Zur Schließung der Stadtteilbäder

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Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich trotzdem noch heute mein Apfelbäumchen pflanzen.“ (Martin Luther)

Braunschweig – Stadt der Nichtschwimmer?

– Spaß, Wellness und Kommerz statt Sport und Gesundheit –

Schließung der Stadtteilbäder ist nur ein Teil von unsinnigen Entscheidungen in Braunschweig

So ähnlich wie in dem Spruch von Luther mag es vielleicht auch manchen Personen in Braunschweig gehen, was die Schließung weiterer Stadtteilbäder hier in der Stadt betrifft. Im Jahr 2007 beschloss der Rat der Stadt Braunschweig den Bau eines „Spaß- und Erlebnisbades“ an der Hamburger Straße. Wegen der damit verbundenen Kosten sollten entsprechend die Bäder in Gliesmarode und Wenden, das Nordbad und das Freibad in Waggum geschlossen werden. Eigentlich eine gruselige Vorstellung ….

Senioren, Behinderte, Vereine und Schulen als Verlierer

Die Entscheidung im Rat erfolgte mit den Stimmen der großen Parteien von CDU, FDP und SPD, also mit einer breiten Mehrheit. Das Eigenartige daran ist, dass es jedoch in der Bevölkerung immer eine breite Mehrheit dagegen gab, und das aus sehr unterschiedlichen Kreisen. Betroffene (bzw. Leidtragende) des Beschlusses sind in erster Linie Senioren, Behinderte, Schulen, Vereine und viele Einzelpersonen, die gerade wegen der räumlichen Nähe diese Stadtteile besucht haben. Es sind Gruppen und Menschen, die normalerweise auch eher nicht demonstrieren würden. Es war einfach eine Entscheidung gegen viele Menschen, die gern schwimmen gehen oder es sogar auch gesundheitlichen Gründen brauchen, wie alte Menschen, Behinderte u.a.

Entscheidung gegen die Bürger

Im Grunde könnte man sagen, dass hier eine Entscheidung von Politikern gegen eine Mehrheit von Bürgern getroffen wurde. Was waren die Gründe für eine solche Fehlentscheidung, die eigenartigerweise doch eine breite Mehrheit im Rat fand.

Vor Augen hatte man sicherlich das Badeland in Wolfsburg, ein sehr attraktives Bad, zu dem auch viele Menschen aus Braunschweig gern fahren. Sicherlich wollte man sich mit Wolfsburg messen, vielleicht auch übertreffen. Das war sicher sehr kurzfristig gedacht.

Vergleich mit Wolfsburg führt in die Sackgasse

Man kann Braunschweig aber kaum mit Wolfsburg vergleichen. Braunschweig ist eigentlich eine Stadt mit hoher Wohnqualität, die sich jedoch seit einigen Jahren in rapider Weise verschlechtert hat: als Stadt ohne Jugendherberge, ohne Eissporthalle, Schließung des Freizeit- und Bildungszentrums – nun die Schließung der Stadtteilbäder…

Wolfsburg als Stadt ist dagegen sicher weniger attraktiv, eher langweilig und etwas grau. Menschen, die in Wolfsburg bei VW arbeiten, weichen zum Wohnen eher ins Umland aus, nach Fallersleben, Gifhorn oder auch Braunschweig. Manche wohnen gar in Hannover oder Berlin. Es gibt zwar einige punktuelle Highlights in der Stadt wie das Planetarium, das Phaeno, die Autostadt, die Eissporthalle – und eben das „Badeland“, die das Wohnen vor Ort etwas erträglicher machen.

Braunschweig hat dagegen eine gewachsene Kultur und Tradition, die überall zu spüren ist, verbunden mit einem breiten Angebot von Kultur, Musik, Theater, Kunst, Wissenschaft und Sport. In einigen Bereichen wird das langsam zerstört. Und es reicht nicht, dass Eintracht nun in die 1.Liga aufgestiegen ist. Das Manko in anderen Bereichen wird dadurch eher nur verdeckt.

