Das „Berufsverbot“ des Ratsherrn Peter Rosenbaum und der Radikalenerlass 1972 im Lichte neuer Forschungen

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Titelblatt der Dokumentation von Jutta Rübke, Hannover 2018

Am Beispiel des Braunschweiger Ratsherrn Peter Rosenbaum (BIBS), wird in diesem Beitrag der Versuch von Niedersachsen gewürdigt, die Geschichte des Redikalenerlasses von 1972 („Berufsverbote“) aufzuarbeiten. Es wird deutlich, dass nach neusten Forschungen kaum erkannte und diskutierte Beziehungen bestanden zwischen dem Nazirichter und späteren hoch dekorierten Bundesrichter Willi Geiger und dem Radikalenerlass.

Solange keine Rehabilitierung der Berufsverbotsopfer stattfand, solange lebte der Geist des Nazi- und Blutrichters Geiger fort – also in Niedersachsen bis Ende 2017. Eine offizielle Entschuldigung wurde am 6.12.2017 durch das Justizministerium ausgesprochen.

Inhaltsverzeichnis

Peter Rosenbaum beendete sein Referendariat mit dem 2. Staatsexamen am 31.10.1979. Am 01.11.1979 trat er seinen Dienst in Braunschweig an und am 16.11.1979 erging die Mitteilung an Rosenbaum über seine sofortige Entlassung durch die Bezirksregierung Braunschweig. Mit dieser Mitteilung war der Pädagoge Rosenbaum raus aus dem Schuldienst. Es erging praktisch ein Berufsverbot an ihn.

Rosenbaum war ein Opfer des sogenannten Radikalenerlasses vom Februar 1972. Initiiert von der damaligen sozial-liberalen Bundesregierung unter der Führung von Willy Brandt, sollte dieser Runderlass der Landesregierungen die Beschäftigung sogenannter Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst verhindern. Beamte und Angestellte hatten sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und für diese einzutreten.

Vorgeworfen wurde Rosenbaum die aktive Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation, Demonstrationen, wildes Plakatieren, aktiver Protest gegen Fahrpreiserhöhungen, nicht angemeldete Informationsstände auf dem Kohlmarkt und Publikationen in kommunistischen Studentenzeitschriften. Sehen Sie hier ein Interview mit Peter Rosenbaum in regionalBraunschweig.de „Stigmatisierung und Verfolgung – Leben mit dem Berufsverbot“ von Alexander Dontscheff.

Der Erlass sollte sich zwar gegen Links- und Rechtsextremisten richten, betroffen waren aber vor allem Mitglieder kommunistischer und anderer linker Organisationen. 1979 kündigte die in Bonn regierende Koalition aus SPD und FDP den Radikalenerlass auf, in den Bundesländern dauerte seine Abschaffung bis zum Beginn der 1990er-Jahre. Bis dahin wurden in der Bundesrepublik insgesamt rund 3,5 Millionen Personen überprüft. An die 2.000 Lehrer und Hochschullehrer, Lokomotivführer, Schaffner und Briefträger wurden nicht eingestellt oder entlassen. Die Betroffenen standen quasi über Nacht auf der Straße.

In Niedersachsen hob die damalige rot-grüne Landesregierung den Radikalenerlass im Jahr 1990 auf. Und im Dezember 2016 beschloss der Landtag, dass Niedersachsen als erstes Bundesland die Zeit der Berufsverbote wissenschaftlich aufarbeiten solle. Der Bericht der Landesbeauftragte Jutta Rübke hat 215 Seiten und führt u. a. einzelne Schicksale auf. Die frühere SPD-Landtagsabgeordnete hat mit einem Team ein Jahr lang Betroffene von Berufsverboten befragt und ihre Schicksale recherchiert.

Neue und neuste Forschungen zum Radikalenerlasses

Es stehen Fragen im Raum: Wo liegen die mentalen Wurzeln des Radikalenerlasses in den fünfziger Jahren? Was stand hinter dem breiten Konsens zwischen Heinz Ruhnau (Hamburgs SPD-Innensenator), Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sowie dem Mainzer Ministerpräsidenten Helmut Kohl (CDU), dem der Kanzler Brandt seinerzeit zustimmte? Diesen Fragen ging der junge Historiker Dominick Rigoll von der Universität Jena nach. Sein Buch: Staatsschutz in Westdeutschland erschien im Göttinger Wallstein Verlag 2013 (524 S., 39,90 €) gibt Antworten und wird von Gunter Hoffmann in ZEIT online besprochen (Nazis rein und Linke raus).

Eine umfassende Rezension zur Arbeit von Dominick Rigoll liegt von Patrick Wagner vor (Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Hier zwei Zitate: „Die vehemente konservative Kritik an den Demokratisierungsimpulsen der frühen 1970er-Jahre wie die mit dem Radikalenerlass von 1972 beginnenden Berufsverbote, interpretiert Dominick Rigoll so als Koproduktion der „49er“ und der „HJ-Generation“ in Politik, Justiz und Innenbehörden. Unter Schlagworten wie „streitbare Demokratie“ oder „antitotalitärer Konsens“ hätten sie erneut einseitig die der Verfassungsordnung von links drohende Gefahr dramatisiert und zugleich ihre Gefährdung durch die nur oberflächlich zu Demokraten mutierten „49er“ tabuisiert.“

Für den Historiker Rigoll ist die entscheidende Zäsur bei der Neubewertung (alter Nazi-Kader) in der jungen Bundesrepublik der Adenauer-Erlass von 1950. Dieser unterstellte, dass die alten Nazifunktionäre politisch und fachlich geeignet seien, ihren Dienst in der neuen Demokratie zu leisten. Fernzuhalten galt es von nun an stattdessen die KPD, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sowie zwei neonazistische Splitterparteien.“ (s. o. Rezension von Wagner)

Ein konkretes Gesicht bekommt der Radikalenerlass in der Person des Willi Geiger, eines Blutrichters aus der Nazizeit, der als 1. Präsident des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes, zu höchsten Ehren in der neuen Bundesrepublik kam, und der die Rechtsnormen zum Radikalenerlass entsprechend gestaltete. Es ist dem Juristen und Rechtshistoriker Helmut Kramer aus Wolfenbüttel zu verdanken, den Fall Geiger 2017 (er wird immer noch in Ehren gehalten) umfassend recherchiert und veröffentlicht zu haben. Dazu hielt er am 08.12.2017 in Karlsruhe einen wegweisenden Vortrag in dessen Diskussion vom Radikalenerlass betroffene sich zu Wort meldeten, denn dieser Erlass wird im Lichte Willi Geigers besonders kritisch gewürdigt. Die Vortragsveranstaltung ist im Braunschweig-Spiegel dokumentiert: „Dr. Helmut Kramer in Karlsruhe. Der Nazirichter Willi Geiger und sein unheilvolles Wirken in der jungen Bundesrepublik

Dem Sender Radio Dreyeckland gab Helmut Kramer ein bemerkenswertes Interview: Willi Geiger: Er konnte Berufsverbote gegen Juden und gegen „Radikale

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