Das Wunder von Braunschweig: jetzt mit Echtheitszertifikat von KPMG

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Stolz verkündet der Oberbürgermeister von Braunschweig in einer Presseerklärung vom 13.01.10, dass die Privatisierung der Stadtwerke der Kommune einen dauerhaften Gewinn von 8 Mio. € p.a. erbringen würde. Das hätte eine umfangreiche, komplizierte Studie von KPMG ergeben. Hat es damit seine Richtigkeit? Zweifel sind angebracht.

KPMG nämlich ist nicht irgendein Gutachter, sondern der Hausberater des Stadt. Wie der OB in der Presse zugestand, sei KPMG aufgrund der städtischen Aufträge von der Stadt abhängig (BZ, 24.05.2006). Mehr noch: Bei der Privatisierung der Stadtwerke -eben jenem Geschäft, dessen Güte KPMG nun begutachten sollte- beriet KPMG die Stadt. KPMG hat hier also letztlich über die Güte ihrer eigenen Beratung geurteilt. Grund genug, dem entsprechenden Gutachten nicht einfach zu glauben, sondern genauer hin zu schauen.

Laut KPMG-Gutachten – wie es in der Erklärung der Stadt an die Presse vermittelt wird – begründen die folgenden Eckdaten den vom OB verkündeten Erfolg der Privatisierung:


A.
Die Stadt hat laut KPMG durch die Privatisierung der Stadtwerke Mindereinnahmen in Höhe von 15 Mio € p.a.

Dieser Wert kommt wie folgt zu Stande: KPMG legt für seine Untersuchungen einen für 2010 prognostizierten Jahresgewinn von BS-Energy in Höhe von 90 Mio € zugrunde. Davon flössen der Stadt aufgrund ihres verbliebenen 25 %-Anteils und auf dem Umweg über die Gewerbesteuer insgesamt 35 Mio € zu. KPMG stellt diesem prognostizierten Fall den fiktiven Fall gegenüber, dass die Stadtwerke nicht privatisiert worden wären. Dann hätte laut KPMG für das Jahr 2010 der Gewinn der Stadtwerke nur 60 Mio € betragen (die Öffentlichen können es halt nicht), von dem der Stadt nach Abzug der nicht-kommunalen Steuern 50 Mio € verblieben. Das wären 15 Mio € mehr als im erstgenannten Fall.

B. Die Stadt erspart sich auf der anderen Seite dank des Verkaufserlöses in Höhe von 450 Mio € Zinszahlungen. KPMG legt dafür einen Zinssatz von 5 % fest; somit belaufen sich diese Einsparungen laut KPMG auf 23 Mio € p.a.

Die Privatisierung bringt also laut KPMG der Stadt einerseits Einnahmeverluste von 15 Mio € p.a. und andererseits eine Zinsersparnis von 23 Mio € p.a. Rechnet man die beiden Summen gegeneinander auf, ergibt sich durch die Privatisierung nach Berechnung der Hausberater am Ende für die Stadt ein Vorteil von 8 Mio € p.a. Das klingt sehr schön – zunächst.

Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch zwei Punkte, die diese Rechnung ziemlich fragwürdig erscheinen lassen:

1. Die Frage, ob die Privatisierung als ein Erfolg zu werten ist, hängt maßgeblich davon ab, welcher Zinsgewinn für die von der Stadt erlösten 450 Mio € anzusetzen ist, um ihn korrekt mit den Einnahmeverlusten aus den verkauften Stadtwerken zu verrechnen. KPMG setzt für diese entscheidende Größe -als ob es selbstverständlich wäre- einen Zinssatz von 5% an. Das ist m.E. in zweierlei Hinsicht zu hoch gegriffen:
Zum einen gibt es Kommunalkredite schon für erheblich geringere Zinssätze. Zum anderen darf in der o.g. Rechnung nicht der nominale Zinssatz angesetzt werden, wie es KPMG offensichtlich tut, sondern nur der Realzinssatz, d.h. der nominale Zinssatz minus Inflationsrate. (Ich veranschauliche diesen Grundsatz am Ende des Artikels in einem Exkurs). Der Realzinssatz wird bei einem langfristigen Kommunalkredit realistischer Weise bei ungefähr 3 % liegen.

