EU-Beitritt der Ukraine wäre gleichbedeutend mit einer NATO-Mitgliedschaft

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Am 28. Februar, vier Tage nach Kriegsbeginn, forderte Präsident Selenskyj die Aufnahme in die EU per Sonderverfahren. Screenshot Tagesschau 22.3.2022

Von Jochen Luhmann in „Der Freitag

Ein EU-Beitritt der Ukraine hätte weitreichende Folgen – auch militärische. Denn seit 2007 gibt es auch in der EU eine Beistandspflicht für den Ernstfall

Russlands Invasion bringt einiges in Bewegung. Es handelt sich um einen militärischen Vorgang, doch sind im Verständnis solcher Ereignisse Öffentlichkeit und Medien weitgehend ungeübt. Der Mangel an Deutungskompetenz erinnert an die Frühphase der Corona-Pandemie. Da sprang ein Experte in die Lücke, um den Medien, besonders dem Wissenschaftsjournalismus, Zeit zu geben, sich in das neue Thema einzuarbeiten.

Heute erleben wir einen analogen Mangel. Die Folge davon ist, dass politische Optionen von ihren militärischen Implikationen her nicht voll begriffen werden. Als Beispiel sei der Antrag „Sofort-Mitgliedschaft der Ukraine in der EU“ herausgegriffen. Dieser wird in der Öffentlichkeit überwiegend als Bitte um einen symbolischen Akt der Solidarität und Anteilnahme aufgefasst. Geht die Interpretation darüber hinaus, dann als Vorgang von weitreichender wirtschaftspolitischer Bedeutung. Dass es eine bündnispolitische Komponente gibt, wird ausgeblendet. Die EU-Mitgliedschaft ist jedoch inzwischen – seit Ende 2007, seit der Einigung über den Lissabon-Vertrag – in Wahrheit ein funktionales Äquivalent für eine NATO-Mitgliedschaft.

Wolodymyr Selenskyj fordert EU-Beitritt der Ukraine

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, dürfte das gewusst haben. Und wenn nicht er, dann seine Berater. Er hat am 28. Februar, vier Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs, nicht nur prinzipiell die Aufnahme in die EU verlangt, sondern die sofortige Integration in einem extra dafür einzurichtenden Ausnahmeverfahren: „Wir fordern von der Europäischen Union den sofortigen Beitritt der Ukraine über ein neues Sonderverfahren.“ Im Erfolgsfall hätte das bewirkt, dass die EU-Staaten damit beistandspflichtig und Kriegsparteien geworden wären. Es wäre zu einer Ausweitung des Krieges gekommen, als hätte man in der NATO dem Verlangen aus Kiew nach einer Flugverbotszone über ukrainischem Territorium entsprochen.

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1 Kommentar

  1. Völlig unverständlich ist mir nach dem Lesen des kompletten Artikels, dass der Autor Jochen Luhmann mit keinem Wort das entsprechende Angebot Frau von der Leyens an die Ukraine erwähnt, das sie kurz nach dem 24.02.2022 gemacht hat.

    Dieses Angebot wurde danach zwar nicht mehr wiederholt, jedoch kann man davon ausgehen, dass der schnelle Beitritt der Ukraine von gewissen Personenkreisen im Gefolge des Militärisch-Industriellen Komplexes weiter verfolgt wird.
    Möglicherweise handelt es sich beim vermeintlichen Rückzieher v.d.L´s nur um einen Aufschub auf Grund einer mangelnden Einigkeit der Mitgliedsstaaten.
    Die für einen Eintritt Europas in diesen Krieg benötigte Emotionalisierung und einseitige Information der Bevölkerung ist trotzdem schon weit fortgeschritten. Kaum einer wird noch begreifen, dass laufend versucht wird, einen Stellvertreterkrieg anzuzetteln, geschweige denn wissen, wem dieser nützt.

    Die aktuelle Emotionalisierung der Auseinandersetzung innerhalb der Bevölkerung verhindert perfekt, dass Menschen sich auf die eiskalten Gedankengänge der Kriegstreiber überhaupt einlassen können.
    Daher wird das inhumane Gedankengut auch nicht verstanden, erst recht nicht dessen Folgen – gutwillige Menschen werden manipulierbar, was letztlich bei den meisten Regierenden und sonstigen Führungsfiguren erwünscht ist.

    C.M.

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