19./30.11.06 „Ich bin die Stadt!“ oder die Verschiebung des Gleichgewichts der Macht (Teil 23)

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In der konstituierenden Sitzung des Rates beschrieb Dr. Gert Hoffmann den Rat als eines von drei Entscheidungsorganen, welche die niedersächsische Verfassung zur Ausübung der Selbstverwaltung der Gemeinden vorgesehen hat. Neben dem Rat gibt es noch den Verwaltungsausschuss und den Oberbürgermeister. Was Hoffmann jedoch in dem Zusammenhang vergaß, war der einleitende Satz des Teiles der Gemeindeordnung, der das Verhältnis der drei Entscheidungsorgane zu einander beschreibt. Sehr klar und eindeutig heißt es in § 31 NGO: Der Rat ist das Hauptorgan der Gemeinde. – d.h., über dem Oberbürgermeister von Braunschweig gibt es noch den Rat; was denn nun eine Wahrheit beschreibt, wie er sie wohl nicht so gerne leiden mag: dass der Rat aufgrund seiner „Überordnung über die anderen Organe (eines davon: der Oberbürgermeister, K.E.) das Hauptorgan der Gemeinde“ ist (Thiele, 7. Aufl. 2004).

Damit versagte Hoffmann dem neuen Rat nicht nur demonstrativ den Handschlag, was man gerne durchgehen lassen kann als die persönliche „Schrulle“ eines sonderlichen Amtsträgers, Hoffmann verweigerte dem Rat als verfasstem Organ die gebührende Anerkennung und Referenz. Bei diesem symbolischen Akt handelte es sich wohl weniger um Unwissen, als um die Unverschämtheit eines Amtsträgers gegen eine konkurrierende Amtsmacht. Denn im eigenen Kommentar zur Gemeindeordnung (hier zu § 31) beschreibt Hoffmann die Rechtsstellung des Rates korrekt wie folgt: „Seine Zuständigkeiten sind auch im Vergleich zu den beiden anderen Organen VA und GD die Bedeutendsten nach ihrer Gewichtigkeit und die Umfassendsten durch die Normierung des Beschlussvorbehalts in § 40 Abs. 2“ (Hoffmann in Thieme, 3. Aufl. 1997)

Die demonstrative Unterlassung, dem Rat den gebührenden Respekt zu erweisen, sowie die Tendenz zur Verengung und Beschneidung der Wirkungsmöglichkeiten des Rates mittels der neuen Geschäftsordnung stellte Ratsherr Peter Rosenbaum in Zusammenhang mit Hoffmanns Kommentar zum § 40 der Niedersächsischen Gemeindeordnung, der die Zuständigkeiten des Rats beschreibt. Das führte zu einigen Verwirrungen. Rosenbaum war wohl der Meinung, Hoffmann wolle über die neue Geschäftsordnung die Rechte des Rates zu Gunsten der Rechte des Oberbürgermeisters beschneiden, d.h. zu Gunsten der eigenen Rechte. Solche demokratiefeindliche Beschneidung von Rechten der legitimen Volksvertretung will Rosenbaum wohl schon im Kommentar gesehen haben.

Bevor wir aber zu § 40 und dem Hoffmannschen Kommentar zu den dort festgehaltenen Zuständigkeiten des Rates kommen, erlauben wir uns einen kleinen Rückblick darauf, wie sich die Machtverhältnisse zwischen den Organen der Kommunen in der Geschichte Niedersachsens entwickelt haben:

Vom Führerprinzip zur Demokratie

„Der Bürgermeister ist der Führer der Gemeinde,“ heißt es in der Ausführungsanweisung zu § 32 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.01.1935. (Porsack, o.J., ca. 1938) Der Rat war nach 1935 dem Führerprinzip untergeordnet, auch wenn ihm nicht jede „Eigenverantwortung“ genommen war, denn § 48 schrieb den Ratsmitgliedern vor: „Sie haben den Bürgermeister eigenverantwortlich zu beraten und seinen Maßnahmen in der Bevölkerung Verständnis zu verschaffen.“

