Von Edgar Vögel
Vorbemerkung Red.: Diese Artikelserie beschäftigt sich mit dem „Intergrierten Klimaschutzkonzept (IKSK) 2.0 der Stadt Braunschweig. Eine Einführung in das Thema (eine Zusammenfassung der wichtigsten kritischen Aspekte) finden Sie hier. Wegen der Fülle des Stoffs wurde der Inhalt auf insgesamt vier Teile aufgeteilt. Hier folgt nun der zweite Teil. Den ersten Teil finden Sie hier, die restlichen Teile werden wir in den nächsten Tagen veröffentlichen.
II. Feststellung: Paradigmenwechsel – Fehlanzeige
1. Schlüsselelement: Deutliche Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs
Ein Schlüsselelement für das das Gelingen der Klimaneutralität bis 2030 ist die deutliche Zurückdrängung des Verbrenner-basierten motorisierten Individualverkehrs. Hier beinhaltet das Konzept gar keine konkreten Vorgaben. Im IKSK wird bei Punkt 4.1 lediglich eine „Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs“ als Ziel benannt. Ohne jegliche quantitativen Aussagen, wie sie in anderen Bereichen des Konzepts durchaus zu finden sind, ist ein solches Vorhaben sinnlos. Die Vorgaben wären in der aktuellen Situation ebenso zwingend nötig und überfällig, wie politisch heikel. Wer laut über eine Beschränkung des Individualverkehrs in der Innenstadt nachdenkt, macht sich mehr Feinde als Freunde.
Im September mochte sich eine Ratsmehrheit einer Forderung der BIBS mit einem Reduktionsziel von 40% bis 2030 auch nicht anschließen. So soll es ein für Mitte 2024 vorgesehener Mobilitätsentwicklungsplan „MEP“ richten, der 88 Maßnahmen als „Zielszenario“ auflistet. Bloß: Die Emissionen der Treibhausgase im Bereich Verkehr würden danach bis 2035 lediglich um maximal 36% reduziert, bis 2030 also nur um 21%. Eine deutliche Zielverfehlung der Vorgabe „Klimaneutralität 2030“ wäre zumindest für den Verkehrsbereich damit vorprogrammiert.
Es bleibt dabei: Ohne deutliche(re) Beschränkungen kann es keine Klimaneutralität geben. Beschränkung geht aber nur unter der Bedingung eines attraktiven ÖPNV-Angebots als greifbare Alternative. Wenn es das werden soll, gehen zwei Preiserhöhungen innerhalb eines Jahres (01.01.23, 01.01.24) genau in die entgegengesetzte Richtung.
2. Energetische Gebäudesanierung im Bestand: Ein Kipppunkt auf der Kippe
Bei der energetischen Gebäudesanierung im Bestand, einem der Kipppunkte des Konzepts, gibt es bislang nur ein Modellprojekt: „Erstes Pilotquartier für die energetische Quartierssanierung im Bereich des Sackrings ist ausgewählt.“, heißt es in der Zwischenbilanz. Im Konzept ist dazu auf S. 89 zu lesen: „Um die Ziele des dem IKSK 2.0 zugrundeliegenden Klimaschutzszenarios in Braunschweig zu erreichen, müssten bis 2030 über 23.500 Wohneinheiten auf den energetischen Standard KfW 55 modernisiert werden. Hinzu kommen 4.200 Gebäude, die dem Bereich Gewerbe, Handel, Dienstleistungen zuzuordnen sind“. Und weiter: „Idealerweise würde der Gebäudebestand für das Ziel eines Treibhausgas-neutralen Braunschweig einmal „durchsaniert“. „
Die hierfür bis 2030 zu erreichende Sanierungsquote von 12,5 %, würde allerdings eine Verzehnfachung der aktuell angenommenen Sanierungsquote bedeuten“. Die Annahme ist wenig realistisch, die bis 2026 zu erstellende kommunale Wärmeplanung und die darauf basierende Ausweisung energetischer Quartierskonzepte zeitige bessere Rahmenbedingungen und Ergebnisse. Dafür stünden bis 2030 nur noch vier Jahren zur Verfügung. Angesichts der im Baubereich vorhandenen und limitierten fachspezifischen Kapazitäten und des hohen finanziellen Aufwandes ist keine KI nötig, um das Verfehlen der Zielstellungen auch in diesem Bereich zu prognostizieren.
