Langfristige Vergiftung der Nordsee abgewendet?

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Ausgediente Ölplattform Brent Delta wird an Land abgewrackt. Foto: Kevin Harris, unsplash.com

Im Mai dieses Jahres hatten wir über einen Antrag des Ölmultis Shell an die britische Regierung berichtet, siehe hier. Der Antrag sah vor, Teile von vier nicht mehr benötigten Ölplattformen im Brent-Ölfeld in der Nordsee im Meer zu belassen.

Nach Schätzungen von Shell selbst handelt es sich dabei neben den Trägerkonstruktionen der vier Plattformen auch um 62 großvolumige Tanks und Bohrkammern. Der Inhalt: 640.000 Kubikmeter ölhaltiges Wasser, 40.000 Kubikmeter ölhaltiges Sediment mit einem Anteil von über 11.000 Tonnen Rohöl. Diese hoch umweltschädlichen Rückstände aus den 40 Jahre währenden Ölexplorationen und Ölförderungen der Plattformen sollten nach Wunsch des niederländischen Ölförderers nicht entsorgt werden, sondern einfach im Meer verbleiben. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, wann es zu einer großflächigen Verseuchung der Nordsee kommen wird.

Die britische Regierung hatte zunächst vor, diesem Antrag stattzugeben und eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Allerdings müssen vorher die anderen OSPAR-Vertragsparteien (dazu gehören in erster Linie die Nordsee-Anrainerstaaten) konsultiert werden.

Vor wenigen Tagen, am 18.Oktober, hat sich nun die OSPAR-Kommission mit diesem Antrag befasst. Über das Ergebnis informierte jetzt das Bundesministerium für Umwelt (BMU) in einer Pressemitteilung. Das Ergebnis:

  • Die OSPAR-Vertragsstaaten bekräftigen den umweltverträglichen Rückbau von Ölplattformen.
  • Der Antrag von Shell soll weiter beraten werden.
  • Die britische Regierung vertagt die Entscheidung über Ausnahmegenehmigungen

Die mögliche langfristige Verseuchung der Nordsee mit ölhaltigen und giftigen Substanzen ist damit keineswegs gebannt. Aber es besteht die Hoffnung, dass selbst ein Öl-Multi wie Shell nicht beliebig schalten und walten kann und gezwungen sein könnte, sich an umweltverträgliche Regularien zu halten.

Der Ausgang bleibt allerdings weiter offen.

Nachfolgend dokumentieren wir die Pressemitteilung des BMU:

Großbritannien wird Entscheidung über Ausnahmegenehmigungen vertagen.

Über den möglichen Verbleib von vier Öl-Plattformen der Firma Shell im sogenannten Brent-Ölfeld in der nördlichen Nordsee erfolgen weitere Beratungen. Die OSPAR-Vertragsparteien haben sich im Rahmen einer Sondersitzung der OSPAR-Kommission am 18. Oktober in London eingehend mit den Plänen des niederländischen Unternehmens befasst, die die Inhalte und Tragekonstruktionen dieser ausgedienten Plattformen im Meer belassen will. Neben Deutschland sprachen sich inzwischen zahlreiche weitere Staaten sowie die EU-Kommission dafür aus, ausgediente Ölplattformen grundsätzlich so weit wie technisch möglich zurückzubauen und sämtliche darin enthaltene Rohölmengen vollständig zu entfernen. Dies soll auch für Plattformen gelten, bei denen ein Rückbau, bedingt durch ihre Konstruktion, derzeit technisch besonders schwierig erscheint. Ölplattformen, die nach 1998 errichtet wurden, müssen ohnehin vollständig zurückgebaut werden. So sehen es die OSPAR-Regularien vor. Bei den Beratungen wurde zudem klar, dass die bisherigen Untersuchungen zu den Ölmengen und weiteren Schadstoffen, die in den betroffenen Plattformen verbleiben sollen, nicht ausreichen. Das Vereinigte Königreich kündigte an, nun zunächst von einer Entscheidung über den Antrag Shells zum Verbleib der Plattformen im Brent-Ölfeld abzusehen und den Austausch mit den OSPAR-Vertragsstaaten fortzusetzen.

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth: „Der umfassende Schutz unserer Meere lässt sich nur mit einer umfassenden Zusammenarbeit aller Meeresanrainer garantieren. Die OSPAR-Kommission ist dafür genau der richtige Ort. Das hat das heutige Treffen eindrücklich bewiesen. Wir begrüßen die Bereitschaft Großbritanniens, derzeit keine Genehmigung zu erteilen und vor seiner Entscheidung weitere Konsultationen durchzuführen. Wir haben jetzt die Chance, für die Zukunft eine klare Verfahrensweise für die umweltverträgliche Entsorgung alter Ölplattformen festzulegen. Gerade in Zeiten, in denen wir Schritt für Schritt den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle vornehmen, müssen wir uns einen sicheren und umwelt- wie klimaverträglichen Umgang mit den Hinterlassenschaften dieser Energieträger aneignen. Dafür bietet die enge Zusammenarbeit der OSPAR-Vertragsstaaten eine gute Grundlage.“

Großbritannien erklärt sich bereit, nicht wie ursprünglich vorgesehen, jetzt eine Genehmigung zu erteilen, sondern vor seiner Entscheidung über den Antrag von Shell, weitere Gespräche mit den OSPAR-Vertragsstaaten und damit den Anrainern des Nordostatlantiks zu führen und die Entscheidung über den Rückbau oder Verbleib der Öplattformen zu überdenken. Deutschland hat dieses Vorgehen ausdrücklich begrüßt. Die Teilnehmer waren sich einig, dass auf diesem Weg ein Präzedenzfall geschaffen wird, der für Ölplattformen, die im OSPAR-Gebiet zukünftig außer Betrieb genommen werden, entscheidend sein wird. Nach den Plänen von Shell sollen die Tragekonstruktionen der Schwerkraftfundament-Plattformen Brent Bravo, Charlie und Delta und die Sockel der Stahlgerüst-Plattform Brent Alpha in der Nordsee zurückgelassen werden. Dies soll 62 großvolumige Betonbehälter mit zirka 640.000 Kubikmeter ölhaltigem Wasser und zirka 41.000 Kubikmeter Öl-Sandgemische einschließen. Laut Shells Schätzungen entspricht dies einer Gesamtmenge von zirka 11.000 Tonnen Rohöl.

Die Bundesregierung hatte die Sondersitzung der OSPAR-Vertragsstaaten beantragt – mit Unterstützung von Belgien, den Niederlanden, der EU, Schweden und Luxemburg –, nachdem Großbritannien angekündigt hatte, Shell eine Ausnahmegenehmigung vom grundsätzlichen Gebot des vollständigen Rückbaus solcher ausgedienter Förderplattformen zu erteilen. Dem hat Deutschland im April 2019 im Rahmen des formalen OSPAR-Konsultationsverfahrens widersprochen. Deutschland unterstrich, dass auch der saubere Rückbau älterer Ölplattformen grundsätzlich technisch möglich sei. Deutschland und die Niederlande legten dazu jeweils eigene unabhängige Gutachten vor, die den Rückbau der Ölplattformen vollumfänglich empfehlen.

Die Sonderkonsultativsitzung am 18. Oktober 2019 war die erste dieser Art. Sie fand im Kreise der Vertragsstaaten sowie Beobachter-Organisationen (Industrie- und Umweltverbände) unter Leitung des OSPAR-Vorsitzlandes Irland in London am Sitz der OSPAR-Kommission statt.“

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