Der Vertrag ist ein mächtiges Instrument, um die Energiewende zu blockieren
In einem – in zahlreichen internationalen Medien veröffentlichten – offenen Brief fordern mehr als 200 Wissenschaftler/-innen und Klimaschützer/-innen die Regierungen auf, aus dem sogenannten Energiecharta-Vertrag auszusteigen.
Der Vertrag behindert den Übergang zu sauberer Energie. Er ermöglicht fossilen Energieunternehmen, Staaten via Paralleljustiz für klimafreundliche Gesetze abzustrafen, wenn diese ihren Profit schmälern. Der Vertrag steht damit im Widerspruch zum Pariser Klimaabkommen sowie dem Green Deal der EU. Aktuelle Fälle sind die Klage des schwedischen Vattenfall-Konzerns gegen Deutschland auf ca. 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen der vorzeitigen Stilllegung von zwei maroden Atomkraftwerken (Krümmel und Brunsbüttel), die Klage von UNIPER gegen den Kohleausstieg der Niederlande oder die Klage des Fracking-Konzerns Ascent Resources gegen Slowenien. Unter den Unterzeichnenden des Briefes sind:
- Sandrine Dixson-Declève, Ko-Präsidentin des Club of Rome
- Connie Hedegaard, ehemalige EU-Kommissarin für Klimawandel
- James K. Galbraith, Ökonom
- Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin
- Rachel Kyte, ehemalige Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für nachhaltige Energie
- Thomas Piketty, Ökonom
- Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte
- Jean-Pascal van Ypersele, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Weltklimarates IPC
Der offene Brief im Wortlaut (Übersetzung Attac Österreich):
Treten wir aus dem Energiecharta-Vertrag aus!
Wir fordern den Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag, weil er den Übergang zu sauberer Energie behindert. Fossile Brennstoffe machen 72 Prozent der europäischen Energieversorgung aus – um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, muss diese Art der Energieversorgung so schnell wie möglich beendet werden. Ein rascher Übergang zu einem erneuerbaren Energiesystem ist dringend erforderlich.
Der Energiecharta-Vertrag stellt ein großes Hindernis für diesen Übergang dar: Er schützt Investitionen in die Energieversorgung, einschließlich Kohlebergwerke, Öl- und Gasförderung, Pipelines, Raffinerien und Kraftwerke. Der Vertrag erlaubt es Energieunternehmen, fast jede staatliche Maßnahme anzufechten, die sich auf den erwarteten Gewinn des Investors auswirken kann. Rechtsstreitigkeiten dieser Art werden nicht von nationalen Gerichten, sondern in undurchsichtigen privaten Schiedsgerichtsverfahren entschieden. Gegen Regierungen werden Schiedssprüche in Milliardenhöhe verhängt – und mit Steuergeldern bezahlt. Die Investoren können sogar für entgangene Gewinne Schadenersatz einfordern.
Energieunternehmen nutzen den ECT, um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu verlangsamen. Zum Beispiel verklagt der britische Ölkonzern Rockhopper Italien wegen des Verbots der Ölförderung in den Küstengewässern des Landes und fordert das Siebenfache der Summe, die das Unternehmen ursprünglich investiert hat. Der britische Energiekonzern Ascent Resources verklagt Slowenien, weil es von dem Unternehmen eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt, bevor es mit der Erdgasexploration durch Fracking beginnt. In den Niederlanden hat der Betreiber eines Kohlekraftwerks ein Schiedsgerichtsverfahren gegen das Kohleausstiegsgesetz der niederländischen Regierung eingeleitet, in dem er laut Medienberichten 1 Milliarde Euro Entschädigung fordert.
Die bloße Androhung solcher Klagen kann schon ausreichen, um Regierungen von einer Gesetzgebung im öffentlichen Interesse abzubringen. Daher sehen die Unterzeichner/-innen dieses Briefes den Energiecharta-Vertrag als ein großes Hindernis für die Umsetzung des Pariser Abkommens und des europäischen Green Deals.
Wir fordern die Europäische Union und die 53 unterzeichnenden Staaten des ECT auf, folgende Schritte unverzüglich einzuleiten:
- Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag. Der ECT ist überholt. Der laufende Reformprozess des Vertrags (der als „Modernisierung“ bezeichnet wird) sollte nicht als Entschuldigung für einen Aufschub des Austritts benutzt werden, da er den ECT nicht mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang bringen wird. Ein Ende des Schutzes ausländischer Investitionen in fossile Brennstoffe steht noch nicht einmal auf der Verhandlungsagenda, zudem müssten alle Unterzeichnenden den Reformvorschlägen einstimmig zustimmen, was eine Einigung massiv erschwert.
- Gemeinsames Abkommen zur Beendigung der „Sunset Clause“. Diese Klausel ermöglicht es Investoren, Regierungen bis zu 20 Jahre nach Austritt aus dem ECT zu verklagen. Um diese Gefahr zu entschärfen, fordern wir die Länder auf, gemeinsam aus dem ECT auszutreten und ein Abkommen zu schließen, das Schiedsklagen von Investoren innerhalb dieser Ländergruppe ausschließt.
- Stopp der internationalen Erweiterung des ECT. Derzeit werden Dutzende von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau in Afrika, Asien und Lateinamerika ermutigt, dem ECT beizutreten. Die EU finanziert diesen Erweiterungsprozess mit öffentlichen Mitteln. Die Expansion muss gestoppt werden.
Der Klimanotstand erlaubt keine weitere Verzögerung. Wenn Regierungen als Vorreiter beim Klimaschutz gesehen werden wollen, dann müssen sie von Investitionsabkommen Abstand nehmen, die ihnen die Hände binden und fossile Brennstoffe auf Kosten der Steuerzahler/-innen schützen. Der Rückzug aus dem Energiecharta-Vertrag ist ein wesentlicher erster Schritt auf dem Weg zu einem erneuerbaren Energiesystem.