Haushaltsrede 2016 des Ratsherren Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann

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– Pressemitteilung der Piratenfraktion Braunschweig –

Wir haben mit diesem Haushalt in drei Bereichen Probleme:

1. Es steht nicht das drin, was wir gerne hätten.

Aber das ist das kleinste Problem. Denn natürlich gibt es bei der Mehrheitsbildung Kompromisse, und wir erwarten als kleine Fraktion nicht, dass inhaltliche Wünsche wie Personalmittel für Medienbildung in der Jugendarbeit oder die haushaltsrechtliche Sicherung des äußerst erfolgreichen Projekts “Lebenschancen durch Sport” immer eine Mehrheit finden, bloß weil sie sinnvoll sind.

Dennoch, das Grundproblem bleibt, wie auch in den Vorjahren schon: Es findet keine stadtweite Abwägung von Vor- und Nachteilen statt.

Verwaltungsintern wurde jeder Fachbereich aufgefordert, einen festen Prozentsatz Konsolidierungsbeitrag zu finden. Selbst wenn man annimmt, dass die Ressourcenzuordnung vor der Konsolidierung exakt optimal war, ist praktisch ausgeschlossen, dass dann auch eine Ressourcenzuordnung von je 100-x% auf die Fachbereiche optimal ist.

Eine Analogie: Stellen Sie sich vor, Sie geben jeden Monat 800 EUR für Miete, 400 EUR für Lebensmittel und 600 EUR für alles andere aus (wissen schon: schnelle Autos, Koks, den 4. Jahresurlaub – oder halt Kinderbetreuung). Nun stellt sich raus, dass Sie wegen, sagen wir Auftragseinbruch, auf Kurzarbeit gesetzt werden und nur noch 80% so viel Geld haben werden. Im Sinne des Verwaltungsvorgehens werden Sie dann überall 20% kürzen, sprich nur noch 480 EUR für Sonstiges, 320 EUR für Lebensmittel und 640 EUR für Miete ausgeben.

Das kann man schon so machen.

Wer aber einem Umzug weniger abgewinnen kann, wird feststellen, dass außer Terrorphantasien auch eine vertragsgerechte Mietüberweisung dazu führt, dass er nicht stattfindet. Und dementsprechend werden Sie eben doch 800 EUR Miete bezahlen, und vielleicht nur noch 240 EUR in ihre Hobbies stecken. Die Folgen, die bei einer Kürzung entstehen, sind nämlich nicht proportional zur gekürzten Summe.

Und deshalb kann beim gleichmäßigen Kürzen über verschiedene Fachgebiete hinweg nichts vernünftiges rausgekommen sein. Zum Glück gab es auch in der Verwaltung noch Detailkorrekturen, der Ansatz ist aber grundsätzlich ungeeignet.

Aber wir haben ja noch den Rat, der korrigierend eingreifen kann und solche offensichtlichen Probleme löst. Oder lösen könnte. Wir haben schon 2013 ein Modell vorgestellt, in dem jeweils die Folgen gleich großer Kürzungen in verschiedenen Fachbereichen dargestellt werden sollten. Damit wäre tatsächlich ein Vergleich und eine abgewogene Entscheidung möglich gewesen. Der Vorschlag hat aber im Finanzausschuss keine Zustimmung gefunden.

Stattdessen hat auch dieses Jahr wieder im Wesentlichen jeder Fachausschuss beschlossen, dass “seine” Projekte wichtig sind, und nicht gekürzt werden dürfen. Die Folge, dass stattdessen irgendwo anders Geld herkommen muss, ist dabei regelmäßig unter den Tisch gefallen.

Wer einen Haushalt aufräumen will, findet unter den Tischen dann natürlich entsprechend unerfreuliches. Womit wir beim zweiten, und größeren Problem wären:

2. Die Verwaltung plant eine Verschuldung.

76 Millionen EUR werden am Ende 2019 fehlen. Bereits enthalten sind die 33 Millionen EUR Kreditaufnahme in 2016. Enthalten natürlich in dem Sinne, dass, wenn man den Kredit aufnimmt, man dann nur noch 76 Millionen EUR weitere Kredite braucht. Ebenfalls enthalten ist der Effekt, dass die Stadt Braunschweig Beteiligungsgesellschaft den bisher aus Eigenkapital finanzierten Anteil an der NiWo auf externe Finanzierung umstellen will, oder in klaren Worten: Auch noch 43 Millionen EUR Kredit aufnimmt, ohne dafür neue Vermögenswerte zu erwerben. Macht zusammen 152 Millionen EUR, die bis 2019 vom Kapitalmarkt an die Stadt fließt. Mit entsprechenden Effekten auf die Zinsaufwendungen.