„Rückschritt durch Technik“

Das neue „Erlebnis“- bzw. Spaßbad wird deutlich mehr Eintritt kosten, als es in den bisherigen Bädern, insbesondere dem Gliesmaroder Bad, der Fall ist. Wahrscheinlich wird eine Tageskarte 14 € (vielleicht auch 16 €?) kosten, dazu vielleicht auch eine Parkplatzgebühr?

In Wolfsburg erhält man dann einen Schlüssel, der für alles gilt: für den Schrank, man kann alles damit einkaufen. Am Schluss kommt dann die Rechnung – für eine Familie dann vielleicht 80 oder 90 €… Statt jedes Mal bei einem Einkauf zu bezahlen, geht so die Kontrolle verloren. – Ein gutes Beispiel für „Rückschritt durch Technik“. Allein der Kommerz siegt… und die Menschen, die es sich leisten können. Die anderen, einfache Familien, Geringverdiener, Rentner usw. bleiben auf der Strecke.

Nur kommerzielles Denken führte zu abstrusen Begriffen wie „Konzern Braunschweig“

Die Schließung mehrerer Stadtteilbäder zugunsten eines Spaßbades ist aber nur ein Beispiel dafür, wieweit sich die Politik von den Menschen entfernt hat, dass es in der Stadt nur um Kommerz und Profit geht.

Vor einigen Jahren hat es bis zu begrifflichen Konstruktionen geführt, die völlig abstrus sind: Beispiel „Konzern Braunschweig“. Einige Personen waren sogar stolz auf diesen abwegigen Begriff, der den Menschen nur noch unter reinen ökonomischen Gesichtspunkten sieht. – Das waren Zeiten, in denen in Krankenhäusern plötzlich von Kunden statt Patienten gesprochen wurde. Einige Zeit war dieser Begriff „in“, bis man merkte, dass schon die Denkweise, die darin zum Ausdruck kommt, sehr eigenartig und unpassend ist. Entweder ist man krank und geht zum Arzt und ist ein Patient – oder man ist nicht krank. Aber man ist kein Kunde. Oder kann man sich vielleicht aussuchen, welche Operation gerade durchgeführt werden soll, welche gerade im Angebot ist? Gegen dieses kommerzielle Denken, das den Menschen eigentlich zur Ware degradiert, sollte eigentlich energisch angegangen werden.

Eine gesichtslose SPD unterstützte die Zerschlagung der Stadtteilbäder

Wenn ein Rat zu den Bürgern den Bezug verliert, sollte das entsprechend ausgedrückt werden. Das gilt insbesondere für die SPD, die viele dieser kommerziellen Entscheidungen, die gegen Bürger gerichtet waren, mitgetragen hat – es war eher eine „gesichtlose“ SPD, mit Ja-Sager- und Mitläufer-Mentalität. Nur so war es möglich, dass – außer dieser fatalen Entscheidung – auch andere soziale Projekte einem vordergründigen kommerziellen (und unsinnigen) Denken geopfert werden konnten.

Stadt ohne Stadtteilbäder, ohne Eissporthalle, ohne Jugendherberge, ohne Freizeit- und Bildungszentrum …

Zu den Auswirkungen dieses unsozialen Denkens zählt u.a. – wie schon erwähnt

–   der Abriss der Eissporthalle

–   das unendliche Projekt einer Jugendherberge (seit über 10 Jahren gibt es keine Jugendherberge bzw ein Jugendgästehaus in der  Stadt)

–   der Abriss des Freizeit- und Bildungszentrums (mit einer quälenden Neusuche – immer wieder verpackt in schönen und hinhaltenden Worten…)

Was bedeutet es für eine Stadt, die sich in solcher Weise nicht mehr um die Belange junger Menschen bemüht?

Was wird aus dem Sportplatz an der Kälberwiese?

Ein anderes Beispiel ist der Sportplatz an der Kälberwiese. Es bestehen Überlegungen, ihn abzuschaffen (da jetzt kein Bedarf mehr sei) und das Gebiet als Wohngebiet auszuschreiben. Ein völliger Unsinn. Natürlich würde genug Bedarf von Schulen und Vereinen bestehen, aber es besteht wieder ein Hang, auch den letzten Fleck Grünfläche dem Profit zu opfern. Muss denn alles bebaut werden, muss jeder Fleck genutzt werden? Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens.

