunschweig-Spiegel hinwies.

Der Jurist Hans-Ernst Böttcher, schrieb über Helmut Kramer eine Würdigung, die der B-S in Beziehung zum Symposium hier veröffentlicht. (um)

Von Hans-Ernst Böttcher

Der 1930 geborene Dr. Helmut Kramer stammt aus Helmstedt und lebt heute in Wolfenbüttel. Er war nach seinem Studium der Rechtswissenschaften (mit rechtshistorischem Schwerpunkt) Zeit seines Berufslebens Richter, zuletzt am OLG Braunschweig, allerdings mit zahlreichen Abordnungen; u.a. war er von 1985 bis 1990 Vertretungsprofessor an der Universität Bremen und danach bis zum „Ruhestand“ 1995 im Niedersächsische Justizministerium. Dort konnte er sich dienstlich mit dem befassen, was er als seine Berufung und seinen besonderen Auftrag ansah und ansieht: Er ging den Gründen des Niederganges der Rechtskultur in Deutschland insbesondere in den Jahren 1933 bis 1945 nach und hier vor allem: den Juristen als Tätern und ihrem Wirken in der Nachkriegsjustiz. In diesem Zusammenhang ist auch sein von Erfolg gekröntes Eintreten für die Erhaltung der Hinrichtungsstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel zu nennen, in der bis 1945 politische Gefangene und vor allem Widerstandskämpfer aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten in Frankreich und Belgien inhaftiert waren und in der viele Gefangene mit der Guillotine justizförmlich zu Tode gebracht wurden.

Helmut Kramer ist der Lehrer und Inspirator vieler Juristen und Historiker der jüngeren Generationen, mit denen er im Sinne öffentlicher, demokratischer Wissenschaft sein immenses Wissen und den Inhalt seiner wohl einmaligen Dokumentation geteilt hat. Diese ist in seinem geräumigen Wolfenbütteler Haus zu finden – und er nach wie vor arbeitend mittendrin! Es ist zu hoffen, dass das einmalige Dokumentations- und Forschungszentrum eines Tages in ein umfassendes justizbezogenes Institut eingeht und der zukünftigen Justizforschung zum 20. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt 1933 bis 1945 zu Gute kommt… und damit auch der Verwirklichung des Auftrages aus der Neufassung des § 5a des Deutschen Richtergesetzes, der den jungen Jurist*innen aufgibt, sich mit der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte auseinanderzusetzen und Kenntnisse hierüber zu haben.

In ähnlicher Absicht hat Kramer auch mit einer großen Zahl von politischen und wissenschaftlichen Freunden und Kollegen 1998 das Forum Justizgeschichte (Vereinigung zur Erforschung und Darstellung der deutschen Rechts- und Justizgeschichte) gegründet ( www.forum-justizgeschichte.de).

Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen Helmut Kramers sollen hier drei benannt sein:

1984 brachte er Licht in das Dunkel um die Mitwirkung der Spitzen der Justiz im Deutschen Reich an der Ermordung Geisteskranker mit seinem Aufsatz in der Kritischen Justiz (KJ) 1984, S. 25 – 43, „Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte als Gehilfen der NS->>Euthanasie<<. Sie wurden auf einer Konferenz am 23./24. April 1941 darauf eingeschworen, gegen die Täter und Helfer der Mordaktion T 4 (1) nicht zu ermitteln bzw. die Taten der kriminellen Vereinigung hinzunehmen.

Dem steht als Gegenbild Helmut Kramers Schilderung von Leben und Werk Lothar Kreyssigs (2) gegenüber: Der Amtsrichter (3) in Brandenburg an der Havel Lothar Kreyssig widersetzte sich als Vormundschaftsrichter den Mordplänen.

Schließlich Kramers Lebensbeschreibung und kritische Würdigung des Bundesverfassungsrichters Willi Geiger (4), dem nicht nur – in herausragender Weise – das gelang, was geradezu ein Charakteristikum der Justiz in der Nachkriegszeit in Westdeutschland und dann in der Bundesrepublik Deutschland war: dass er nämlich als ehemaliger belasteter Angehöriger der NS-Justiz seine Karriere fortsetzte und krönte; sondern es gelingt Kramer darüber hinaus, inhaltliche Kontinuitätslinien zu zeigen, etwa bei der von Geiger als Berichterstatter vorbereiteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Zugang zum öffentlichen Dienst (5).

Kramer, der in der SPD und ihrer Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ), daneben aber auch in der Gewerkschaft ver.di (früher: ötv) tätig war und/oder ist gehörte auch der Redaktion der Zeitschrift „ötv in der Rechtspflege“ und später (bis 2015) „verdikt“ an.

Von allem und Vielem mehr hat ein Kolloquium im vergangenen November in Braunschweig gehandelt – mehrfach verschoben und daher mit eineinhalb Jahren Verspätung zu seinem 90. Geburtstag am 30. 3. 2020. Hierüber ist gerade eine Dokumentation erschienen: Gerd Hankel u.a., Helmut Kramer – Richter Mahner Streiter, Ossietzky Verlag, Dähre. Sie enthält die Referate der Tagung und ein vollständiges Schriftenverzeichnis des produktiven Jubilars.

Helmut Kramer hat für ein demokratisches Rechtswesen in der Bundesrepublik Deutschland mehr getan und bewirkt als so mancher Bundesrichter und Hochschullehrer.

Anmerkung zum Autor:

Hans-Ernst Böttcher (geb. 1944) ist Präsident des Landgerichts i.R. und lebt in Lübeck. Er gehörte zu den Organisatoren des Kolloquiums für Helmut Kramer und ist Mitherausgeber der Dokumentation hierüber.

1 Nach dem Sitz der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin

2 Helmut Kramer, Lothar Kreyssig (1898 – 1986) – Richter und Christ im Widerstand, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen – eine andere Tradition, Bd. I, Baden-Baden (Nomos) 1988, S. 342 – 354

3 Und spätere Gründer der Aktion Sühnezeichen

4 Helmut Kramer, Prof. Dr. Willi Geiger, Vom Antisemiten und Staatsanwalt am NS-Sondergericht zum Richter am Bundesverfassungsgericht, in: Wolfgang Proske (Hrsg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Bd. 7: NS-Belastete aus Nordbaden + Nordschwarzwald, Gerstetten (Kugelberg Verlag) 2017, S. 85 – 124

5 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. 5. 1975, in der Sammlung der Entscheidungen des Gerichts Band 39, S. 334 ff (üblicherweise abgekürzt: BVerfGE 39, 334), sog. Extremistenbeschluss oder Radikalenbeschluss; je nach Standpunkt auch: Berufsverbote- oder „Berufsverbote“-Beschluss

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.