Erläuterung: Der von KPMG angesetzte Zinssatz von 5% ist sicher deutlich zu hoch gegriffen. Ich wüßte jedenfalls nicht, wann es so einen solchen Realzinssatz jemals gegeben hätte. Umgekehrt ist der derzeitige sehr niedrige Realzinssatz für einjährige Kommunalkredite von 1% (1,4 % Nominalzins abzüglich 0,4 % Inflationsrate) keine Größe, auf die man bauen sollte. Nähme man jetzt aber -wie es möglich wäre- einen Kommunalkredit auf 30 Jahre für 4,2 % p.a. auf und rechnete mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 1,2 % (was angesichts der Staatsverschuldung und dem aufgeblähten Zahlungsmittelumlauf ziemlich konservativ geschätzt ist), dann ist ein Realzins von 3 % eine halbwegs belastbare Größe.

Diesen Zinssatz zu Grunde gelegt ergibt sich folgende Rechnung: Die Stadt hat laut KPMG-Gutachten durch die Privatisierung der Stadtwerke im Jahr 2010 Mindereinnahmen von 15 Mio € zu erwarten. Diesen Mindereinnahmen stehen Zinsersparnisse gegenüber, die die Stadt dank des Verkaufserlöses in Höhe von 450 Mio € hat. Bei einem Realzinssatz von 3 % sind das 13,5 Mio € p.a. Verrechnet man Mindereinnahmen und Zinsersparnisse miteinander, ergibt sich am Ende für die Stadt ein Verlust von 1,5 Mio € p.a., den die Stadt durch die Privatisierung erleidet.

2. KPMG verteilt mit den Zahlen der Gewinnprognosen von 2010 das Fell eines Bären, den BSEnergy noch gar nicht erlegt hat. Das ist umso problematischer, als dass bei BSEnergy ausgerechnet für 2010 mit einem Gewinnsprung gerechnet wird. Für das Jahr 2009 -ein Jahr, das gegenüber 2010 den Vorteil hat, faktisch zu sein- hat BSEnergy gemäß KPMG dagegen nur 69 Mio € Gewinn erzielt, wovon -wie sich leicht errechnen lässt- 25 Mio € an die Stadt fielen. Für das gleiche Jahr geht die KPMG von 53 Mio € Gewinn der Stadtwerke aus, falls diese kommunal geblieben wären. In diesem Fall wären 45 Mio € an die Stadt gefallen.

Die Stadt hat also gemäß der Berechnungsart von KPMG 2009 durch die Privatisierung Mindereinnahmen in Höhe von 20 Mio € erlitten. Diesen Mindereinnahmen sind mit den besagten Zinsersparnissen zu verrechnen, die bei einem Realzinssatz von 3 % 13,5 Mio € p.a. betragen.

Das ergibt im Ergebnis für 2009 einen Verlust von 6,5 Mio € für die Stadt durch die Privatisierung der Stadtwerke.

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Nachtrag:
Ich habe hier nur auf zwei fragwürdige Punkte in der Rechnung des Oberbürgermeisters verwiesen, die sich auf das KPMG-Gutachten stützt. Zwei Punkte, die allein schon in der Lage sind, die Erfolgsmeldungen des OB in ihr Gegenteil zu verkehren.
Das heißt nicht, dass nicht weitere Merkwürdigkeiten in der Rechnung von KPMG gäbe, die es nachzufragen lohnte:
-Ist z.B. die Gewinnexplosion von BSEnergy wirklich gelungen, ohne dass die Kunden von BSEnergy das mit überdurchschnittlich stark steigenden Preise zahlen mussten?
-Wurden sie vielleicht auf Kosten der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter erzielt?
-Und wenn alles korrekt zugegangen ist: warum sollte es kommunalen Stadtwerken dann nicht möglich sein, mit der Gewinnentwicklung gleich zu ziehen? Ist es wirklich wahr, dass Veolia als weltweit agierender Konzern unschlagbare Vorteile gegenüber einem kommunaler Betrieb hat?

