Das stete Vergessen von Fritz Bauer – ein häufiges und merkwürdiges Phänomen

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Zur Neuherausgabe der Anklageschrift zur NS-„Euthanasie“ von 1962 und der Fritz Bauer Ausstellung am Eberhard- Ludwigs- Gymnasium in Stuttgart

In dem Beitrag über die “ ‚Euthanasie‘ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/ M gegen Dr. Werner Heyde u.a. vom 22.Mai 1962″ wurde von mir darauf hingewiesen, dass bei der Neuherausgabe im Jahr 2005 in der ganzen Schrift, auch nicht im Vorwort, Fritz Bauer erwähnt wird (siehe Rundbrief des Freundeskreises vom 11.02.2013). – Obwohl das ganze Verfahren doch auf Fritz Bauer zurückgeht: er hat das Verfahren gegen die am Krankenmord Beteiligten in Gang gesetzt, er ist der Motor des Ganzen gewesen.

Werner Renz machte diesbezüglich darauf aufmerksam, dass es in solchen offiziellen Texten nicht erforderlich sei, die Namen der jeweils amtierenden Personen aufzuführen:

„‚Schriftsätze‘ wie Anklageschriften und Urteile sind von der Sache her ‚entpersonalisierte‘ Texte. So wenig wie in einer von einer landgerichtlichen Staatsanwaltschaft vorgelegten Anklageschrift es üblich ist, von dem Leiter der Behörde zu sprechen (er unterzeichnet in der Regel die Anklageschrift), so wenig ist es üblich, in einem Schriftsatz der Generalstaatsanwaltschaft von dem jeweiligen amtierenden Generalstaatsanwalt zu sprechen.“

Und er weist im Weiteren auf die Entstehung der Anklageschrift hin:

Im Falle der Anklageschrift gegen Heyde hat Bauers Mitarbeiter, Erster Staatsanwalt Johannes Warlo, die Schwurgerichtsklage verfertigt. Bauer mag sie gelesen haben, verfasst hat er sie nicht. Ob er seinem Beamten Ratschläge, Verbesserungsvorschläge etc. gab, müsste bei Herrn Warlo erfragt werden. Bei dem Arbeitsanfall, den Bauer hatte (neben seiner Behörde unterstanden ihm neun Staatsanwaltschaften und die Strafvollzugsanstalten ganz zu schweigen von Bauers „öffentlichen Aktivitäten“ wie Vorträge, Teilnahme an Debatten und Diskussionen, etc) ist es wenig naheliegend, dass Bauer im Einzelnen und im Detail die Schriftsätze, die in seiner Behörde von seinen Mitarbeitern verfasst wurden, gleichsam redigierte.

Trotzdem schien mir eine Würdigung Bauers in dem Buch angemessen zu sein – wenigstens im Vorwort oder einem begleitenden Kommentar. Und tatsächlich schien es ein Mangel zu sein, einfach ein Vergessen, ein Übersehen.

So war es dann auch: Der Neuherausgeber der Anklageschrift, Thomas Vormbaum – inzwischen emeritierter Professor der Fern-Universität Hagen – wurde erst durch den Text im Rundbrief auf diese Tatsache aufmerksam und schrieb mir dazu:

Dass der Name Fritz Bauers in unserer Dokumentation der Anklageschrift Heyde/ Sawade nicht auftaucht, ist mir erst durch Ihre Mitteilung bewusst geworden; leider kann jetzt nur noch mein Bedauern aussprechen. Das hätte natürlich nicht vergessen werden dürfen.“

So wie hier – ganz ohne Absicht – der Name Fritz Bauer vergessen wurde, so war es auch an seiner ehemaligen Schule in Stuttgart, dem Eberhard-Ludwigs-Gymnasium. Obwohl es mehrfach Vorträge und auch Schülerarbeiten über Fritz Bauer an seinem Gymnasium, dem „EBELU“, gegeben hatte, war er gleich wieder vergessen worden – es blieb nichts hängen. So wussten die Schüler, die den Seminarkurs Fritz Bauer belegten, weder wer Fritz Bauer war, noch dass er sogar ein ehemaliger Schüler ihrer Schule gewesen war. Das berührte die Schüler, als sie dann mehr über Fritz Bauer erfuhren. Und es wurde bei der Vorbereitung zu ihrer Bauer-Ausstellung zu einer zentralen Frage, weshalb er selbst an ihrer Schule vergessen wurde.

Sie fanden keine Antwort darauf. Aber sie wollten es für die Zukunft ändern – und so wurde in der Schule ein Gedenkort für Fritz Bauer eingerichtet, der nicht zu übersehen ist. Im Eingangsbereich der Schule wurde der Satz von Bauer angebracht „Wir können die Erde nicht zum Himmel machen, aber jeder kann etwas dafür tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Dieser Satz stammt aus der Schrift von Bauer „Im Kampf um des Menschen Rechte“ von 1955.

Ist es gerade das, weshalb Fritz Bauer immer wieder vergessen wurde? Im Kern ging es ihm um Menschenrechte – und um die Achtung der Menschenwürde eines jeden einzelnen Menschen. Und dafür war er bereit zu kämpfen – mit den Mitteln, die ihm als Jurist und Generalstaatsanwalt zur Verfügung standen. Er war unbequem, deckte auf, ließ nicht locker. Er war bereit, gegen alle Widerstände zu kämpfen und litt darunter, wenn ihm immer wieder Schwierigkeiten bereitet wurden.

Es gab nur sehr wenige Personen im Nachkriegsdeutschland, die sich mit solcher Klarheit an den Werten der Menschenrechte und Menschenwürde orientierten. Das hebt ihn hoch heraus aus der Masse der Juristen, die willfährig auf ihre Karriere achteten und die von den „furchtbaren Juristen“ auch gefördert wurden. Und doch ist Fritz Bauer immer wieder vergessen worden – gewollt und ungewollt. Es ist ein Zeichen für Menschenrechte und Menschenwürde, an Fritz Bauer und sein Staats- und Demokratieverständnis zu erinnern?

Den Schülern und Schülerinnen in Stuttgart ist es jetzt gelungen, dass die Erinnerung bleibt. Möge es nicht nur ein reines Gedenken bleiben – sondern auch Mut machen, für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen und Unrecht nicht zu ertragen bzw. zu akzeptieren. Es ist ein steter Aufruf, das Gute zu wagen, „damit die Erde nicht zur Hölle wird.“

Bericht zur Konferenz: NS-„Euthanasie“-Verbrechen in europäischer Perspektive vom 28. – 30. Januar 2013 in Berlin (Kleisthaus)

 

 

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