Die neuen Förderrichtlinien der Stadt Braunschweig für Kunst und Kultur im politischen Kontext
Da schimpfen die Politiker über die politikverdrossenen Bürger, die nicht einmal mehr zur Wahl gehen. Aber wird nicht von den Politikern, zumindest denen in Niedersachsen, alles getan, um Politik vom Bürger fernzuhalten? Ein Blick auf den theoretischen Bereich, die politische Bildung, zeigt ein düsteres Bild. Die Landeszentrale für Politische Bildung wurde abgeschafft (ein Unikum in der ganzen Republik!), die Subventionierung politischer Veranstaltungen in den Volkshochschulen gehört schon lange der Vergangenheit an, und das Fach Sozialkunde/Politik musste an den allgemeinbildenden Schulen einem Kombinationsfach Politik/Wirtschaft weichen, in dem die neoliberale Wirtschaftstheorie dominiert, und die lehrt bekanntlich, dass der Staat sich zurückziehen solle, weil der Markt es schon allein richten werde.
Dieses durch die Landespolitik verursachte Vakuum wird nun auf der kommunalen Ebene ergänzt und verstärkt. Die neuen Förderrichtlinien der Stadt Braunschweig spezifizieren genauer als die alten, was als förderungswürdig gilt: Im Bereich „Kunst“ sind es u. a. Angebote, die über den Mainstream hinausgehen, die von experimentellem oder innovativem Charakter sind, die eine eigenständige künstlerische Leistung erkennen lassen, die den Nachwuchs oder regionale Künstler unterstützen.
Nun mag man ja mit Blick auf das berüchtigte Hubschrauber-Konzert einige Befürchtungen hegen, dass dessen Aufführung auf hier genannten Kriterien „innovativ“ oder „eigenständig“ zurückzuführen sein könnte. Aber im Blick auf den zweiten Bereich, den der „Soziokultur“, wünscht man sich, dass die bei der Kunst ansatzweise inhaltlich konkretisierten Kriterien auch dort angewendet worden wären. Aber da gilt ein anderes Gesetz, nämlich das der (potentiellen) Nachfrage:
Förderungswürdig ist, was zu einem vielfältigem bedarfsorientierten, kulturellen Angebot unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstruktur (Alter, Nationalität u.a.) beiträgt; was einem besonderen Entwicklungsbedarf in den Stadtteilen Rechnung trägt oder zur gesellschaftlichen Identitätsfindung dient. Da wird es in Zukunft ein Leichtes sein, Beiträge, mit der Begründung abzubügeln, sie entsprächen nicht dem gesellschaftlichen Bedarf. Man muss, wenn man ein Projekt anmeldet, jedes Mal gleich die Existenz eines bereits vorhandenen Publikums nachweisen. Hier hätte man sich das der Kunst durchaus gegönnte Kriterium „jenseits des Mainstreams“ gewünscht, damit auch unbequeme (und damit nicht unbedingt populäre) Veranstaltungen in den Genuss einer öffentlichen Förderung kommen.
Zur Präzisierung werden weitere Kriterien angeführt: Förderungswürdige Kultur muss breite Partizipationsmöglichkeiten einräumen, muss zur Teilhabe behinderter Menschen beitragen, muss zur Aufwertung und Bekanntmachung der Stadt Braunschweig dienen (wer hat da was von Eigenlob gesagt?!), muss die überregionale Vernetzung fördern, und es muss von ihr eine nachhaltige Wirkung (welcher Art?) zu erwarten sein.
Inhaltliche Vorgabe existieren nur an einer Stelle: die fördernswürdigen Projekte sollen zur Toleranz zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern beitragen. Aber andere wünschenwerte Ziele, z. B. emanzipativer oder den Gedanken des Friedens fördernder Art, sind in diesem Katalog nicht enthalten.
Ausschlusskriterien werden hier zwar nicht benannt, aber sie finden sich in einem Bescheid des Fachbereichs Kultur, in welchem dem Friedenszentrum für die Veranstaltungsreihe „Friedensmonat September“ zwar für „kulturelle“ Veranstaltung ein städtischer Zuschuss in Aussicht gestellt, ein solcher für „tagespolitische“ Veranstaltungen jedoch abgelehnt wird.
Was bedeutet das für den Bereich „politische Bildung“ in Braunschweig? Schaut man in den Katalog der Volkshochschule, so gibt es dort nur eine einzige Seite „Politik“; nämlich die Veranstaltungsreihe „Wege zu einer Kultur des Friedens“, die von Friedenszentrum und Friedensbündnis bestritten wird. Politische Bildung ist somit allein Sache von Parteien, Gewerkschaften und Initiativen, die auf Eintrittsgelder, eigene Mittel oder Spenden angewiesen sind, wobei letztere spärlicher fließen, seitdem breite Ströme von Fördergeldern ins „Schloss“ umgeleitet werden.
Die Folge dieses Zustands: Es wird immer schwieriger, der von oben verordneten Entpolitisierung entgegen zu wirken. Die einzelnen Defizite addieren sich. Und dazu kommt, dass die örtliche Zeitung konsequent alles totschweigt, was nicht dem „Mainstream“ entspricht. Nur die Rathauspolitik findet Eingang in den Lokalteil; über die Aktivitäten vor allem der Initiativen schweigt man sich aus. Der Leser lernt: Politik ist eine Sache für die da oben; der Durchschnittsbürger braucht sich nicht damit zu befassen.