Durch Braunschweig geht ein Riss

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„Durch Braunschweig geht ein tiefer Riss“, so lautete das Fazit einer Podiumsdiskussion, die gestern Abend im Forum des Braunschweigischen Landesmuseums stattfand. Auf Einladung der Braunschweiger Zeitung saßen folgende Vertreter verschiedener Parteien bzw. Wählerlisten auf dem Podium: Wolfgang Sehrt/CDU, Dr. Friedhelm Possemeyer/SPD, Gisela Witte/Bündnis 90/Die Grünen, Daniel Kreßner/FDP, Udo Sommerfeld/Linkspartei, Peter Rosenbaum/BIBS. Die Diskussion wurde von dem stellvertretenden Chefredakteur der BZ und Mitherausgeber, Stefan Kläsener, moderiert.
Auf der mit etwa 300 Personen gut besuchten Veranstaltung wurde sehr schnell deutlich, dass der Kommunalwahlkampf 2006 weniger durch inhaltliche Themen geprägt war, als vielmehr durch die Auseinandersetzung um den autokratischen Führungsstil des Amtsinhabers, der rigoros mit seiner ausschlaggebenden Stimme in der vergangenen Ratsperiode die Wünsche der Hälfte der Braunschweiger Bürgerschaft ausschloss und zu ihrer Spaltung beitrug.

Hauptthema: Privatisierungen
Während der Vertreter der CDU, Wolfgang Sehrt wie die ohne eigenen Oberbürgermeisterkandidaten angetretene FDP die Privatisierungen von städtischen Betrieben als erfolgreichen Weg der Haushaltskonsolidierung priesen, dabei aber eine konkrete Bilanz hinsichtlich des Verhältnisses von Privatisierungserlösen zu den Werten des veräußerten Vermögens mit dem Verweis darauf, dass so eine Bilanz wegen der ausstehenden Umstellung der Haushaltsführung auf die Doppik noch ausstehe, schuldig blieben, prangerten die Vertreter der bisherigen Oppositionsparteien die von OB Hoffmann praktizierte Politik des Ausverkaufs städtischen Vermögens an. Insbesondere der Vertreter der erstmalig zur Kommunalwahl antretenden Bürgerinitiative, Peter Rosenbaum, nannte Zahlen und Fakten bezüglich der Privatisierung der Braunschweiger Energie- und Abwasserwirtschaft und rechnete eindrucksvoll vor, welche Nachteile den Braunschweiger Bürgerinnen und Bürgern in der Vergangenheit durch die Privatisierungspolitik des Oberbürgermeisters entstanden sind. Allein durch die Abwasserprivatisierung wurden den Braunschweiger Gebührenzahlern 215 Millionen € entwendet, um jedoch nur mit einem Teil dieses Geldes, nämlich mit 112 Millionen € den allgemeinen Haushalt der Stadt zu entschulden. Dieses Geld stehe der Stadt jedoch gar nicht zu, da – wie die Bürgerinitiative für den Erhalt öffentlichen Eigentums durch Auswertung aller Kanalbausatzungen seit 1888 bewiesen habe – die Abwasserkanäle nicht der Stadt, sondern den Gebührenzahlern gehören.
Vertreter aller Oppositionsparteien waren sich darin einig, dass es mit ihnen eine Politik weiterer Privatisierungen nicht gebe und man sich nach einer Verschiebung der Machtverhältnisse nach der Kommunalwahl darum bemühen werde, erfolgte Privatisierungen rückgängig zu machen, wenn dies langfristig finanziell sinnvoll und juristisch umsetzbar ist.

Ausschluss sozialer Themen bedauert
Herr Sommerfeld bedauerte, dass soziale Themen im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hätten. Dies sei angesichts von etwa insgesamt 40.000 Hartz IV- Empfängern, Arbeitslosengeld 1- Empfängern und Menschen, die komplett aus dem Raster staatlicher Sozialleistungen gefallen sind, nicht hinzunehmen. Der Vertreter der FDP, Herr Kreßner, erklärte, dass für seine Partei die Politik sozial sei, die Arbeitsplätze schaffe.
Anschließenden Zuschauerfragen nahmen u.a. hierauf Bezug, da dort festgestellt wurde, dass durch die konzernfreundliche Politik der letzten Jahre nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden. Großkonzerne, die durch die Privatisierungen profitiert haben zahlen zum einen keine Steuern in Braunschweig, zum anderen seien die Privatisierungen in jedem Falle nachweisbar mit einem Verlust an Arbeitsplätzen verbunden gewesen. Ein Zuschauer urteilte in seiner zum Statement geratenen Frage gar, dass die Vertreter der Oppositionsparteien sehr glaubhaft ihr Interesse am Gemeinwohl zum Ausdruck gebracht hätten, die Vertreter von CDU und FDP offensichtlich eher ein anderes Wohl als das der Bürgerschaft im Auge hätten.

