Keine Klimakrise in Braunschweig?

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Kaltluftbahnen in Braunschweig, Ergebnis wissenschaftlicher Forschungen des Instituts für Geoökologie der TU Braunschweig. Webseite BI SüdWest

Von Nils Salveter, Stadtbezirksrat Südwest für die BIBS

Stadt ignoriert Kritik aus Stadtbezirksrat und hält an alten Planungen zum Gewerbegebiet Südwest fest

Besonders in diesem Sommer mit Rekordhitze in Süd- und Mitteleuropa, Erdrutschen und Überschwemmungen in Österreich und Slowenien und einem ‚Jahrtausend-Starkregen‘ (Braunschweiger Zeitung, 05.07.2023) im Juni in Braunschweig sollte die absolute Notwendigkeit der Bekämpfung der Klimakrise gerade auch hier vor Ort oberste Pflicht von Politik und Verwaltung sein. Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Vorstoß von BIBS und Grünen aus dem Bezirksrat 222 (Braunschweig Südwest) ein absolut nachvollziehbares Anliegen: Die mehr als 300 ha große Fläche, die bis 2018 von der Verwaltung für die Planungen eines Interkommunalen Gewerbegebiets Braunschweig-Salzgitter favorisiert worden war, soll künftig nicht mehr gewerblich, sondern vorrangig landwirtschaftlich genutzt werden. Möglich wäre auch eine ergänzende Nutzung der Fläche durch Wind- und Sonnenenergie. Für diese Zielsetzung müsste der betreffende Flächennutzungsplan geändert werden.

Um das Thema noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, nutzten BIBS und Grüne erstmals in Braunschweig die Möglichkeit eines Vorschlags des Bezirksrats an den Rat, über Themen, die den Bezirksrat betreffen zu diskutieren und abzustimmen. Möglich wird dieses Instrument durch einen Passus im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (§ 94, Absatz 3), nach dem der Rat verpflichtend innerhalb von vier Monaten über einen solchen Antrag des Bezirksrats entscheiden muss.

„2018 waren die Pläne für ein Interkommunales Gewerbegebiet Braunschweig-Salzgitter an der Ablehnung im Rat von Salzgitter gescheitert“, erinnert sich Niels Salveter, BIBS-Vertreter im Stadtbezirksrat Südwest und Hauptinitiator des Antrags, der im Juni 2023 mit deutlicher Mehrheit im Bezirksrat angenommen wurde.

„In der damaligen Machbarkeitsstudie, die für die Verwaltung nach wie vor als maßgebend gilt, wurden Klimaschutzaspekte vollkommen vernachlässigt. Seitdem hat sich die Klimakrise aber noch weiter zugespitzt. Wir appellieren deshalb an den Braunschweiger Oberbürgermeister, die Planungen für ein Interkommunales Gewerbegebiet nicht wieder aufzunehmen. Ein Ausschluss von Gewerbe zugunsten landwirtschaftlicher Nutzung der Flächen ist nun dringend geboten“, erklärt Niels Salveter.

Welche Gründe sprechen dafür? Vor allem die Auswirkungen der Flächen im Südwesten Braunschweigs auf das Stadtklima. In einer 2019 vom Geoökologischen Institut veröffentlichten Studie Mapping urban cold-air paths in a Central European city using numerical modelling and geospatial analysis‘ wurde erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, dass die besagten Flächen wichtige Kaltluftentstehungsgebiete am Stadtrand sind: Diese Kaltluftströme versorgen die Braunschweiger Innenstadt aus südwestlicher Richtung (Hauptwindrichtung) mit frischer, kühlender Luft (siehe die Karte oben mit den eingezeichneten Kaltluftpfaden aus der Studie).

„Eine Bebauung der Flächen würde diese für das Stadtklima und damit für die Lebensqualität der Braunschweiger Einwohner*innen so wichtigen Kaltluftströme blockieren. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise ist die kühlende Luft vor allem bei sommerlichen Temperaturen lebenswichtig für die Menschen in Braunschweig“, erläutert Niels Salveter weiter.

Die von diesen Flächen ausgehenden Kaltluftströme leisten also einen wichtigen Beitrag, um die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Stadt – nämlich Klimaneutralität bis 2030 – zu erreichen.

Ein weiterer wichtiger Grund gegen eine gewerbliche Nutzung sind die auf dieser Fläche vorhandenen besten, fruchtbarsten Ackerböden mit den höchsten Bodenrichtwerten Mitteleuropas. Diese tragen zur Ernährungssicherheit und zur Erzeugung regionaler Produkte bei. Den ortsansässigen Landwirten würde durch die Realisierung eines Gewerbegebiets ihre Existenz genommen. Die in dem Fall für die Stadt verpflichtend vorgeschriebenen Ausgleichsflächen zur Kompensation sind in Braunschweig kaum vorhanden, schon gar nicht in der Nähe.

Bodenzahlen Braunschweig West/Südwest/Süd Quelle: https://numis.niedersachsen.de

Wie sieht nun die Reaktion der Stadt auf den im Bezirksrat angenommenen Antrag von BIBS und Grünen aus: Dem Vorschlag des Bezirksrates werde nicht gefolgt, erklärt die Verwaltung in ihrer Beschlussvorlage. Für den Herbst 2023 sei eine Neuaufstellung des Flächennutzungsplans vorgesehen. In diesem soll das Gebiet weiterhin als gewerbliche Baufläche bestehen bleiben; bei einer späteren Bebauungsplanung verweist die Stadt auf ‚aktuelle Standards zum Klima- und Umweltschutz“, die „selbstverständlich zum Tragen kommen werden‘. Eine gewerbliche Nutzung der Flächen würde dem vor knapp einem Jahr vom Rat beschlossenen Klimaschutzkonzept nicht widersprechen, so die Verwaltung lapidar.

„Eine Wiederaufnahme der Pläne für ein Gewerbegebiet im Südwesten Braunschweigs würde das Klimaschutzkonzept 2.0 konterkarieren. In diesem heißt es, dass Braunschweig zum Vorreiter und Vorbild für andere Kommunen im Bereich Klimaschutz werden könnte. Wie passt das zu der geplanten Wiederaufnahme der Planungen zum Interkommunalen Gewerbegebiet?“ fragt sich Niels Salveter befremdet.

„Ich bin sehr enttäuscht, dass die Verwaltung in keiner Weise auf die inhaltlichen Argumente unseres Antrags eingeht. Es entsteht hier nicht zum ersten Mal der Eindruck, dass Vorschläge des Bezirksrats von der Stadt nicht ernstgenommen werden. Diese Geringschätzung von ehrenamtlich engagierten Menschen in der Kommunalpolitik und die Missachtung der Anforderungen des Klimaschutzes durch die Stadtverwaltung führen zu mehr Politikverdrossenheit bei den Braunschweiger Bürger*innen“, stellt BIBS-Vertreter Niels Salveter fest.

„Sehr gespannt bin ich nun auf die Diskussion und das Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Planungsausschusses am morgigen Freitag. Da sich SPD und Grüne bei uns im Bezirksrat für einen Ausschluss der gewerblichen Nutzung der Flächen ausgesprochen haben, wäre eine Ablehnung der Verwaltungsvorlage folgerichtig“, erklärt Niels Salveter abschließend.

Die sich auf den Antrag von BIBS und Grünen beziehende Verwaltungsvorlage wird am 08. September 2023 im Ausschuss für Planung und Hochbau vorberaten und am 12.September abschließend abgestimmt.

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