Michael Lüders, Journalist, erfolgreicher Buchautor und Berater ist als sachlicher, sehr gut informierter und klug abwägender Zeitgenosse bekannt. Er hat das auch in mehreren in Braunschweig gehalten Vorträgen gezeigt. Nun hat er sich zum Thema Ukraine – Krieg zu Wort gemeldet: „Der Krieg in der Ukraine: Die wirtschaftlichen Folgen – und wie ihn beenden?“ (auf Youtube)
Er lässt keinen Zweifel daran, dass der russische Angriffskrieg und das Leid, das er verursacht, zu verurteilen sind. Damit ist für ihn aber noch nicht alles gesagt. Im Gegenteil: er warnt vor einer Politik, die sich aus einer berechtigten Wut und Empörung über das russische Vorgehen heraus zu riskanten politischen und wirtschaftlichen Schritten hinreißen lässt. Man könnte seine Position zusammenfassen in dem bekannten Satz: „Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht“.
Im Hauptteil seines Vortrages betrachtet er den wirtschaftlichen Bereich. Bei einem – von der EU ins Auge gefassten – Ölboykott gegenüber Russland befürchtet er nicht nur eine krasse Selbstschädigung der Staaten, die die Sanktion aussprechen würden. Er nennt auch gute Gründe dafür, dass dieser Boykott Russland sogar noch nutzen könnte, also sein Ziel verfehlen würde. Was den ebenfalls geplanten, zeitlich etwas verzögerten Gas – Boykott angeht, ist Lüders noch pessimistischer. Er bringt Argumente, die dagegen sprechen, dass sich das russische Gas vollständig ersetzen ließe; schon bisher habe Minister Habeck keineswegs den behaupteten Erfolg in Qatar erzielt. Und er stellt die Folgen einer Politik, die an diesen geplanten Maßnahmen dennoch festhält, ohne vorher über die Folgen gründlich nachzudenken, drastisch, aber leider gut begründet dar: das brächte jedenfalls für Deutschland dem „größten wirtschaftlichen Schaden“. Zumindest für einen Teil der deutschen Bevölkerung könne sich dann die Frage stellen: „heizen oder essen?“ Wer derart unbedacht vorgehe, könne dadurch Kettenreaktionen auslösen, die auch andere Teile der Weltbevölkerung stark in Mitleidenschaft zögen.
Im letzten Drittel geht Lüders der Frage nach, wie der Krieg beendet werden könne. Seine Prognose für die nahe Zukunft ist nach eigenen Worten „düster“ (der Generalsstabschef der USA Milley spreche davon, dass der Krieg sich „mindestens noch Jahre“ hinziehen werde). Lüders Informationen und Einschätzungen helfen allerdings, besser zu verstehen, von welchen Faktoren eine Beendigung des Krieges abhängen wird. Wer sich die 42 Minuten des Vortrages anschaut, wird hinterher nicht das Gefühl haben, seine Zeit vertan zu haben.
Der Vortrag von Michael Lüders gibt ausgesprochen kompakt einen Überblick über die wirtschaftliche Lage und die möglichen Folgen für Deutschland. Sehr zu empfehlen!
Naja … vor allem vertun diejenigen nicht ihre Zeit, die unten am Boden die (stilisiert angedeutete) Bombe seit zweieinhalb Monaten in ihren Häusern auf die Köpfe bekommen.
Aus dem Salon heraus lässt es sich gut diskutieren.
Was dabei auf der Strecke bleibt sind Empathie und Solidarität mit den Überfallenen und Geschundenen – hier mal, damit wir nicht vergessen, worum es geht:
– Zig-Tausende getötete Zivilisten in völlig zerbombten Städten und Dörfern, Krankenhäusern, Schulen, Infrastruktur, ein Vernichtungskrieg – Kriegsverbrechen, Menschenrechtsbrüche,
– Millionen Geflüchtete innerhalb der Ukraine und in den Nachbarländern – ebenfalls mindestens Brüche des Menschenrechts,
– Verschleppung von Hundertausenden – Kriegsverbrechen,
– Plünderungen und Vergewaltigungen von Frauen – auch Kriegsverbrechen,
– Verletzung der territorialen Unverletzbarbeit, sowie des Luftraums – ein Völkerrechtsbruch, auch nunmehr mehrfach von der UN festgestellt bzw. verurteilt,
– Bruch des Garantieabkommens (sog. Budapester Manifest von 1994) worin vor allem auch Russland die Unverletzlichkeit der Grenzen des Nachbarlandes versprochen hat – Bruch internationalem Rechts – https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum
Mal dazu ne Frage ganz nebenbei: sollte jemals ein Land nochmals auf Sicherheits-Garantien wie 1994 vertrauen?
Jetzt braucht man eigentlich nur noch den Spiegelstrichen das jeweils betroffene Land hinzuzufügen …
Mein Gott, das kann doch so schwer nicht sein mit S O L I D A R I T Ä T – gerade auch von den Angehörigen der Generation, die das mit Stichwort „Vietnam-Krieg“ gelernt haben sollte.