3. Neues Handeln mit altem Denken?
Klima- und Umweltbewegung werden im Einzelfall nicht als vorwärtstreibende Unterstützer, sondern schon mal als zu kriminalisierende Gegner („Allgemeinverfügung“ der Stadt mit Protestverboten, die sich allein gegen Klimaaktivist*innen richtet) behandelt. Mit denen redet man natürlich auch nicht. Klimaneutralität als Chefsache? Ja, aber nur, wenn es gegen die „Klimakleber“ der letzten Generation geht, die sich, so der Vorwurf, z.T. nicht legaler Protestformen bedienten.
Vergleichbare Vorwürfe gab es vor Jahr und Tag auch schon an die Adresse von „Fridays for Future“ – ihre anfänglichen Unterrichtsboykotte seien rechtswidrig. Nicht ganz legal war aber definitiv die Stadt Braunschweig unterwegs: Ihre erste Form der Allgemeinverfügung wurde wohl von Aschaffenburg abgeschrieben und dort erfolgreich juristisch angefochten. Dumm nur: Sie war in großen Teilen unzulässig, so der VGH Bayern, und musste eilig korrigiert werden. Sowas kann schon mal passieren, wenn man selbst im Glashaus sitzt.
Deutsche Umwelthilfe und BUND klagen für mehr Klimaschutz – und bekommen recht. Weil die Sektorziele beim Klimaschutz, im Verkehr und bei den Gebäuden 2022 verfehlt wurden, hätte die Ampelkoalition eigentlich Sofortmaßnahmen beschließen müssen. Doch das hat sie laut Gericht nicht in ausreichendem Umfang getan. Die Richter stellten fest, „dass die Bundesregierung aufgrund der festgestellten Überschreitungen an zulässigen Treibhausgasemissionen in den Sektoren Gebäude und Verkehr zu einem Beschluss über ein Sofortprogramm verpflichtet ist“. Das beschlossene Klimaschutzprogramm 2023 erfülle diese Anforderungen nicht. (BZ, 30.11.23)
Klimakanzler: Fehlanzeige. Wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg feststellte, hat die Bundesregierung gegen das Klimaschutzgesetz verstoßen. Was das OVG hier für (Un-)Recht erklärt, war 1:1 die Begründung der letzten Generation für ihre Aktionen. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zu Verbrechen.“ (Papst Leo XIII. vor gut 120 Jahren).
4. Unsere Kommunen sind keine Eckkneipen (aber Hannover ist wohl eine?)
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Rat und MdL, Christoph Bratmann, lehnt „Deals“ wie in Hannover ab. „Unsere Kommunen sind keine Eckkneipen, in denen Deals unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht werden können, sondern sie sind die Keimzelle unseres Gemeinwesens und gehen uns alle etwas an! Genau aus diesem Grunde gibt es demokratisch legitimierte Kommunalparlamente wie den Rat der Stadt Braunschweig, in denen gewählte Politikerinnen und Politiker sich mit den Geschicken der Stadt befassen.“ (BZ, 06.03.23) Herr Bratmann als Demokratiedozent?
Ob er vielleicht „Bürgerräte“ kennt? „Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt.“ (Ampelkoalition, Koalitionsvertrag S. 11)
Am 10.05.23 hat der Bundestag den ersten Bürgerrat eingesetzt: “Ernährung im Wandel“. Der hat nun bereits am 14. Januar 2024 neun Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungspolitik beschlossen.Aber da geht es ja nicht unmittelbar ums Klima? Bei den SPD-Parteifreunden im Saarland aber schon: Dort wird nämlich ein „Klimabürgerrat“ eingerichtet. Ein zufällig geloster Bürgerrat soll im Saarland Vorschläge für die Erreichung der Klimaschutzziele machen.
Der saarländische Landtag hat am 15. November 2023 die Einsetzung des Bürgerrates beschlossen. Dafür stimmten SPD und CDU. Die Losversammlung soll neun Monate nach ihrer Einsetzung Vorschläge unterbreiten, die dann vom Landesparlament beraten werden. Die nicht im Parlament vertretenen Grünen begrüßten den Beschluss ebenfalls. Wer wie Herr Bratmann auf einem hohen Ross sitzt, anstatt dabei zu helfen, alle Kräfte gegen die sich anbahnende Klimakatastrophe zu bündeln, könnte tief fallen. Siehe Sachsen, wo die SPD gegenwärtig schon mit der 5%-Hürde kämpft.