Aber: Erstens kommt es anders, und zweitens – wenn man sich die Kostentwicklung in Haushaltsplänen anschaut – vor allem teurer. Je näher ein Projekt der Realisierung kommt, desto größer sind die eingeplanten Finanzmittel in den Haushalten, von der Endabrechnung gar nicht zu reden. Meine äußerst unwissenschaftliche Fortschreibung dieses Effekts aus den vergangenen 3 Haushalten ergibt einen weiteren(!) Mehrbedarf von 60 Millionen EUR bis 2019.

Wer genau liest, findet auf Seite 457 im .pdf außerdem den Endstand der Haushaltsreste: 27,5 Millionen EUR. Bedeutet: Von den -76 Milionen EUR am Ende von 2019 sind weitere 27 Millionen EUR bereits verplant.

Ich komme in Summe auf 239 Millionen EUR, die auf die eine oder andere Weise bis Ende 2019 als Kredit aufgenommen werden müssen bzw. in den letzten Monaten gerade aufgenommen wurden. Bei den Dimensionen wird übrigens auch schnell deutlich, dass die Flüchtlinge hier bei weitem nicht die einzige Ursache sind.

Die Verwaltung will jedenfalls jetzt “Liquiditätskredite” aufnehmen. Das halte ich für einen Etikettenschwindel. Diese Kredite wird die Stadt, jedenfalls mit der aktuellen Haushaltsstrategie, nicht zurückzahlen.

Hätte uns doch nur jemand gewarnt!

Die Piratenfraktion hat 2012 angefragt, warum die Defizite der SBBG nicht im Haushalt auftauchen. Und schon damals wiesen wir darauf hin, dass es eine Strategie braucht, um den auf uns zukommende Verlustausgleich zu bezahlen.

Und wir haben ja die Tonaufzeichnungen des Rates:

2013 sagte Gerald Heere:

“Ist der Haushalt solide oder nicht? […] Nur weil wir ein oder zwei gute Jahre haben heißt das nicht, dass er strukturell solide ist. Denn wir haben weiterhin ein strukturelles Defizit im Haushalt. Das strukturelle Defizit erkennen Sie weiterhin an der SBBG, die nämlich ein dauerhaftes Defizit ausweist. Und dieses Defizit im Haushalt momentan immer noch nicht auftaucht, weil immernoch Reste des Verkaufs von 75% der Braunschweiger Versorgungs-AG sind. […] Deshalb sagen wir, Ihr Haushalt, das was hier 10 Jahre gemacht wurde ist unsolide. […] Das lösen wir auch nicht mit einem einmal besseren Haushalt. Sondern, da muss man tatsächlich gucken, wie kann man dieses Defizit ausgleichen.”

2015 sagte ich:

“[…] falsch ist es aber, ungebremst weiter zu fahren und mal zu schauen, was passiert. […] Man muss nicht bremsen. Man wird halt im spätesten Fall dann langsamer, wenn der Abstand unter 0 ist. Dieser Haushalt plant mittelfristig, und ich meine ohne akute Not, und in Jahren guter Steuereinnahmen, […] ungebremst die Neuverschuldung Braunschweig. Das lehnen wir ab.”

Und konsequenterweise haben wir in 2015 auch Investitionsverschiebungen beantragt, um das Problem zu entschärfen. Die wurden abgelehnt. Bis auf einige wenige, die die Verwaltung noch inhaltsgleich nachgereicht hat, und die dann auf einmal mehrheitsfähig waren. Den gleichen Effekt haben wir dieses Jahr wieder, jedenfalls kenne ich einige der diesjährigen Ansatzveränderungen der Verwaltung bereits aus unseren Anträgen zum letzten Haushalt.

