Mehr Wachsamkeit gegenüber Angriffen auf die Erinnerungskultur

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Von Dr. Jens Binner

Zum Tag der Befreiung am 8. Mai ruft die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten zu mehr Wachsamkeit gegenüber Angriffen auf die Erinnerungskultur auf

Braunschweig, Moringen, Bergen-Belsen, Nienburg – dies sind nur vier Beispiele für Angriffe auf Gedenkorte an die Opfer des Nationalsozialismus in Niedersachsen in der letzten Zeit. In Moringen posierten Neonazis vor der KZ-Gedenkstätte und störten eine Führung, in Braunschweig kommt es immer wieder zu Sachbeschädigungen und Störungen von Veranstaltungen an der Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße, in der Gedenkstätte Bergen-Belsen versuchte der sogenannte „Volkslehrer“ mithilfe seiner Videokamera gegenüber den Mitarbeiter_innen eine Drohkulisse aufzubauen, in Nienburg wurde eine neu errichtete gläserne Gedenkstele mit brachialer Gewalt zerstört. Diese und weitere Vorfälle zeigen, dass die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit und die Arbeit der Gedenkstätten seit einiger Zeit von politisch rechts orientierten Gruppen zunehmend offener und aggressiver infrage gestellt werden.

Die Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Dr. Elke Gryglewski, zeigt sich über diese Entwicklung äußerst besorgt: Angriffe auf die deutsche Gedenkkultur sind ein zentrales Element demokratiefeindlicher, rechtspopulistischer und -extremer Bestrebungen. Denn die NS-Gedenkstätten tragen nicht nur durch ihre Bildungsarbeit dazu bei, durch die aktive Auseinandersetzung mit den Ursachen, Wirkungen und Folgen der nationalsozialistischen Diktatur ein kritisches Geschichtsbewusstsein zu entwickeln und damit das Wertefundament der freiheitlichen Demokratie zu stärken. Angriffe auf NS-Gedenk- und Dokumentationsstätten sind daher auch immer Angriffe auf die Demokratie.

Es gilt, der Veränderung des gesellschaftlichen Klimas und der Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung durch Rechtspopulismus und -extremismus klar entgegenzutreten und die Gefahren deutlich zu benennen. Denn Sachbeschädigungen und tätliche Angriffe sind das Ende der Kette. Sie beginnt mit der verbalen Abwertung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, die inzwischen auch in deutschen Parlamenten eine Stimme findet. Damit wird der Versuch, aus dieser Zeit Lehren für unser heutiges demokratisches Gemeinwesen zu ziehen, in Misskredit gezogen.

Es ist zu befürchten, dass sich diese Stimmen auch durch das nahende Ende der Zeitzeugenschaft der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur ermutigt fühlen. Ein Hinweis darauf sind die skrupellos verwendeten Davidsterne und Anne-Frank- oder Sophie-Scholl-Vergleiche auf den sogenannten „Querdenker“-Demonstrationen. Bald wird es nur noch Wenige geben, die aus erster Hand von den Verbrechen dieser Zeit berichten können. Umso wichtiger ist die Stärkung der Zivilgesellschaft, um ihre Botschaft weiterzutragen und die Erinnerung wachzuhalten. Ermutigend in dieser Hinsicht ist die große Solidarität und Unterstützung, die nach Angriffen auf Gedenkorte zu beobachten ist. Dieses Engagement gilt es zielgerichtet zu stärken, damit sich das Gedenken an den Nationalsozialismus nicht zu einer inhaltsleeren Veranstaltung ohne Bezug zur Gegenwart entwickelt.

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Binner,
    Ihrem Beitrag über „Angriffe auf die Erinnerungskultur“ stimme ich vollauf zu. Leider haben Sie ein Ereignis dieser Art nicht erwähnt: Ende 2019 erschien meine Monographie über den jüdischen Wolfenbütteler Schriftsteller und Widerstandskämpfer Werner Ilberg. Anfang 2020 lud mich Frank Erhard, Leiter der Gedenkstätte KZ Schillstraße, die sie ja auch als Angriffsziel erwähnen, dazu ein, das Buch in der Gedenkstätte vorzustellen. Ein paar Tage später teilte er mir mit, die Lesung dürfe nicht stattfinden. Martina Staats, Leiterin der JVA-Gedenkstätte Wolfenbüttel, in der mehr als 500 Widerstandskämpfer geköpft worden sind – und als Vorsitzende des „Arbeitskreises Andere Geschichte“ in Personalunion gleichzeitig auch Leiterin der Gedenkstätte Schillstraße und somit Vorgesetzte von Frank Ehrhardt – habe ihm als Beschluss des Vorstands des Arbeitskreises die Lesung meines Buches untersagt. (siehe auch: https://braunschweig-spiegel.de/gedenkstaette-schillstrasse-erinnerungskultur-ohne-ausgrenzung-und-auftrittsverbot/) Ich als Autor erlebe dieses Verbot als Zensur und Schädigung der Erinnerungskultur in Braunschweig und Wolfenbüttel letztlich auch seitens der „Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten. Deren Leiterin, Frau Gryglewski, weigert sich, sich mit diesem nun gar nicht zu den Absichten der Stiftung passenden Vorgang zu befassen.
    Jürgen Kumlehn, Erinnerer in Wolfenbüttel

  2. Ich kann dem Beitrag von Herrn Binner nur zustimmen. Doch die Gefahr droht nicht nur von Außen, z. B. von Rechtsextremen. Die Gefahr droht aus den Gedenkstätten selbst, wenn sie unfähig zur Kommunikation sind, wenn sie wesentliche engagierte Teile der Zivilgesellschaft ausgrenzen. Die Gefahr lauert also auch im Inneren.

    Die Gedenkstättenleitung unter Frau Staats hat übrigens das Angebot bzw. die Handreichung von den engagierten Bürgern, die hinter der Redaktion des Braunschweig-Spiegel stehen, nicht angenommen. Das ist ein weiteres trauriges Kapitel im Kommunikationsdesaster dieser Gedenkstätte Schillstraße unter der verantwortlichen Vereinsleitung von Frau Staats.

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