Die Ausführungsbestimmungen erläutern in Abgrenzung zur Gemeindeordnung vor 1935: „Die Gemeindevertreter sind nicht wie die früheren Gemeindevertreter Inhaber eines Mandats, dass ihnen eine politische Partei und die Wahl der Bürgerschaft verlieh, …“ – Abgeschafft war die demokratische Legitimation, und ausdrücklich abgeschafft werden sollte mit der Reform von 1935 auch eine auf Ausgleich, wechselseitige Kontrolle und Beschränkung ausgelegte Balance der Macht, wie die Ausführungsbestimmungen weiter verdeutlichen: „Daraus ergibt sich schon, dass sie in keiner Richtung hin die Aufgabe der früheren Vertretungskörperschaften übernehmen, Gegenspieler der Gemeindeverwaltung zu sein, dass sie vielmehr in gleicher Richtung mit dem Bürgermeister zum Wohle der Gemeinde zu wirken haben.“

Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde die nach dem Führerprinzip ausgerichtete Gemeindeordnung in der britischen Verwaltungszone, zu der Niedersachsen gehörte, erneut grundlegend geändert. Mit Verordnung Nr. 21 der Militärregierung Britisches Kontrollgebiet wurde den Norddeutschen Kommunen zum 1. April 1946 der Weg in die Demokratie verordnet: „Die Verwaltung der Gemeinde liegt voll und ausschließlich der Gemeinde ob.“ und „Der Bürgermeister ist der Vorsitzende des Rates. Er hat keine größeren Machtbefugnisse als die übrigen Gemeinderäte, …“ (DGO, Textausgabe für das Land Niedersachsen, Stand 21. Dez. 1948) Der Weg in die Demokratie sollte schrittweise erfolgen. Erst einmal galt: „Die Militärregierung hat als ihr politisches Ziel verkündet, das Naziwesen auszutilgen, die politischen Ziele und Lehren der nationalsozialistischen Partei aus dem deutschen Recht auszumerzen, ordnungsgemäße Regierungsmethoden einzuführen und der deutschen Bevölkerung das Recht und die Verantwortung zur Führung ihrer eigenen Angelegenheiten zu geben. Diese Politik kann nur schrittweise zur Ausführung gelangen; die Schaffung völlig demokratischer Einrichtungen, die auf dem Wahlprinzip beruhen, muß in Stadien vor sich gehen“ (Anlage zur Verordnung Nr. 21).

Am 1. April 1955 war es dann endlich so weit, die Niedersächsische Gemeindeordnung trat in Kraft. Mit ihr wurde ein Ziel der britischen Militärregierung erreicht: § 31 NGO : „Der Rat besteht aus den Ratsherren;“ – naja, ist noch nicht so dolle, aber heute haben wir dafür im Rat der Stadt „Ratsfrauen“ und „Ratsherrinnen“ gleich im Doppelpack – und jetzt kommt es wirklich: „sie werden von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“

Demokratische Grundprinzipien

a) Damit ist ein erstes Grundprinzip des Demokratieverständnisses westlicher Prägung ausformuliert, wie es das Grundgesetz festlegte und wie es auch in die Gemeindeordnungen implantiert werden sollte: geführt werden sollte das Land durch eine Herrschaft der Vielen (Demokratie), nicht der Wenigen (Oligarchie) oder gar eines Einzelnen (Tyrannei).

Einen Weg in das kollektive Bewußtsein hat dies Prinzip in der Neuzeit wohl auch über die Religion gefunden, über den protestantischen Aufstand gegen das autoritäre, von oben nach unten durchorganisierte Papsttum. So breitete sich der Calvinismus auch als Regierungsform mit den Puritanern aus und fand vergleichsweise eine Reinform in der Organisation der Kommunen im amerikanischen Exil der legendären Providence Plantations auf Rhode Island: „self-governing towns which in due course were federated under a written constitution, known as the Fundamental Articles – a system based on the faith that the Scriptures held forth a perfect rule for the government of all men in church and state and family.“ (Beard, Rise of American Civilisation, 1925) So heißt es schon 1647 über das von Roger Williams gegründete Gemeinwesen: „It is agreed … that the forme of government established in Providence Plantations ist Democraticall“ – und gemeint war damit eine Herrschaft von unten, eine Herrschaft der Vielen, im Gegensatz zu einer autokratischen Herrschaft von oben durch Papsttum oder Monarchie.

