Niederlage der NATO in Afghanistan – „Schwamm drüber“?

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Afghanistan Foto: David Mark auf Pixabay

Andreas Matthies hat den Artikel von Michael von der Schulenburg, der in englisch erschienen ist, in seinen wesentlichen Gedanken zusammengefasst:

Niederlage der NATO in Afghanistan – „Schwamm drüber“? Die Kritik des Diplomaten von der Schulenburg.

Für viele Mitbürger ist zur Zeit das internationale Geschehen weit weg. Dabei ist es für unsere Zukunft von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dass der Klimawandel uns auf Dauer vor wachsende Probleme stellen wird, wird vielen Menschen immer klarer. Da sich aber aus internationalen Konflikten sehr schnell eine existenzielle Bedrohung entwickeln kann, die alles in Frage stellt, gibt es gute Gründe, auch dieses Feld im Blick zu behalten.

Der Diplomat Michael von der Schulenburg, mehr als 30 Jahre in Diensten der UNO, hat eine besondere Beziehung zu Afghanistan. Er kennt das Land und weiß seine Bewohner zu schätzen. In einem Artikel im Online-Magazin „Wall Street International Magazine“ beleuchtet er nun die Bedeutung des Abzugs der Truppen der NATO-Länder aus Afghanistan. Dabei kommt er zu einer weitreichenden Bewertung und zu Überlegungen, zu denen fast alle deutschen Medien nicht in der Lage zu sein scheinen.

Niederlage der größten Militärkoalition seit dem zweiten Weltkrieg gegen 60 000 Taliban-Kämpfer

1989 zog die Sowjetunion nach zehn Jahren der Besatzung ihre Truppen aus dem schon damals böse geschundenen Afghanistan ab. Nun tun die NATO – Staaten nach zwanzig Jahren dasselbe. Auch sie haben die von ihnen verkündeten Ziele in der Hauptsache verfehlt; nun gefährden sie durch den überstürzten Abzug sogar einige erreichte Verbesserungen.

Was haben die USA und ihre Verbündeten nicht alles aufgeboten? Sie schmiedeten mit zeitweise 54 beteiligten Ländern die größte Militärkoalition seit dem zweiten Weltkrieg,

sie setzten – jedenfalls teilweise – die modernste Militärausrüstung ein, verfügten über die absolute Lufthoheit und steckten insgesamt nach Schätzung Schulenburgs mehr als 4 Billionen Dollar in den Krieg – das Doppelte des jährlichen Sozialprodukts ganz Afrikas!

Ihre Gegner, die Taliban, verfügten über etwa 60 000 nicht besonders gut bewaffnete Kämpfer. Und trotzdem offenbaren die westlichen Staaten nun mit dem Abzug ihre Niederlage.

Chaos und Anarchie in Afghanistan nun sehr wahrscheinlich

Sie hinterlassen ein Land, das mit großer Wahrscheinlichkeit in Anarchie und Chaos versinken wird. Die sowieso schon schwache afghanische Regierung wurde durch das Abkommen der USA mit den Taliban, das über den Kopf dieser Regierung hinweg vor einem Jahr ausgehandelt wurde, weiter geschwächt. Und anstatt den Truppenabzug von einer Vereinbarung zum Frieden in Afghanistan abhängig zu machen, hat auch der neue Präsident der USA nur das Ziel, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Die Taliban brauchen also nur abzuwarten und sehen überhaupt keinen Grund, sich auf Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung einzulassen.

Das Land hat 200 000 weitere Tote zu beklagen, es kann die eigene Bevölkerung nicht aus eigener Kraft ernähren, es gibt dort mehr Kämpfer und mehr Waffen als je zuvor, sogar Gruppen wie der Islamische Staat haben inzwischen Fuß gefasst und machen den Taliban Konkurrenz, und es gibt – anders als vor der Intervention im Jahr 2001 – sogar eine wachsende Zahl von Opiumabhängigen.

Wer ist dafür verantwortlich, wenn nicht wir?“ (von der Schulenburg)

Wenn man zwanzig Jahre lang faktisch die Macht in einem Land ausübt und dann plötzlich dem Land den Rücken kehrt, obwohl man die Folgen absehen kann, ist das unverantwortlich. Wenn man dann auch noch so tut, als sei nichts Wichtiges passiert, versucht man auch noch vom eigenen Versagen abzulenken. Das Dumme daran ist, dass die Weigerung, aus „Fehlern“ zu lernen, die westlichen Staaten dazu verdammt, diese weiter zu begehen – dann eben in Mali, gegenüber Russland oder China.

Schulenburg meint, die USA und der Westen müssten endlich begreifen, dass die Ära zu Ende sei, in der es der Westen für seine Mission hielt, die Welt als eine Kraft des Guten zu regieren; und in der er es für sein Recht hielt, „unser politisches System anderen Ländern aufzudrängen“, auch mit militärischer Gewalt. Anstatt sich weiter moralisch überlegen und über jede Kritik erhaben zu fühlen, sollten drei Dinge nüchtern geklärt werden:

1. Welche Rolle können wir (also der Westen, A.M.) in Zukunft in der Welt einnehmen, die wir nicht länger dominieren?

2. Wie sollen wir mit Ländern umgehen, die andere politische Systeme haben?

3. Wie können wir die Prinzipien unserer liberalen Demokratie in einer sich verändernden Welt schützen?

Selbst noch im Rückzug: USA entscheiden allein, die „Partner“ folgen

Und Deutschland und EU-Europa? Prüfen sie wenigstens jetzt, welche Auswirkungen es hatte, dass man den USA kritiklos gefolgt ist? Überdenken sie das Ziel, auch mit dem Mittel des Militärs „in der Welt mitzureden“? Leider ist nichts davon zu sehen, nicht einmal ansatzweise. Und unsere Medien machen es den betreffenden Politikern sehr einfach, weil sie – bis auf wenige Ausnahmen – nicht den Finger in die Wunde legen und die schonungslose Überprüfung der eigenen Politik fordern.

Aber ein Desaster, vor dem man die Augen schließt, ist damit leider nicht aus der Welt zu schaffen. Es droht nur noch schlimmer zu werden.

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