P.S.
– natürlich muss sich ein Land um seine eigene Lufthoheit und die Unverletzlichkeit seiner Grenzen kümmern, wenn es die Garantiemächte versäumt haben oder sogar aktiv die Garantieverträge gebrochen haben. Dafür braucht man dann Flugzeuge, Panzer, Drohnen etc., oder?
– Zur Einschätzung von Öl- oder GasEmbargo teile ich völlig die Hinweise von Lüders, dass jede Änderung und sogar schon die Ankündigung von Änderungen am Markt seitens der Konzerne genutzt wird für Preiserhöhungen …
– bedenklich und völlig überflüssig sind dagegen Zuordnungen von Adjektiven wie „aggressiv“ oder „moralin“ in Richtung der Überfallenen, statt in Richtung des Kriegsverbrechers.
Noch eine verspätete Antwort, aber leider ist sie notwendig (C.M.):
Empathie mit den bereits Getöteten macht sich immer gut…
Deshalb soll der Krieg ja beendet werden, oder vielleicht doch nicht ??
Wer Waffen in die Ukraine liefert, macht überwiegend einen Frieden davon abhängig, dass die westliche Position aufgrund der gestärkten Kampfkraft sich (hoffentlich?) zu den eigenen Gunsten wendet – das kann aber dauern… oder völlig schiefgehen!
Die künftig mit absoluter Sicherheit getöteten oder verletzten Opfer spielen entgegen aller Beteuerungen schlicht keine Rolle für den Beschluss, Waffen zu liefern. Sie sind gleichgültig. Es geht um andere Dinge.
Die mögliche (bzw. fast sichere) Ausweitung des (noch) relativ begrenzten Krieges interessioert die Waffenlieferanten nicht,
es sei denn als Profitquelle, schliesslich geht es um einen Sieg für die vermeintlich in ihrer Souveränität angegriffene Ukraine.
Wenn der angeblich souveräne Ukrainische Staat es jedoch wagt, eigenmächtig Friedensverhandlungen mit Russland zu führen, und dann auch noch (am 29.3.22 in der Türkei) erste Ergebnisse präsentiert, passt es den westlichen Staaten schon weniger ins Konzept.
Daraufhin flog u.a. Boris Johnson persönlich nach Kiew, um der Ukrainischen Führung mitzuteilen, so ginge es nun gar nicht!
Seitdem wird ganz brav nichts mehr verhandelt!
Mein Fazit – das Unterbinden von Friedensbemühungen der Kriegsparteien sichert dem Westen die Möglichkeit, der Ukraine nicht bezahlbare Waffen für den nicht gewinnbaren Stellvertreterkrieg auf Kosten ukrainischer Menschenleben zu liefern.
Die Ukraine wird schlicht für die weltweite Vormachtstellung
der USA verheizt – das wird in anderen Teilen der Welt wesentlich offener kommuniziert, selbst in den USA!
Hier zeigt sich der alles dominierende miltärisch-industrielle Aspekt des Krieges.
Die kapitalistischen Führungsmächte versuchen, den Zusammenbruch ihres überdehnten (Finanz-)Systems noch etwas hinauszuzögern.
Wer über die Motive des Krieges mehr wissen will, muss auf die Strategien neofeudalen Finanz-Oligarchien schauen, dort findet man mehr Wahrheiten, als in der aktuellen Propaganda.
C.M.
Naja – mit den „neo-feudalen Finanz-Oligarchen“ könntest Du recht haben,
die haben jetzt auch noch die Weizen-Ernten für ihre Kriegs- und Raubzüge entdeckt … aber wie sagte schon der heilige Augustinus um 400 n.Chr.:
„Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ (*)
Die Menschen kämpfen vielerorts um das nackte Überleben – denn es sind ja vor allem zivile Ziele, wie Kliniken (Hunderte bzw. ALLE), ebenso die Schulen, Universitäten, Bahnhöfe und Wohnhäuser, Kraftwerke – eigentlich nicht so schwer zu verstehen, was verbrannte Erde bedeutet, Empathie zu bezeugen, oder?
Zumal wir uns an den Vietnamkrieg erinnern könnten, wo auch als Ziel galt, Land und Menschen in die Steinzeit zurückzubomben – Haben wir das schon vergessen?
Wie ignorant muss man sein, um den Überfallenen mit „gut-gemeinten“ Ratschlägen zu kommen?
Nein, die Menschen brauchen das nicht – Was sie brauchen ist SOLIDARITÄT.
Mache Dir einen Vorschlag –
komm einfach mal samstags auf den Kohlmarkt, da sind viele Geflüchtete.
Die berichten als (noch mal) Davongekommene von ihren zerbombten Wohnungen, von toten Anghörigen, Freunden, Kindern – von Plünderungen, Erschießungen, Vergewaltigungen.
(*) ziemlich treffende Beschreibung des aktuellen russischen Staatswesens …
Bleib doch einfach bei dem Thema,
auf das sich mein Widerspruch im Kern richtet:
Frieden schaffen mit noch mehr Waffen
ist nicht so mein Ding – und vor allem unglaubwürdig.
