Fraktionsbeschluss statt Bürgervotum, Beton statt Baum, Schließzeit statt Klima:

2
Lindenallee oder Betontunnel? Darüber wurde heftig gestritten. Foto: Hans-Georg Dempewolf

Gastbeitrag von Edgar Vögel

Echt krass dieser Ausschuss: eine Rot-Grüne Mehrheit als reale Nullvariante

Sieht so die Zukunft aus? „Autonome Maschinen sind bei Arbeiten am unterirdischen Wasserleitungssystem in der Großregion Wolfsschweig auf die Reste von Betonfundamenten gestoßen. Die KI ermittelte, dass es sich dabei um ein 80 Jahre altes Bauprojekt gehandelt haben dürfte, das dem damaligen Lokalverkehr diente. Das Umfeld war seinerzeit mit hohen alten Bäumen bewachsen; Bäume gibt es dort aus klimatischen Gründen schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Warum der Beton nicht, wie schon lange vorgeschrieben, recycelt wurde, ist ungeklärt.“

Zur Vorgeschichte

Am 28.09.23 hat der zuständige Ausschuss (Mobilität/Tiefbau/Auftragsvergabe) der Stadt BS mit den Stimmen von SPD, Grünen und „die Fraktion“ (die CDU geschlossen dagegen, alle anderen nicht stimmberechtigt) beschlossen, dass der künftige Neubau eines Bahnübergangs im Zuge der Grünewaldstraße als Unterführung ausgeführt werden soll. Er stellte damit das Votum der beiden betroffenen Bezirksräte 112 und 120 vom Tag zuvor auf den Kopf. Diese hatten sich nämlich stattdessen jeweils mehrheitlich für eine intelligente Schrankenlösung (sog. 0+-Variante) ausgesprochen. Als Bauherr wird die deutsche Bahn fungieren. Mit den Umbaumaßnahmen ist eine Sperrung des Übergangs über mehrere Jahre verbunden.

Ist damit eine mehrjährige intensive Auseinandersetzung vorerst entschieden?

Mitnichten! Diejenigen, die die Unterführung favorisier(t)en, haben weiter ein großes Problem. Ihre Argumente sind teils bescheiden, teils längst widerlegt, teils basierend auf haltlosen Annahmen und haben allesamt eines gemeinsam: ökologische und stadtklimatische Gesichtspunkte werden konsequent missachtet. Dass beim Zustandekommen des Beschlusses demokratische Grundlagen gröblich verletzt wurden, tut ein Übriges zum Zwischenfazit: Dieser Beschluss wird keinen Bestand haben! Einige Belege illustrieren dies im Folgenden.

Der unterirdische Leuchtturm des Herrn Kühn (SPD)

Er wird in der BZ so zitiert: „Es geht hier um eine Infrastrukturentscheidung mit dem Horizont von 80 Jahren und mehr.“

Oh, werden hier bereits wieder Vorbereitungen für ein neues Leuchtturmprojekt getroffen, diesmal ein unterirdisches? Es zeichnet sich ja auch bereits klar ab, wie sich der Verkehr in den nächsten 80 Jahren (und mehr!) entwickeln wird. Man muss eigentlich nur einmal 80 Jahre zurückblicken, um den ganzen Unsinn seiner Aussage zu erkennen. Da war die Grünewaldstr. im „Fliegerviertel“ noch die Boelckestr. und führte am „Luftkreiskommando“ vorbei. Sicher hat Herr K. bereits vor Jahren vorhergesehen, dass E-Roller als neues Verkehrsmittel das Stadtbild mitprägen. Und natürlich war für ihn schon länger absehbar, dass Starkregen-Ereignisse künftig häufiger auftreten werden – da saufen Unterführungen ab – alles schon eingepreist? 100jährige Bäume ja, gibt es hier; aber 80jährigen Beton: eher nein. “Damals dachte man, Beton halte ewig.” – eine Aussage des Brückenbauers Michel Virogeux zum Einsturz des Polcevera-Viadukts 2018 in Genua 50 Jahre nach Errichtung. Dabei starben 43 Menschen.

Und noch mehr „Kühnes“: unser Klimaschutz heißt heute „Beton“

„Eine Unterführung entflechte die einzelnen Verkehre, so Kühn, biete mehr Sicherheit und sei auch

ein Beitrag zum Klimaschutz. „Die Eingriffe und Auswirkungen auf Grün und Natur werden vollständig

kompensiert“, betonte er“.

