Wupp.
In regelmäßigen Abständen wurde ich durch die Luft geworfen. Wupp. Wupp. Wupp.
Pause.
Ich entspannte mich. Vorbei. Endlich vorbei.
WUPP. WUPP. WUPP. Ich fühlte die Stöße, die vom Fußboden ausgingen, noch deutlicher.
Seit Anfang des Monats hatten wir neue Nachbarn. Unter uns waren zwei Leute eingezogen, die noch jünger waren als wir.
Ihr Musikgeschmack war dementsprechend.
Techno. Tag und Nacht dröhnte diese Musik durch ihre Wohnung.
Na ja, eigentlich nur nachts, denn tagsüber schliefen sie ja, als Kunststudenten hatten sie wohl nicht allzu viele Verpflichtungen.
WUPP. WUPP. WUPP.
Es reichte mir.
Ich bemühte mich, nicht wütend zu werden, man will ja nicht als spießig gelten. Schließlich war unsere kleine Straße ein Reservat, ein Rückzugsgebiet vor den bürgerlichen Konventionen. Wir nannten es zärtlich: „das Ghetto“.
WUPP. WUPP. WUPP.
Ich kam nicht drumherum. Ich musste runtergehen, um sie zu bitten, die Musik leiser zu machen, schließlich sollte ich am nächsten Morgen ein Referat über Jean-Paul Sartre und den Existentialismus halten.
WUPP. WUPP. WUPP.
Meine derzeitiges In-die-Welt-geworfen-sein wollte mir jedenfalls gar nicht gefallen.
WUPPAWUPPAWUPPA.
Die Musik war deutlich schneller geworden. Der Endspurt!
Tatsächlich.
Plötzlich war es still.
WUPP!!!!
Die Musik war noch lauter geworden, von jetzt auf gleich. Fast wäre ich aus dem Bett gefallen bzw. vom Futon gerollt.
Nun gut, musste ich also doch aufstehen und runtergehen.
Ich zog mir notdürftig etwas über, schlüpfte in meine braun-karierten Pantoffeln, die tagtäglich das Ziel des freundlichen Spotts meiner beiden Mitbewohner waren.
Hmmm, ich zog sie wieder aus und schlüpfte in meine American Allstar. Auch bzw. gerade in so einer Situation sollte man möglichst cool aussehen. Bloß keine Blöße geben.
Als ich an der Wohnungstür unten klingelte, passierte erst einmal gar nichts. Und dann immer noch nichts. Es war auch gar nichts zu hören in der Wohnung.
Auch auf mein sekündlich mutiger werdendes Klopfen hin öffnete niemand die Tür.
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurde sie doch noch einen Spaltbreit geöffnet.
„Jaaa?“, fragte meine Nachbarin. Ihre Stimme klang schläfrig, aber nicht verschlafen.
„Ähh, könnt Ihr vielleicht… also eventuell, die Musik…“, begann ich vorsichtig meine Rechte auf nächtlichen Schlaf einzufordern, als ich bemerkte, dass die Musik nur dezent vor sich hinplätscherte, „…leiser machen?“
Sie sah mich verständnislos an.
„Oder die Bässe raus drehen?“, sagte ich dann, denn mir wurde schlagartig klar, dass es nicht die Lautstärke war, die störte, sondern die Bässe als solche. Verdammte Subwoofer.
„Klar, kein Problem“, antwortete sie.
„Wer war denn das?“, hörte ich noch eine andere Stimme aus dem Hintergrund fragen.
„Einer von den Alten von oben“, konnte ich sie noch antworten hören, bevor die Tür ins Schloss fiel.
Oben auf meinem Futon liegend, genoss ich die Stille und dachte darüber nach, woher der Ekel Sartres gekommen war. Von über- und vorlauten Nachbarn vielleicht? Und war hier auch der Grund dafür zu finden, warum er es bis zu seinem Tode vermied, einen festen Wohnsitz zu haben und lieber in Hotelzimmern schlief?
Ich halte das für eine durchaus plausible These, der ich eine genauere Untersuchung wünschen würde.
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Zum letzten Bericht aus Bumsdorf, XIV
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Und hier: „Toddn killed the Videostar – Vol. 5“, Talkshow zum Thema „Rock’n’Heavy – jugendliche Verfehlungen und unbehandelte Hörstürze“ mit den Gästen Axel Klingenberg, Frank Schäfer und dem Duo Rob’n’Rol
Studio Ost, Kastanienallee 53, Braunschweig
26. September, 20.30 Uhr
Eintritt frei, doch der Hut geht rum!