Das Flüchtlingsthema war mir nie fremd.
Ich habe das „Refugium“ in den ersten Jahren mit aufgebaut und kenne die typischen Traumata von Flüchtlingen. Man sollte deren Erfahrungen mit Respekt begegnen.
Mich befremdet der medial gelenkte, marktschreierische, vereinnahmende öffentliche Umgang mit zivilen ukrainischen Opfern, um die Kriegshandlungen des Westens zu legitimieren und auszuweiten, denn das ist die Wirkung der unablässigen Emotionalisierung und Stimmungsmache.
Eine derartige politische Selbstdarstellung gegenüber Kriegsopfern und Flüchtlingen instrumentalisiert sie und bewirkt noch lange nicht die Fähigkeit, eine deeskalierende Zielsetzung zur Beendigung des Krieges zu entwickeln…
Ich würde eher sagen: Im Gegenteil.
Zumal die Mehrheitsmeinung ebenso erdrückend wie undifferenziert daherkommt und sich keineswegs von der Idee, unbedingt Krieg gegen Russland unter Einbeziehung des gesamten Westens bis zum bitteren Ende zu führen, abbringen lässt.
Der Vorwurf der Ignoranz scheint mir daher eher einer Projektion entsprungen zu sein.
Nahezu niemand hatte sich aufgeregt, als die ukrainisch-russischen Friedensbemühungen und das gemeinsam in Istanbul ausgehandelte Papier für unerwünscht erklärt wurden (v.a. durch die USA und GB); so bleibt nur das von den USA seit 2015 unverhohlen erklärte Kriegsziel (Rice, Friedman) als Handlungsoption für die Ukraine übrig:
Russland durch einen lange andauernden Krieg maximal zu schaden, um geopolitische Interessen der USA voranzutreiben.
Diesen Zweck erfüllen die Waffenlieferungen, die du uns als solidarische Gabe an die Ukraine anzupreisen versuchst.
Für den „grossen Bruder“ USA müssten im undiplomatischsten Fall möglicherweise noch hunderttausende ukrainische Soldaten sterben.
In dem Fall würden vermutlich nach wie vor viele ukrainische Zivilisten getötet, aber vor allem deshalb, weil die ukrainische Armee die eigene Bevölkerung von Beginn an mit Hilfe von Stellungen in Wohnvierteln oder z.B. Krankenhäusern als menschliche Schutzschilde missbraucht hat.
Die USA waren da nie zimperlich und haben diese Art der Kriegsführung sicher gezielt mit Hilfe ihrer Ausbilder trainiert;
(souveräne Entscheidungen der Ukraine über Kriegsführung
– ja/nein/wie – sind derzeit dank konsequenter westlicher Einmischungen weniger denn je zu erwarten (siehe oben).)
Denk einfach mal an diese, zum Verheizen bestimmten Menschen, während du von Empathie und Solidarität sprichst.
Das sind die konkreten Opfer, die verhindert werden könnten und sollten – falls sich der Westen auf Verhandlungslösungen einlässt.
Menschen im Westen müssen offensichtlich neu lernen, dass Verhandlungen eher eine defensive, vorbeugende Haltung innerhalb des Kriegsgeschehens bedeuten und keineswegs
automatisch ein Zeichen von Schwäche.
Ebenso wenig bedeuten Verhandlungen, dass man sich von Opfern des Krieges abwendet oder sie nicht ernst nimmt.
Es wäre sinnvoll, wenn sich Frankreich und BRD eigenständig diplomatisch gegen die dominierenden Kriegsinteressen von GB/USA betätigen, was aber nur dann möglich wäre, wenn die Regierungen nicht durch einen öffentlich/medialen Sturm der Entrüstung zum Schweigen gebracht würden.
Bei anhaltender Emotionalisierung nach bisherigem Muster könnte das nur allzu schnell passieren.
Übrigens hat Henry Kissinger zur allgemeinen Empörung Forderungen in diese Richtung getellt, woran man erkennen kann, wie verkommen die öffentliche Wahrnehmung schon ist.
C.M.
P.S.: befasse dich doch mal mit den russischstämmigen ukrainischen Bewohnern von Donezk und Lugansk:
Die Menschen dort haben erstmals nach 8 jahren am 24.2.22 Schutz erhalten, vor dem seit 2014 andauernden Morden durch die ukrainische Armee, bei dem überwiegend Zivilisten getötet wurden.
Voraussetzung für diesen Schutz durch die russische Armee war die Sezession und Anerkennung der Teilrepubliken durch Russland.
Die Vorgänge im Kosovo 1999 dienten hier in völkerrechtlicher Hinsicht als Blaupause und Präzedenzfall. Sie waren vom internationalen Gerichtshof als rechtens bewertet worden.
Soviel zum Thema Doppelmoral – was natürlich nichts daran ändert, dass Krieg das größte Übel der Menschheit ist.