Auch von Luther ist ein früher Beleg aus einer Tischrede überliefert: „Demokratia, wo die vielen regieren, als in Schweizen und Dytmars, Oligarchia als in Erfurdt“. (Demokratie, wo die vielen regieren, wie in der Schweiz und in Dithmarschen, Oligarchie wie in Erfurt). Aber der 30-jährige Krieg warf die deutschsprachigen Länder nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in der politischen Organisation weit zurück in feudale Kleinstaatlichkeit im Vergleich zu den calvinistisch geprägten Ländern Holland, Groß-Brittanien und dann auch die USA.

b) Ein zweites Grundprinzip, das den Demokratiebegriff der Bundesrepublik prägt, ist das der Gewaltenteilung. Aristoteles (Pol. IV, 14) unterschied: „Es gibt in jeder Verfassung drei Bestandteile, bezüglich deren der tüchtige Verfassungsgeber erwägen muss, was einem jeden frommt. … Von diesen dreien ist eines die über gemeinsame Angelegenheiten beratende Gewalt, das zweite betrifft die Magistratur; … das dritte ist die Rechtspflege.“

über Montesquieu fand die Gewaltenteilung Eingang in die politische Theorie der Neuzeit. Montesquieu ging es um die Beschränkung bzw. Selbstbeschränkung (absoluter) Macht durch Teilung der Gewalten, um eine Balance der Macht, eine Ab- und Ausgewogenheit der Gewalten untereinander und auch im Innenverhältnis, ein Grundprinzip, welches über Frankreich und die französische Revolution auch Eingang fand in die amerikanische Verfassung mit dem System der „Checks and Balances“ … und letztlich mit § 20 auch in das Grundgesetz der BRD.

Mit der Zivilisierung von Macht durch Schaffung sich gegenseitig kontrollierender Machtzentren tat sich Lindemann (1955) in der Einleitung zur damals neuen NGO noch schwer. So schreibt er skeptisch zum Verwaltungsausschuss: „Durch Schaffung des Verwaltungsausschusses ist zusätzlich in den Rat der Gemeinde eine Gegensätzlichkeit zwischen den dem Verwaltungsausschuss angehörenden Mitgliedern hineingetragen worden; auf der anderen Seite fühlt sich das berufliche Element der Gemeindeverwaltung durch den Verwaltungsausschuss in seinen Funktionen eingeengt.“ Lindemann sieht das Spannungsfeld zwischen entscheidendem Organ (Rat) und ausführendem Organ (Verwaltungsausschuss und Verwaltungsoberhaupt) zwar in erster Linie als Problem, aber dann doch auch unter optimistischem Vorzeichen: „die Notwendigkeit einer fachlich leistungsfähigen Gemeindeverwaltung mit dem Streben nach einem starken Einfluss des Bürgers auf diese zu einer fruchtbaren Synthese zu führen, ist das schwierigste Problem jeder modernen Gemeindeverfassung.“

§40 NGO

Steigen wir gleich in den Hoffmannschen Kommentar ein mit den Sätzen drei bis fünf in der Kommentierung; Hoffmann in Thieme S. 147:

Der ursprüngliche § 44 NGO wies dem Rat konsequent die Beschlussfassung „in allen Angelegenheiten der Gemeinde, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt“ zu. Dazu gab es einen Vorbehaltskatalog für bestimmte Aufgaben (§ 35 a.F). Im Rahmen der grundlegenden Novellierung von 1963 ( … ) ist der jetzige § 40 mit seinem mit einem speziellen Zuständigkeitskatalog entstanden.