Alternatives Konzept zum kommunalen Energiemanagement gefordert
Frau Witte umriss ein inhaltliches Konzept zur Feinstaubreduzierung und CO2-Minimierung und ging in diesem Zusammenhang auf ein qualifiziertes Energiemanagement bei kommunalen Liegenschaften ein und rechnete vor, dass sich ein Umstieg auf alternative Energieerzeugung und –nutzung sowie Investitionen zur Minimierung der Energieverluste der städtischen Gebäude nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern auch aus ökonomischen Überlegungen lohne. Ein weiterer Stillstand in diesem Bereich könne sich Braunschweig zukünftig nicht mehr leisten.
Herr Rosenbaum wies in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung einer Energiewirtschaft hin, die sich in kommunalen Besitz befindet. Durch die Privatisierung sei der Kreislauf der Energiewirtschaft für die von Frau Witte richtigerweise skizzierte kommunale Energiepolitik gestört. Zum Thema der Feinstaubreduzierung äußerten Herr Sehrt und Herr Kreßner, dass sie nicht zu so radikalen Maßnahmen wie die Grünen neigen. Man könne auf etwa Dreiviertel der Ursachen von Feinstäuben sowieso keinen Einfluss nehmen, da diese von außerhalb zugetragen würden.

Bildungspolitik: Ausschlagen von Bundesmitteln zur Schulsanierung unverständlich
Anknüpfend an eine Frage, warum es erst so kurz vor dem Wahlkampf Mittel für die Sanierung von Schulgebäuden gegeben habe, äußerte Herr Sehrt, dass man erst durch die Sparpolitik in der Ära Hoffmann die Mittel hierfür hatte erwirtschaften können. Herr Possemeyer äußerte für diese Art kommunaler Bildungspolitik kein Verständnis. Er betonte, dass es doch extra zu diesem Zweck Bundesmittel gebe, mit deren Hilfe man 90 % der Sanierungskosten von Schulgebäuden durch den Bund hätte finanzieren können, unter der Bedingung sie in eine Ganztagsschule umzuwandeln. In Braunschweig habe man diese Chance in der Ära Hoffmann vertan. Millionenbeiträge wurden einfach nicht abgeholt. Damit sei Braunschweig ein einzigartiges Negativbeispiel, da es als einzige größere Stadt in Deutschland auf Bundesmittel verzichtet habe.

Unmut über die zweifelhafte Rolle der Braunschweiger Zeitung im Wahlkampf
Viele Fragen der Zuschauer sowie Anmerkungen der Diskutanten richteten sich auf die Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung und ihre Rolle im Kommunalwahlkampf. Herr Rosenbaum äußerte sich zu den verzerrenden und teilweise verunglimpfenden Darstellungen zu seiner Person in der BZ in der Vergangenheit. Weiter äußerte er Unverständnis darüber, warum die Braunschweiger Zeitung, obwohl ihr alle Details zur Problematik der Abwasserprivatisierung bekannt seien, nichts darüber berichte. Herr Possemeyer äußerte sich ebenfalls zu seinen Erfahrungen mit der Braunschweiger Zeitung in der jüngsten Vergangenheit. Den warnenden Hinweis von Herrn Kläsener „Vorsicht, Sie reden öffentlich!“, konterte Herr Possemeyer schlagfertig mit: „Und Sie schreiben öffentlich!“ Zum Teil lautstarke Zwischenrufe aus dem Publikum wie „Hofberichterstatter“ und „Hoffmanns Presseabteilung“ und der lang anhaltenden Beifall zu den kritischen Anmerkungen an der lokalen Berichterstattung machten deutlich, welch schmalen Grad die BZ geht, wenn sie weiterhin die Meinung einer Hälfte der Braunschweiger Bevölkerung ausklammert.

Fazit: Braunschweigs Riss hat zwei Wurzeln
Der tiefe Riss, der durch Braunschweig geht und gleichermaßen von allen Seiten auch so empfunden wird, manifestiert sich nicht nur im Politikstil des noch amtierenden Oberbürgermeisters, sondern auch und gerade an der Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung. Dies wurde durch die Statements von Lokalpolitikern der Opposition und vor allem durch die Beiträge und Reaktionen des Publikums auf dem gestrigen Abend eindrucksvoll deutlich. Ob die Spaltung innerhalb der Braunschweiger Bürgerschaft überwunden werden kann, hängt nicht nur davon ab, ob ein moderaterer Oberbürgermeister gewählt wird, sondern schließlich auch und gerade davon, welchen Weg, die Braunschweiger Zeitung künftig gehen will.

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