Ja, „Klimaschutz“? Vom nötigen eingriffigen Verhalten sind 34 ungefähr 100 Jahre alte Bäume (v.a. Linden) betroffen. Sie alle oder mindestens mehrheitlich für den Bau der Zufahrtsrampe zu entfernen, ist eine ökologische und stadtklimatische Katastrophe und die in Aussicht gestellte Kompensation völliger Blödsinn, wie schon eine einfache Überschlagsrechnung am Beispiel von Buchen zeigt:

34 5J alte Buchen speichern ungefähr 16 kg CO2 pro Jahr; so viel wie eine 80jährige Buche. Um den gegenwärtigen Stand zu halten, müssten mindestens 34×34, also ca. 1150 5 Jahre alte Buchen als Ersatz gepflanzt werden!

Wo wird Ihr Stadtwald für diese neuen Bäume sein, Herr Kühn? Und: fangen Sie schon mal an dafür kräftig zu sparen!

SPD-Fraktionschef Bratmann: Die Grünewaldstr. gehört zu den schönsten Ecken der Stadt (aber warum wollen Sie sie jetzt dann eigentlich platt machen?)

„Die Grünewaldstraße gehört zu den schönen Ecken in unserer Stadt, wo viele Braunschweigerinnen und Braunschweiger Erholung suchen.“ Deshalb werde man sich nachdrücklich für eine ansprechende Gestaltung der Unterführung einsetzen. (O-Ton SPD-Presseerklärung).

Die Aufenthaltsqualität wird durch die Allee der großen alten Bäume geprägt, voller Leben oben, unten und dazwischen, kühlend und Schatten spendend, klimaausgleichend, ökologisch besonders wertvoll und auch fürs Auge immer neu im Wechsel der Jahreszeiten. Eine Betonunterführung kann wohl nur eines sein: kalt und zugig. Aber wer ist „man“? Wie macht es das? Einen Vorgeschmack auf das, was von „man“ zu erwarten ist, hat vor Jahr und Tag die Diskussion um die Schloss-Arkaden geliefert. Bäume halten es da nicht aus, aber „Mooswände“ wären gedacht fast so gut. Kombiniert mit etwas grüner Farbe könnten diese für eine „ansprechende Gestaltung“ hier wie da sorgen. Funktioniert nicht wirklich? Aber vielleicht meint man ja auch eher Graffiti, bestellte oder nicht bestellte? Vorbilder für ansprechend gestaltete Unterführungen gibt es doch überall?!

Ein grüner Holzexperte als „Baumschützer“: arme Bäume, tote Bäume

Dr. Plinke (Grüne): Man könne zudem auch nicht um jeden einzelnen Baum kämpfen: „Wenn

wir so anfangen zu denken, kommen wir niemals weiter und kriegen die Verkehrswende nicht hin.“ (BZ). Jeden einzelnen? Es sind wohl, s.o., 34 einzelne. Es gab mal Zeiten, da war der Kampf um und für Bäume – auch einzelne – ein grüner Markenkern. Wir denken dabei an das Stichwort „Baumschutzsatzung“. Gesunde, kräftige und erst recht ältere Bäume sollten unter besonderen Schutz gestellt und, angesichts ihrer stadtklimatischen Bedeutung, möglichst nicht angerührt werden. Lang, lang ist’s her. Doch nein? Gab es nicht erst im Juni einen Anlauf gerade der Grünen, mit dem die Stadt aufgefordert wurde, bis Jahresende etwas entsprechendes beschlussreif vorzulegen? Ja, aber der Antrag wurde wieder zurückgezogen und sollte, warum auch immer, ohnehin nur für Privatleute gelten. Nicht so ernst gemeint? Interpretiert Herr Dr. P. offenbar so. Also weiter freie Fahrt für alle Baumfäller? Wer wie Dr. Plinke anfängt, die Gefahr für das Stadtklima durch Baumfällen zu bagatellisieren und zugunsten einer „Verkehrswende“ den Holzfäller zu geben, der wird am Ende alles verspielen – und wir wären dann die Doofen, wenn wir ihn und seinesgleichen nicht rechtzeitig an seiner Art „Wende“ hindern.

Schließzeit der Schranken: Jetzt kommen die selbsternannten Bahnexperten zum Zug

„Mit dem prognostizierten zunehmenden Zugverkehr werden die Schrankenschließzeiten aus seiner Sicht unkalkulierbar (Dr. Plinke, Grüne, lt. BZ)

Bratmann (SPD-Fraktionschef) erklärt: „Es wird nicht bei den jetzigen Schließzeiten bleiben. Zukünftig werden sich diese durch die Zunahme des Schienenverkehrs deutlich verlängern.“(SPD-PE) 

Zuhören, bzw. sich durch Experten informieren lassen, gehört nicht zu den Tugenden eines rot-grünen Bahnexperten, dafür aber umso eher Meinungsstärke. Laienlogik: mehr Züge, Schranken länger zu. In Veranstaltungen, Foren und im Internet begründeten Wissenschaftler; u.a. vom Institut für Eisenbahntechnik und Signalwesen der TU, Dr.-Ing. Gunnar Bosse und Leonhard Pelster M.Sc, so am 15.05.23 in der Info-Veranstaltung der Stadt, wie mit moderner digitaler Signaltechnik die Schließzeiten dennoch vier Minuten in der Regel nicht überschreiten müssten – leider leider in Abwesenheit der Amateurexperten, die so wohl noch eine Weile auch geistig analog unterwegs bleiben werden.

