Bildungscomputer in der Pandemie-Krise?

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Bild von April Bryant auf Pixabay

Von Jan Rabe

„Corona ist ein Brennglas“ – das ist wieder eine von diesen dummen, pseudonaturwissenschaftlichen Metaphern, die nichts erklären, weil sie keinen Inhalt haben. Dafür sind sie aufregend, emotional ansprechend: Brennen klingt irgendwie nach Hitze. „Hör‘ auf zu kokeln!“ hätte meine Mutter gesagt.

Gemeint mit der kaputten Metapher ist ein Vergrößerungsglas, mit dem man besser sehen kann.

Konkret: die Probleme, die wir vorher schon hatten, bemerken wir deutlicher, weil sie sich unter Corona noch verschärfen. Probleme etwa wie im deutschen Schulsystem, das seit Jahren (wenn nicht sogar Jahrzehnten) die soziale Schichtung der Elternhäuser bei den Kindern reproduziert.

Es wird viel geredet, Bildung wäre ein Schlüssel zum sozialen Aufstieg, aber das funktioniert nicht. Die ökonomische Spaltung der Gesellschaft nimmt eher zu als ab. Ich vermute, die CDU hatte vor Jahren die Bildung zur „Lösung“ der sozialen Probleme erklärt, weil es vermutlich am wenigsten kostet und – im Gegensatz zu einer Umverteilung der Vermögen – den Ursprungszustand lässt wie er ist, eben sehr ungleich.

Es handelt sich also um eine Scheinlösung, eine politische Ausrede, nichts zu tun. Wie es der Soziologe Butterwegge kurz beschrieben hat: „Bildung macht nicht reich, aber Armut macht dumm.“

Und nur weil ein Problem sich in der Krise verschärft bedeutet es nicht, dass es nun gelöst wird.

Die Regeln in der Pandemie erzwangen den Fernunterricht über Computer. Wer den nicht besaß, war damit vom Schulunterricht abgeschnitten. In einem heutigen Haushalt findet sich ein Sammelsurium von Kommunikationsgeräten: von einfachen Handys und Smartphones über Tischcomputer über Laptops bis zu Tablets. Jedes davon ist unterschiedlich geeignet für Schulunterricht, auch abhängig vom Alter des Geräts.

Es geht nicht mehr – wie vor ein paar Jahren noch – nur darum, Texte zu schreiben und zu versenden. Orientierung im Internet wird zunehmend geübt, und neuerdings brauchen Schüler auch Bildtelefone, um dem Unterricht zu folgen. Dafür ist neue Technik notwendig, für hohe Datenübertragungsraten mit entsprechenden Anschlüssen und Netzknoten. Wer die Debatten der letzten Jahre über die deutsche Netzabdeckung verfolgt hat, hat nun vermutlich schon (Lach-)Tränen in den Augen.

Wie so oft behauptet wird, sollte ja die Bildung gerade den wirtschaftlich schwächer Gestellten helfen, nach dem Motto „Qualifikation ermöglicht Einkommen“. (Im Hintergrund singt ein Arbeitgeber-Chor das Lied vom Fachkräftemangel.) Wenn es nun stimmt, dass Bildung nicht reich und Armut dumm macht, ist es unter dem Strich egal, ob die Bevölkerung in Deutschland gebildet ist oder nicht? Oder soll das so sein?

Als ich noch klein war, lebte ich in einer Industrienation, nicht in einem Niedriglohnsektor. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung erhält Unterstützung im Hartz-System, das von der letzten Rot-Grünen Regierung eingerichtet worden ist. Kinder gelten in Deutschland als Armutsrisiko. Der Anteil bei Eltern im Hartz-Bezug ist höher als bei Paaren ohne Kinder, und die Kinderarmut in Deutschland liegt laut Bertelsmann bei 20 Prozent. (1)

Nun ist das Hartz-System nicht darauf angelegt, Menschen zu helfen. Statt Fördern heißt es öfter Fordern, z.B, erhalten nur 3 Prozent aller Erwerbslosen Weiterbildungsmaßnahmen. (2) Der Zwang in den Niedriglohnsektor vergrößert den Anteil armer Menschen in der Bevölkerung.

Kinder müssen Geldgeschenke von Oma anrechnen lassen, Jobcenter werden (vor den Hilfesuchenden) besser bewacht als Geldtransporte, zahllose Bescheide werden gerichtlich angefochten, und die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt, weil sie in Rente gehen und nicht in Arbeit.

