Der Anschlag vom 19. Februar 2020 war ein Ausbruch von rassistisch motiviertem Hass. Schnell ist man in Deutschland bereit zuzustimmen, wenn von strukturellem Rassismus die Rede ist. Das ist bequem, denn jede Diskussion darüber wäre auch unangenehm. Es ist einfacher sie zu akzeptieren. Das war`s dann auch! Aber damit ist es nicht getan. Die rechtsextremistischen Anschläge der letzten Jahre hätten unserem Land, das so pathetisch ‚Nie wieder‘ rufen kann, in Mark und Bein fahren müssen. Es war auch schnell – pflichtschuldig? – von einer Zäsur die Rede, aber woran wollte man die festmachen? Stattdessen kam Corona und überdeckte die Aufmerksamkeit.
Die Angehörigen, Überlebenden und die Initiative 19. Februar hat sich vor wenigen Tagen mit einer eigenen Anklage an eine Öffentlichkeit gerichtet. Sie und Teile der Sicherheitsbehörden wollen nicht begreifen, dass Hanau das Symptom einer zutiefst rassistischen Gesellschaft ist. Sie berichten von einer langen Kette an behördlichem Versagen und kritisieren die Unwilligkeit und Unfähigkeit der ErmittlerInnen, die Tat in all ihren Details schonungslos und lückenlos aufzuklären und endlich Verantwortung zu übernehmen. Dieses Bild kennen alle Beobachter bei der Verfolgung und Rechtsprechung rechtsextremistischer Taten.
Warum wurde dem Täter der Waffenschein nicht entzogen, obwohl Ermittlungs- und Strafverfahren liefen, in denen er bereits mit paranoiden Verschwörungen auf sich aufmerksam machte? Wieso bekommt der überhaupt einen solchen Schein? Weshalb waren die Notausgänge der Arena-Bar in der Tatnacht verschlossen, sodass eine Flucht unmöglich wurde?
Wie kann es sein, dass der polizeiliche Notruf trotz mehrfacher Versuche durch Vili Viorel Păun, der den Täter in seinem Auto verfolgte und später erschossen wurde, nicht erreichbar war? Und was hat es mit den Obduktionen der Ermordeten auf sich, bei denen etwa der Leichnam von Hamza Kurtović als „südländisch, orientalisch“ klassifiziert wurde?
Warum bekommen all die Betroffenen noch immer keine Antwort auf diese Fragen – und das nach einem Jahr Ermittlungen. Wieder haben die Behörden versagt, wieder wurden die Familien im Stich gelassen, wieder wird keine politische Verantwortung übernommen. Wieder wurden Menschen ermordet. Nicht wegen ihres Aussehens, nicht wegen ihrer Kultur, Religion oder Herkunft, sondern wegen Rassismus. Wahrscheinlich steckt dieser tief in den Ermittlungsbehörden und Verfassungschutz.
Der Rassismus hat Tradition, genauso wie das Leugnen und Kleinreden rechter Gewalt und das Versagen der Behörden. Hanau war kein Einzelfall. Ihm gingen Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, Lübeck Mölln und Solingen, der NSU-Komplex, und der Mord an Walter Lübcke (auch in Hessen) und Halle voraus. Hanau ist überall, auch ein Jahr später.
Lesen Sie hier den Beitrag über Rassismus von Heribert Prantl: Ein Jahr nach Hanau