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Exkurs:
Wie das Verwechseln von nominalem und realem Zins ein wirklich schlechtes Geschäft wirklich gut aussehen lässt

Angenommen:
– Ich habe einen Betrieb, der einen Marktwert von 1000 € hat und 6 % p.a. Gewinn abwirft, den ich substanzerhaltend entnehmen kann.
– Ich habe einen Kredit über 1000 € aufgenommen, für den ich 7 % Zinsen p.a. zahle.
– Die Inflationsrate sei bei 5 % angenommen

Frage: Soll ich diesen Betrieb verkaufen und die 1000 € dazu verwenden, meine Schulden abzulösen?

Wenn ich den OB richtig verstanden habe, wäre das seiner Meinung nach vorteilhaft. KPMGs Argumentation verstehe ich jedenfalls wie folgt:
„Solange ich den Betrieb halte, habe ich 60 € Einnahmen und zahle 70 € Zinsen, habe also 10 € Verlust im Jahr. Falls ich verkaufe, habe ich keinen Betrieb mehr, aber auch keine Schulden. Meine Bilanz ist dann ausgeglichen, und ich habe einen permanenten Verlust von 10 € p.a. abgewendet. Mit anderen Worten: der Verkauf des Betriebes bringt mir einen permanenten Vorteil von 10 € p.a.! Hurra!“

Tatsächlich wäre der Verkauf aber ein sehr dummes Geschäft. Die eben aufgestellte Rechnung übersieht nämlich den entscheidenden Umstand, dass mein Betrieb bei einer angenommenen Inflationsrate von 5% ebenfalls von Jahr zu Jahr 5 % teurer wird und -bei stabiler Geschäftslage- auch von Jahr zu Jahr nominell 5% mehr Gewinn abwirft. Wenn ich das berücksichtige, komme ich auf folgendes Ergebnis:

– Falls ich meinen Betrieb verkaufe, habe ich sofort, auch nach einem Jahr und auch nach 20 Jahren nichts, null, niente: keinen €.
– Falls ich meinen Betrieb behalte, ergibt sich dagegen folgendes: Ich habe im nächsten Jahr 60 € Einnahmen und zahle 70 € Zinsen. Um den Verlust zu deckeln, nehme ich einen Kredit von zusätzlichen 10 € auf.

Nach einem Jahr habe ich also einen Betrieb, der 1050 € wert ist und habe 1010 € Schulden.
De facto habe ich also durch das Halten des Betriebs 40 € gewonnen statt -wie es bei oberflächlicher Betrachtung erscheint- 10 € verloren.

Beim Kalkulieren mit dem Realzins statt dem Nominalzins wird die nominelle Wertsteigerung des Betriebes, für den ich einen Kredit aufnehme und somit indirekt Zinsen zahle, von vorneherein berücksichtigt und somit der eben aufgezeigte Denkfehler beim Gegenrechnen von Kosten und Nutzen des Betriebs vermieden.

Erläuterung: Der Realzins beträgt im konkreten Beispiel 2 % (7% Nominalzins minus 5 % Inflation). Verrechne ich 60 € Gewinn aus dem Betrieb gegen 20 € Realzins, komme ich im Ergebnis auf die 40 € Reingewinn, der den Tatsachen entspricht.

P.S. Ich höre die Frage: ‚Was soll mir so ein fiktiver Gewinn auf dem Papier nutzen, wenn ich de facto jedes Jahr 10 € zubuttere?’ Eine berechtigte Frage, die aber von einer falschen Voraussetzung ausgeht. Denn schon bald werden im gewählten Beispiel die Einnahmen die Ausgaben übersteigen: Bei stabiler Marktlage werde ich im zweiten Jahr -bei 5 % Inflation- schon 63 € Einnahmen aus dem Betrieb erzielen und 70,70 € Zinsen zahlen, im dritten stehen ~66 € Einnahmen ~71,40 € Zinsendienst gegenüber. Nach weiteren 4 Jahren übersteigen die Einnahmen bereits den Zinsendienst, und das am Anfang so unvorteilhaft erscheinende Festhalten am Betrieb wird von Jahr zu Jahr offensichtlicher zur goldrichtigen Entscheidung.

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