Hoffmann erweckt hier einen völlig falschen Eindruck über den Unterschied zwischen alter und neuer Fassung in der Regelung über die Zuständigkeiten des Rates und man könnte fast meinen, der Tippfehler „§ 35“ bei Hoffmann statt „§ 45“ sei mit Absicht eingefügt, um zu suggerieren, § 35, der Paragraph der die Vorbehalte katalogisiert, sei ziemlich weit weg vom § 44, der die Zuständigkeiten des Rates regelt. Der „Vorbehaltskatalog“ von 1955 ist aber nahezu identisch mit dem „Zuständigkeitskatalog“ nach der Novellierung von 1963.

1955 hieß es §45: „Folgende Angelegenheiten sind der Beschlussfassung des Rats vorbehalten“; nach der Änderung 1963 hieß es §40: „Der Rat beschließt ausschließlich über“

Von 17 Punkten des „Vorbehaltskataloges“ von 1955 werden 16 Punkte in den Zuständigkeitskatalog von 1963 übernommen, ausgenommen ist nur Punkt 17, der tautologischen Charakter hat:

Demnach sind der „Beschlussfassung des Rats vorbehalten“:
17. Angelegenheiten, in denen, abgesehen von Fällen der Nr. 1 bis 16, durch Gesetz die Zuständigkeit des Rates ausdrücklich vorgeschrieben ist.

Dank an den Gesetzgeber für den netten Hinweis, aber ich denke, wir wussten schon vorher, dass der Rat für alle Dinge zuständig ist, für die der Gesetzgeber dies vorschreibt. Den Punkt konnte man sich also wirklich sparen und man hat ihn sich und uns erspart. Nach wie vor war der Rat zuständig für – fassen wir stichwortartig zusammen: Namen/Wappen u. Flagge, Gemeindegrenzen, Ehrungen, Satzungen, Haushaltssatzungen, Jahresrechnung, öffentliche Abgaben, öffentliche Einrichtungen und wirtschaftliche Unternehmen, Gemeindevermögen, Pacht- und Betriebsführungsverträge, Darlehen, Bürgschaften, Sicherheiten, Vermögungsumwandlungen und Nutzungsrechtsveränderungen, Mitgliedschaft in Zweckverbänden, Stiftungen sowie „16. die übernahme neuer Aufgaben, für die keine gesetzliche Verpflichtung besteht.“

Die Hauptanliegen, für die der Rat zuständig ist, sind also im Katalog enthalten, es geht nur um einen offenen Restbestand an Aufgaben und Anliegen, die nicht im Katalog enthalten ist und auch nicht von anderen Paragraphen oder Gesetzen bestimmt sind.

Namensgebungskompetenz, wie Wappen- und Flaggenrecht, im Katalog alten Fassung Punkt 1 und Punkt 2 der Zuständigkeiten, wurden in Punkt 2 des neuen Kataloges zusammengefaßt. Eine weitere ausschließliche, d. h. unveräußerbare Zuständigkeit des Rates kommt aber als neuer Punkt 1 hinzu:

1. Aufstellung von Richtlinien, nach denen die Verwaltung geführt werden soll.

Statt weiterer konkreter Zuständigkeiten hat der Rat mit dem ersten, einleitenden Punkt eine allgemeine Richtlinienkompetenz zugesprochen bekommen, kann also die abstrakte Weise pfeifen, nach welcher der Oberbürgermeister dann konkret zu tanzen hat. Hoffmann ist das hier keiner Erwähnung wert – wer ihn kennt, wird sich nicht wundern.

Mit den nächsten, 6. und 7. Sätzen kommentiert Hoffmann § 40, Abs. 2 (der definitive Zuständigkeitskatalog war in Abs. 1) und stellt fest:

Auf andere Zuständigkeiten kann der Rat nur noch im Wege des „Vorbehaltsbeschlusses“ nach Abs. 2 oder nach einem „Zuweisungsbeschluss“ des VA (ebenfalls Abs. 2) zugreifen. Beides wird wenig praktiziert.