Sozial- und Bildungssystem sind Flickenteppiche. Was die Lehrmittel betrifft, sind die Schulen „frei“ und können sich aussuchen, was verwendet werden soll. Ähnlich ist es in der Rechtsprechung und Sozialgerichte unterscheiden von Kommune zu Kommune unterschiedlich, was Antragsteller wie beschaffen dürfen und zu welchen Kosten. Mal gibt es nichts, vielleicht verleiht die Schule einen Computer oder ein ‚Spender‘ rangiert einen aus, mal gibt es Förderung von 150,-

oder 300,- Euro. Am liebsten für Gebrauchtgeräte, aber genügen diese den in der Schule nötigen Übertragungsraten? Das wiederum wird von den jeweils zuständigen Sozialgerichten sehr unterschiedlich entschieden.

Viel ‚Kleinkram‘ ist nicht eingeplant: Datenvolumen kostet Geld, wie auch der zusätzliche Strom. Hilfestellung bei der Installation von Hard- oder Software ist nicht vorgesehen. Und es gibt verschiedene Gruppen von Antragstellern: Hartz IV-Haushalte mit oder ohne eigenem Einkommen, Aufstocker oder Kurzarbeiter, geflüchtete Familien verschiedener Aufenthaltsstatus. Wohngeldberechtigte Schulpflichtige bekommen Wohngeld, aber was sagt das Wohnungsamt zum

Schulcomputer? Wer ist überhaupt zuständig?

Alles muss beantragt werden, was dann dauert. Zumeist erst einmal abgelehnt, dann muss geklagt werden, und so zieht es sich hin. Noch in der vierten Welle warten Kinder auf Schulcomputer: das Jobcenter verweist auf die Schule. Die Schule verlangt ein eigenes Gerät, dass das Kind die nächsten Jahre benutzen soll. Unter Umständen bietet das Jobcenter einen Kredit an jemanden, der mit einem künstlich klein gerechneten SGB II-Etat auskommen muss. So wird das Jobcenter auch noch zur Schuldenfalle.

Man sieht, was der Politik die Bildung der Kinder wert ist. Notwendig wäre eine Grundsicherung für Kinder, die nicht bei den Kindern kürzt, um die Eltern unter Druck zu setzen. Eine Grundsicherung, die Bildung überhaupt erst ermöglicht.

Wenn Weihnachtsschmuck nicht im Hartz-Satz enthalten ist, dann ist das traurig. Aber Schule ohne Computer ist heutzutage nicht mehr möglich, damit hat sich das mit der Bildung erledigt. Man verweigert dem Kind die Mittel zur Bildung mit dem Argument: deine Eltern sind eben arm.

Schulbildung erfordert Rahmenbedingungen. Ein Kind kann sich nicht allein ‚die Bildung‘ erkämpfen. Es erfordert Konzepte für die Schulen, Konzepte für Hard- und Software, Zuständigkeiten für Planung und Technik. Man darf diese Planung nicht der Industrie allein überlassen, weil das nur zum sparsamen Aussortieren (und Abhängen) der Überflüssigen führen würde – da kann man das System so ungerecht und brutal lassen wie es ist.

Die ’schwarze Null‘ können wir vermutlich auch abhaken. Es macht auch keinen Sinn, den folgenden Generationen schuldenfreie Haushalte und kaputte Infrastrukturen zu hinterlassen, wenn wir dann auch noch an ihrer Ausbildung sparen.

Probleme wie das Klima oder Armut sind nicht klein, wir brauchen keine Lupe und kein ‚Brennglas‘. Genauso könnte man behaupten, „Corona ist ein Mikroskop“ oder „Corona ist ein Fernglas“ – das sind auch Sehhilfen. Vielleicht sind die kaputten Metaphern schon ein Zeichen von Bildungsschäden bei jungen Erwachsenen. Nicht die Menschen gehören abgesägt, sondern das Hartz-System – im Interesse aller Menschen, die hier leben.

(1). https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/291_2020_BST_Facsheet_Kinderarmut_SGB-II_Daten__ID967.pdf

(2). https://www.rnd.de/politik/berufliche-weiterbildung-bei-arbeitslosen-nurdrei-von-hundert-erwerbslosen-werden-gefoerdert-QJGLSFZCPFERBNYOQ3H3DY3464.html

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