Das Übertreten einer roten Ampel ist sicher – das einer Bahnschranke aber nicht?

Herr Bratmann sieht in der Diskussion um die Form der Querung der Bahntrasse „den Sicherheitsaspekt als ausschlaggebend“ an. Mit (unterstellten, d.V.) perspektivisch verlängerten Schließzeiten gehe das erhöhte Risiko einher, trotz Signal bei geschlossener Schranke noch queren zu wollen. Er sieht bei beschrankten Bahnübergängen ein generelles Risiko (so lt. BZ).

Wir alle kennen aus dem Alltag die zunehmende Tendenz vieler Verkehrsteilnehmer, das Rotsignal der Verkehrsampeln zu missachten. So sollen unnötige Wartezeiten vermieden werden – mit dem hohen Risiko, sich und andere zu gefährden. Bei zunehmendem Verkehr werden zudem Staus häufiger, was das gefährliche Verhalten weiter fördert. Rote Ampeln sind ein generelles Risiko, Tendenz also steigend. Anders als bei Schranken gibt es noch nicht einmal Barrieren dafür, aber 1000x mal mehr davon. Handeln Sie endlich gegen das Ampelrisiko, Herr Bratmann!

Schließlich: Glückwunsch an Herrn Bratmann – dem Erfinder des Antipopulismus

Es könnte sein, dass der ehrenwerte Landtagsabgeordnete in die Geschichtsbücher eingeht, etwa als der Erfinder der „Antipopulismus-Strategie der Braunschweiger SPD“. Statt dem Druck der Straße, den Argumenten aus Foren und Veranstaltungen, den Einflüsterungen von Presse und Bezirksräten, den Beschlüssen und Forderungen irgendwelcher zweitrangiger Klimalobbyisten nachzugeben, macht er genau das Gegenteil. Unbeeinflusst von außen, im Versammlungsraum der Fraktion im ersten Stock des Rathauses, zieht er sein Ding durch. Dabei machten es sich die Versammelten keineswegs leicht, sagt er. Und doch: anders als in den Bezirksräten ziehen alle mit – natürlich ohne Fraktionszwang und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Seht her, genau so kann man doch dem Populismus der rechtsradikalen AfD das Wasser abgraben – mit Antipopulismus eben! Wenn das nicht mal ein echter „Gamechanger“ ist! Fragt sich nur: für wen? Zunächst sehen wir es noch so:

Undemokratisch, klima-ignorant und irgendwie völlig falsch beraten – Sozialdemokraten. Und seit einiger Zeit bei allen Tabubrüchen immer dabei – die einstige Ökologie- und Klimapartei.

Edgar Vögel

Quellen:

Bahnübergang Grünewaldstraße: SPD-Fraktion plädiert für Unterführung

BZ Ja zur Unterführung

BZ Schranken statt Unterführung

2 Kommentare

  1. Danke für den ausführlichen und fundierten Beitrag! Aus dem Archiv des Deutschlandfunkes vom 16.9.19 möchte ich ein Zitat dazu senden als Erinnerung für vergessliche Sozialdemokraten: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ So umriss Bundeskanzler Willy Brandt vor 50 Jahren sein politisches Programm. Er prägte damit den Zeitgeist der damaligen Bundesrepublik. Seine großen Worte haben nichts von ihrer grundlegenden Bedeutung eingebüßt.“ Und weiter heißt es von Willy Brandt:„Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger. ..“
    Dass die Grünen nicht zimperlich sind in der Übergehung von Mitbürgern und deren Interessen, kennen wir ja aus vielen Zusammenhängen schon länger, aber dass auch die ihre eigenen Leute dermaßen überfahren, erschreckt mich im hohen Maße! Um oben mitzuspielen, geht man schon mal über Leichen, gruselig! Ich werde weiter an der Seite derer stehen und dafür einstehen, die sich ehrlich und sachlich um Umweltschutz, Frieden und Demokratie kümmern und sorgen! Auch, wenn ich diffarmiert werde und zum pazifistischen Lumpenpack zähle. Aus einem Lied der ArbeiterInnenbewegung: Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun! Frohen Klimawandel noch!

  2. „Mehr Populismus wagen!“
    Bosse und Pelster würden widersprechen.
    Über die wochenlang recht einseitige Darstellung in der BZ („Meiner Meinung nach brauchts das alles nicht“ ) haben die sich schon erheblich gewundert, um es ganz vorsichtig auszudrücken.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.