Im Ergebnishaushalt sieht es auch nicht besser aus: Im Plan steht für die Jahre 2016 bis 2019 jeweils ein Ergebnisverlust. Das Problem ist also nicht nur eine Frage ausreichender Liquidität, sondern auch auf der anderen Seite der doppelten Buchführung ein Defizit. Momentan wird das noch aus der Überschussrücklage ausgeglichen. Das wird aber auch nicht mehr lange so weiter gehen. Wenn man eine realistische Bewertung des Basisreinvermögens ansetzt, sogar noch ein paar Jahre weniger.

Und auch da haben wir Anträge gestellt, um Ausgaben zu reduzieren, bzw. Einnahmen zu erhöhen. Die sind im Wesentlichen auch abgelehnt worden.

Und damit macht die Verwaltung eben, was im Haushaltsplanentwurf steht, und die Stadt verschuldet sich ohne langfristige Strategie neu.

Oder auch nicht, und damit kommen wir zum dritten – und für mich persönlich größtem – Problem:

3. Es ist wohl egal, was im Haushaltsplan steht.

Zum einen haben wir praktisch vollständige Deckungsfähigkeit der jeweiligen Teilhaushalte, sprich: Wird für eine Haushaltsposition weniger ausgegeben, kann das Geld stattdessen in einer anderen Positition des Teilhaushaltes ausgegeben werden. Oder drastisch: Im Zweifel kann die Verwaltung ziemlich frei umschichten.

Zum zweiten sind erhebliche Haushaltsreste im Haushaltsplan vorgesehen: Ein Haushaltsrest ist eine Summe von Haushaltsmitteln, die im Plan vorgesehen sind, aber noch nicht abgearbeitet sind. Oder anders: Der Haushaltsplan plant, dass der Haushaltsplan zu wesentlichen Teilen nicht umgesetzt wird. Ja, was denn nun?

Zum dritten: Wir haben einen Antrag gestellt, im Produkt 1.51.5119.02 “Öffentlichkeitsarbeit” im FB 61 Stadtplanung und Umweltschutz zu kürzen, weil uns der Ansatz unplausibel hoch erschien. Das Produktbuch zu diesem Produkt listet genau eine Leistung auf: “Öffentlichkeitsarbeit”. In der Ausschusssitzung führte die Verwaltung jedoch aus, dass in Wirklichkeit auch andere Dinge auf dieses Produkt gebucht würden. Letztlich erhielten wir schriftlich:

“[…] Im Fachbereich 67 wurden dem Produkt Öffentlichkeitsarbeit die nachfolgenden
Dienstleistungen […] zugeordnet:
* Bereitstellung von Spiel- und Stadtplätzen
* Sanierung und Neugestaltung von Schulaußenanlagen
* Bereitstellung von Jugend- und Bolzplätzen
* Sanierung und Neugestaltung von Kita-Außenanlagen
* Bereitstellung von sonstigen Außenanlagen an öffentlichen Gebäuden”

“What is this, I don’t even”. Da steht Öffentlichkeitsarbeit drauf, aber es sind Gebäude-Außenanlagen drin.

Das konkrete Problem soll jetzt zum Enddruck des Haushalts korrigiert werden. Das kann aber so nicht gehen. Ob das ein Einzelfallproblem ist, weiß wohl niemand. Wenn ich ein Produkt “Schönheitsreparaturen” sehe, vielleicht sind da ja gar keine Schönheitsreparaturen drin? Oder vielleicht sind bei den Feuerwehrleistungen für Dritte schon länger viel weniger Dritte dabei, als gedacht. Wer kann es wissen? Die Politik muss sich darauf verlassen können, dass die Verwaltung auch umsetzt, was beschlossen wurde. Und nicht einfach irgendwas tut. Es ist eine Sache, wenn Haushaltsunterlagen schwierig zu verstehen sind, und die Politik etwas beschließt, ohne alle Implikationen verstanden zu haben. Aber wenn die Haushaltsunterlagen zum tatsächlichen Handeln der Verwaltung keinen Bezug mehr haben, dann brauchen wir sie auch nicht verabschieden.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an Ratsherr Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann
Telefon 0151 12321 0 248
E-Mail jens-wolfhard.schicke@piratenpartei-braunschweig.de

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