In einer Stadt leben auch Menschen, die nicht nur als Ware, als Verbraucher gesehen werden dürfen. Und dann die Frage: Wofür bezahlt man eigentlich Steuern – wenn Schwimmbäder, Eishalle, Bildungseinrichtungen (FBZ) geschlossen und Sportplätze bebaut werden? Als Stadt ohne Jugendherberge, dafür mit einem 4-Sterne-Hotel, wo einst ein viel genutztes  Bürgerzentrum stand. Wenn Schulen z.T. völlig marode sind, es durchregnet, die Klinken von den Türen abgehen, die Toiletten in einem furchtbaren Zustand sind, Unterricht in Containern stattfindet. – Wenn andererseits einige wenige Schulen in PPP-Verträgen hohe Geldsummen bekommen und aufwendig renoviert werden.

„Konzern Braunschweig“ – sinnentleerte Ökonomisierung als Strategie

Vielleicht sind das alles noch Nachwirkungen der merkwürdigen Idee eines „Konzerns Braunschweig“: reine Ökonomisierung als Prinzip, Soziales eher als Marketing-Strategie oder Werbespruch. So ist die Gesellschaft sinnentleert und äußerlich. Eine schöne Glitzerwelt ohne innere Substanz. Komasaufen und Ballermann sind nur ein Ausdruck dieser inhaltlos gewordenen Welt.

Einseitiges ökonomisches Denken führte im Rat zu zahlreichen Fehlentscheidungen

Wirtschaft ist nicht alles, hieß es mal in einem schönen Leserbrief in der FAZ. Das scheint jedoch in Braunschweig keine Berücksichtigung zu finden.

Wie ist es nur möglich, dass eine solche Vielzahl an Fehleinschätzungen bzw. Fehlentscheidungen im Rat der Stadt Braunschweig getroffen werden, die von reiner Raffgier bzw. Kommerz zeugen, fern von einem Bildungsauftrag und kulturellem und sozialen Empfinden. Leider ist es kaum möglich, das neue Steigerwald-Hotel bald wieder abzureißen und ein neues FBZ dort zu bauen. So wird es stehen bleiben als fatales Symbol einseitigen Kommerzdenkens. Stattdessen wird die Suche nach einem geeigneten Platz für ein neues FBZ weitergehen wie eine unendliche Geschichte.

Vielleicht ist ja das Steigerwald-Hotel schon nach 40 Jahren ein Sanierungsfall – wie die IGS in der Weststadt. Dann könnte es ja abgerissen werden. Da es aber kein städtischer Träger ist, dauert es vielleicht noch einige Jahre länger. – Städtische Gebäude werden oft eher nach dem Billig-Prinzip erstellt. Nur eben die PPP-Schulen erhalten mehr Geld, wo die Stadt das Geld dem Konzern Hochtief zukommen lässt. Dafür haben die Schulen dann keinen Hausmeister mehr. Auch das ist ein Unding: Jeder, der an einer Schule arbeitet, weiß, wie wichtig ein guter Hausmeister ist. Neben der Schulsekretärin prägt auch er die Schule, auch als eine Art Seele der Schule. Wer das in Frage stellt – egal ob aus Gewinnsucht oder Sparsamkeit, raubt der Schule ein wichtiges Stück Seele: Auswirkungen eines seelenlosen Ökonomiedenkens im Sinne des Konzerns Braunschweig.

Das Beispiel „Schloss“: früher gab es immerhin noch einen Schlossgarten…

Ich selber bin kein Gegner des Schlosses. Aber so, wie es umgesetzt wurde, fehlt etwas: der Schlossgarten, ein wenig Grün in der Innenstadt. Jetzt ist dort alles zubetoniert, dort, wo es früher einen Schlossgarten gab, steht ein Parkhaus – als hässlicher Anbau der „Schloss-Arkaden“ mit Geschäften wie Rossmann, DM, Tchibo usw.

Das ist Kommerz auf billigster Stufe. Kein Empfinden mehr für Stil oder Ästhetik. Im Grunde müsste dieser Schloss-Anbau teilweise wieder abgerissen werden, weil er für Auge und Seele eine Zumutung ist. Stattdessen müsste dort ein Park um das Schloss herum entstehen, mit Bäumen, Rasenflächen und Bänken. – Die Niveaulosigkeit und Geschmacklosigkeit durch reinen Kommerz hat hier seinen sichtbaren Ausdruck gefunden.