Dass „in der Praxis von dieser Möglichkeit so gut wie kein Gebrauch gemacht wird“, wissen wir beispielsweise auch vom hier im ersten Halbsatz zitierten Seewald (1978, in: Probleme der Optimierung des kommunalen Verfassungsrechts). Dennoch handelt es sich erst einmal um eine erhebliche Kompetenz. § 40, Abs. 2, Satz 1 lautet:

Der Rat beschließt über Angelegenheiten, für die der Verwaltungsausschuss, der Werkausschuss oder auch nach §62, Abs. 1, Nr. 6 die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister zuständig ist, wenn er sich im Einzelfall die Beschlussfassung vorbehalten hat.

Dem Rat bleibt es also ausdrücklich vorbehalten, die Zuständigkeiten, die den anderen Organen zugeschrieben wurden, zu übernehmen, wenn er es denn will. Wenn das selten vorkommt, mag es auch daran liegen, dass es dem Rat selten sinnvoll oder notwendig erscheint. Jedenfalls hat er nicht nur definitiv eine generelle Richtlinienkompetenz, er hat auch die Möglichkeit, sich im konkreten Einzelfall die Beschlussfassung vorzubehalten.

Fassen wir die Hauptmerkmale der Änderungen der NGO, die Ratszuständigkeiten betreffend, von 1955 zu 1963 zusammen:

§ 44 der alten Fassung bestimmte mit Abs. 1, Satz 1 allgemein:
Der Rat beschließt in allen Angelegenheiten der Gemeinde, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt; die Gemeinde wird nach seinen Richtlinien verwaltet.

und § 45 brachte dann einen konkreten Zuständigkeitskatolog. Der zweite Halbsatz von § 44, die allgemeine Richtlinienkompetenz, wurde für die neue Fassung in den konkreten Zuständigkeitskatalog integriert. Der erste Halbsatz, erst einmal wie eine „Muss-Bestimmung“, wird in der neuen Fassung durch den in einem eigenen Absatz gebrachten Vorbehaltsbeschluss zu einer „Kann-Bestimmung“ abgemildert. Aber auch das war in der alten Fassung schon vorpraktizeirt, nur auf andere Weise, wenn mit

§ 44, Abs. 2, Satz 2 die „Muss-Bestimmung“ der alten Fassung ebenfalls schon in eine „Kann-Bestimmung“ überführt wurde, indem es heißt:
Er kann, soweit nicht § 45 entgegensteht, seine Befugnisse auf den Verwaltungsausschuss und den Gemeindedirektor, für bestimmte Angelegenheiten auch auf Ausschüsse, übertragen; er kann diese Befugnisse jederzeit wieder an sich ziehen.

Kurzum: eine wesentliche Einschränkung oder auch nur Verschiebung der Zuständigkeiten des Rates ist durch die Novellierung von 1963 nicht erfolgt, es geht hier mehr um eine Umgruppierung innerhalb des Gesetzes, indem zwei Paragraphen der alten zu einem Paragraphen der neuen Version zusammengefaßt wurden.

Gehen wir weiter zu den nächsten Sätzen im Kommentar, mit denen Hoffmann vom deskriptiven Erfassen des Gesetzestextes zum Argumentieren, zum logischen Schlussfolgern übergeht und hier wird es denn wirklich außerordentlich abenteuerlich:

Dass diese Novellierung eine grundlegende Weichenstellung und keine zufällige war, wird schon dadurch deutlich, dass der ursprüngliche Regierungsentwurf ( … ) neben dem Zuständigkeitskatalog eine Art „Wesentlichkeitsklausel“ enthalten hatte, wonach der Rat zuständig sein sollte bei allen Angelegenheiten, „die ihrer Bedeutung nach einer solchen Entscheidung bedürfen“. … Der Gesetzgeber ist diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt, und hat damit eindeutig festgelegt, dass es nach nds. Kommunalverfahren keine Angelegenheiten gibt, die „ihrer Bedeutung nach“ zu den wesentlichen und wichtigsten Gemeindeaufgaben gehören und deshalb vom Rat beschlossen werden müssen (… ).

