Bahnübergang Gliesmarode: Ist die Unterführung gut für den Klimaschutz?

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Lindenallee oder Betontunnel? Darüber wurde heftig gestritten. Foto: Hans-Georg Dempewolf

Seit Februar letzten Jahres wird in den städtischen Gremien intensiv über die verschiedenen Möglichkeiten einer neuen Schienenquerung am Bahnübergang Grünewaldstraße diskutiert. Die Varianten wurden am 15.5. in der VW-Halle interessierten Bürger*innen präsentiert.

Als Alternative kristallisierte sich ein Gegenüber der Nullvariante (Schrankenlösung) und der Unterführungsvarianten heraus. Danach konnten schriftliche Stellungnahmen seitens der Bürger*innen bei der Stadt eingereicht werden. Die DB Netz AG wird in der nächsten Zeit eine Vorzugsvariante ermitteln und diese der Stadt mitteilen. Im weiteren Schritt wird im AMTA (Ausschuss für Mobilität, Tiefbau und Auftragsvergaben) über eine Stellungnahme der Stadt abgestimmt.

Für die Nullvariante (Schrankenlösung) spricht eine Vielzahl von Argumenten: Ganz vorne stehen ökologische (Erhalt der Lindenallee) und Klimaschutzgründe, es folgen Sicherheitsaspekte (Gefährdung der Fußgänger in der Unterführung), Behinderung des Grundwasserflusses durch eine Betonsperre bei einer Unterführung, Beeinträchtigungen eines denkmalgeschützten Ensembles, hohe Baukosten für die Unterführung und schließlich ästhetische Erwägungen und die Lebensqualität betreffende:

Wer möchte schon durch einen verschmutzten Betonkanal gehen anstatt auf einer Lindenallee zu spazieren?

Befürworter der Unterführungsvariante führen vor allem die mögliche Wartezeit am Bahnübergang von ca. 3 Minuten ins Feld, was die Attraktivität der geplanten Veloroute erheblich beeinträchtigen würde. Auch werden Gefahren der Schrankenlösung (Umgehen der geschlossenen Schranke) und ebenfalls der Klimaschutz genannt: Insbesondere die Unterführung würde die Nutzung des Umweltverbundes steigern.

Klimaschutzgründe tragen beide Lager vor. Deswegen ist es lohnend, diese genauer zu beleuchten und gegeneinander abzuwägen.

Emissionen beim Bau von Variante 1

  • CO2-Emissionen durch Stahlbetonherstellung von 2043 m3: 694 t CO2 (Grobschätzung Dipl.Ing. Ulrich Wanzelius); je nach Statik deutliche Überschreitung der Menge erforderlich. Hinzu kommen ca. 8% von 694 t durch Emissionen in Folge von Baumaßnahmen: 56 t. ( In dieser Arbeit werden sämtliche CO2-Emissionen aufgeführt, die beim Bau einer U-Bahnstrecke in Wien auftreten. Das Verhältnis zwischen Emissionen, die durch Baumaßnahmen bedingt sind und solchen durch die Stahlbetonproduktion, wird auf die Braunschweiger Situation übertragen).
  • Fehlende CO2-Senken bei Verlust von 7 Linden (bei weiteren 100 J. Lebensdauer): 10 t

Zusammen ergeben sich mindestens 760 t CO2-Emissionen (tendenziell Unterschätzung) durch den gesamten Bau.

Mögliche Emissionseinsparungen

Einsparungen von CO2-Emissionen treten unter der Hypothese auf, dass (bedingt durch den Unterführungsbau) PKW-Fahrer*innen ihr Auto stehen lassen und mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeitsstelle fahren, d.h. sie würden bei einer Schrankenlösung weiter mit dem Auto fahren.

Berechnungsannahmen (Grobschätzung):

  • je 10 km Hin- und Rückfahrt zur Arbeit
  • CO2-Emissionen pro km: 130 g
  • 230 Arbeitstage / J.
  • durchschnittliche Restlebensdauer der PKW 6 J.
  • Alte PKW werden durch solche mit E-Antrieb ersetzt, die nicht in die Berechnung eingehen.

Ergebnis: Etwa 211 PKW-Fahrer*Innen müssten dauerhaft vom Auto (fossiler Antrieb) aufs Rad umsteigen, um den CO2-Rucksack zu kompensieren, der durch die Betonbauten entstehen würde. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die E-Autos nicht komplett mit regenerativem Strom gespeist werden, so dass sich dadurch die Zahl der zu reduzierenden Autos vermindert. Andererseits werden die baubedingten Emissionen möglicherweise unterschätzt, so dass sich dadurch die Zahl der zu reduzierenden Autos wiederum erhöht.

Fazit

Es handelt sich um Schätzungen, genaue Berechnungen sind nicht möglich. Aber es wird deutlich, dass sehr viele Menschen nötig wären, die nur wegen des Baus der Unterführung zugunsten des Fahrrads auf die tägliche Autofahrt verzichten müssten, um den CO2-Ballast auszugleichen. Die Vermutung ist aber, dass bei und wegen einer gut ausgebauten Veloroute etliche Menschen trotz Nullvariante (Schrankenlösung) aufs Rad umsteigen und dabei eine eventuelle kurze Wartezeit an der Schranke akzeptieren würden.

Unter dem Strich bleibt: Mit einer Unterführung handeln wir uns mit Sicherheit eine riesige CO2-Belastung ein. Die Vermutung der Kompensation durch Umsteiger*innen aufs Rad ist dagegen nichts weiter als eine Hypothese mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit.

Damit sprechen die Erfordernisse des Klimaschutzes eindeutig für die Nullvariante (Schrankenlösung).

Berechnungen der hier demonstrierten Art wären Teil einer sorgfältigen Klimawirkungsprüfung. Seit inzwischen fast 3 Jahren arbeitet die Stadt Braunschweig daran, ein in der Praxis funktionierendes Vorgehen vorzulegen. In diesem Sommer soll es endlich so weit sein. Was ist der Grund für solch ein Schneckentempo, mit dem die Situation eines Klimanotstandes völlig ignoriert wird? Dass die Beschreibung als „Notstand“ 2019 vom EU-Parlament zurecht gewählt wurde, zeigen uns die Braunschweiger Starkregenereignisse von letzter Woche (22.6.) überdeutlich.

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