Zum Schwimmbad Gliesmarode

Vielleicht findet sich doch noch ein Weg, dass das Schwimmbad erhalten werden könnte. Die ursprünglichen Zahlen für eine Renovierung für 9 oder gar 11 Millionen Euro drückten eher den Willen der Stadt aus, dass eine Renovierung nicht geleistet werden könnte. – Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass es durchaus günstiger geht. Auch hier ist es letztlich wieder eine Frage des politischen Willens. Das Gleiche würde das Nordbad betreffen, das nicht einmal eine Konkurrenz für das Spaßbad wäre, da es ganz andere Nutzergruppen (Senioren, Behinderte, Vereine) dort gibt.

Oder wird Braunschweig später einmal eine Stadt der Nichtschwimmer werden, aus lauter Freude am Spaß und Wellness.

Entscheidungen noch einmal überdenken.

Vielleicht sollte sich die Stadt auch wieder auf innere Werte besinnen und etwas mehr für den Bürger tun. Eine Zeitlang hat so der Rat der Stadt Entscheidungen gefällt, die an den Menschen vorbeigehen, indem man sich einseitig an Spaß und Profit orientiert hat. Vielleicht können diese Entscheidungen noch einmal überdacht werden. Braunschweig hätte es verdient, denn im Grunde ist es eine schöne attraktive Stadt mit einer langen Geschichte und Kultur.

Der Förderverein „Badezentrum Gliesmarode e.V.“

Im Juni 2013 hatte sich eine Bürgerinitiative zur Erhaltung des Schwimmbades in Gliesmarode gebildet. Daraus ist inzwischen ein Förderverein geworden, der sehr aktiv ist und sich jeden Woche dienstags um 19 Uhr im Soolanger 1 trifft. Interessenten sind jederzeit herzlich willkommen. – Noch ist es nicht zu spät, auch wenn die Chancen, das Bad zu retten, sehr gering sind. Nähere Informationen zum Förderverein erhält man auf dessen Webseite unter www.gliesmaroder-bad-erhalten.de.

Inzwischen gibt es über 300 Mitglieder des Fördervereins.

Veranstaltung zur Vorstellung des neuen Gutachtens am 21.Januar 2014

Anbei ein Hinweis auf eine nächste wichtige Veranstaltung des Fördervereins. Dieser hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, das inzwischen fertig ist und am Dienstag, den 21.Januar 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.

Wer also das Bad vielleicht noch retten möchte, kann sich hier informieren.

Vorstellung des neuen Gutachtens zum Gliesmaroder Bad am Di, 21.Januar 2014, um 19 Uhr

im Begegnungszentrum Am Soolanger 1, Braunschweig

Außerdem findet am So, den 19.Jan.2014, um 10 Uhr in der Brunsviga eine Veranstaltung statt mit dem Titel “ ‚Spaßbad‘ zerstört Bäderlandschaft“. Nähere Infos dazu unter www.igmetall-wob.de/wohnbezirke

 


Kommentare   

 
+1 #1 Santa 2013-12-26 17:22
Die einen sehen Fehlentscheidungen, die anderen wohlüberlegte. Problem ist, dass leider nur kleinere Bürgerinitiativ en kritisieren, klagen und dauernd auf Probleme hinweisen, die oftmals von der schweigenden inaktiven Mehrheit der Bürger als „fremde“, ziemlich begrenzte Probleme oder Schwierigkeiten der einzelnen Protestgruppen gesehen werden – zumindest bis zu dem Tag, an dem ein Problem zum eigenen wird. Die Zersplitterung der Interessen, die mangelnde Solidarität macht solche Entscheidungen über die Mehrheit der Bürger in BS erst möglich. Daher wäre empfehlenswert statt „Klein-Klein-Pr obleme“ und Einzelthemen generell mal einen übergreifenden Zukunfts-Bürger plan aufzustellen, der den Willen und die Mehrheit der Braunschweiger Bürger und Bürgerinnen respektiert, sich an ihnen orientiert.

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