30.11.06
Die Schlussfolgerung enthält gleich mehrere klassische Denkfehler.

– Denn allein aus der Tatsache, dass ein bestimmter Satz oder Halbsatz an einer Stelle gestrichen wurde, folgt erst einmal gar nichts. Der normative Gehalt des gestrichenen Satzes könnte beispielsweise auch an anderer Stelle eines Gesetzeswerkes in anderer Formulierung gesetzt sein. In § 40 geht es um den Zuständigkeitsbereich des Rates – in Abgrenzung zu den Zuständigkeitsbereichen des Verwaltungsausschusses und des Bürgermeisters. Gleiches könnte aber auch in den Teilen gesagt werden, in denen es um den Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters oder des Verwaltungsausschusses geht, jeweils in Abgrenzung zu den anderen zwei Organen.

– Weiter verletzt Hoffmann elementare Regeln logischen Schließens. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass der Satz gestrichen werden sollte, weil er für falsch gehalten wird, was aus der Streichung einer Textpassage – wie gesagt – nicht folgt, kann keinesfalls aus der für diesen Fall dann treffenden Behauptung, dass der Rat nicht bei allen Angelegenheiten, „die ihrer Bedeutung nach einer solchen Entscheidung bedürfen“ zuständig sein soll, geschlossen werden, dass er nicht doch zumindest bei einigen oder auch vielen solcher Entscheidungen zuständig sein soll.

– Besonders ungenügend erscheint die gedankliche Durchdringung des Komplexes, weil Hoffmann das Fehlen einer „Wesentlichkeitsklausel“ gerade im Zusammenhang mit dem so genannten „Vorbehaltsbeschluss“ diskutiert, der es dem Rat vorbehält, auch über Angelegenheiten zu beschließen, „für die der Verwaltungsausschuss … oder der Bürgermeister zuständig ist“. Denn wenn Hoffmann im Anschluss auch sehr richtig sagt:

Einen übergeordneten Verfassungssatz, wonach „wesentliche“ Angelegenheiten zwingend dem „Gemeindeparlament“ vorbehalten sind … gibt es nicht – dann haben wir es hier doch mit dem folgenden Sachverhalt zu tun:
Dem Rat wird mit § 40, Abs. 2 das Recht eingeräumt wird, sich auch Angelegenheiten des Oberbürgermeisters für eine Entscheidung vorzubehalten (ein Recht, das der Rat natürlich nicht zwingend wahrnehmen muss), wozu selbstverständlich auch „wesentliche“ Angelegenheiten gehören. Ohne den gestrichenen Halbsatz steht es dem Rat aber eben auch frei, neben wesentlichen Angelegenheiten sich auch die Entscheidung über weniger wesentliche oder unwesentliche Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Oberbürgermeisters die vorzubehalten – es liegt in seinem freien Ermessen – und in der Natur der Problematik, dass er sich auf „wesentliche“ Dinge konzentrieren wird.

Im März 1997 schloss Herausgeber Werner Thieme den Kommentar zur Niedersächsischen Gemeindeordnung mit einem Vorwort ab, in dem Hoffmann die Zuständigkeit des Rates kommentiert.

Im Mai 1997 definierte der Bundesgerichtshof „Geschäfte der laufenden Verwaltung“ und beschrieb damit die Zuständigkeit des Bürgermeisters in Abgrenzung zu den Zuständigkeitsbereichen der anderen Organe. In einem Urteil stellte er fest, dass der Bürgermeister für Angelegenheiten zuständig sei, die „mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren“, die „nach feststehenden Grundsätzen in eingefahrenen Gleisen erfolgen“, und die „von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind“ …

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Hiermit soll der Beitrag beendet werden, der Problemkomplex ist mit Sicherheit nicht erschöpft oder gar abgehakt, vor allem nicht für Braunschweig, deswegen werden wir voraussichtlich in weiteren Beiträgen für die geneigten und ungeneigten Leser darauf zurückkommen. Das Drama wird wohl weitergehen.

Nur eins ist sicher: Braunschweig ist keine graue Maus mehr, Braunschweig spielt eine entscheidende Rolle auf der Weltbühne, im Konzert der ganz, ganz Großen, wie auch immer die Rolle ausfällt …

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