Arno Gisinger TOPOÏ 09.11.2012 – 06.01.2013 |
Arno Gisinger, aus der Serie Konstellation Benjamin, 2005 – 2009 |
Arno Gisinger wurde 1964 in Österreich geboren und lebt seit 2004 in Paris. Seit über fünfzehn Jahren entwickelt
er eine pluridisziplinäre künstlerische Praxis, die Fotografie mit Historiografie verbindet. Beeinflusst
durch die deutschen Denkschulen der Zwischenkriegszeit (Benjamin, Kracauer, Giedion) und die Methoden der
neuen Geschichtsschreibung (White, Veyne, Ginzburg), versucht er in seinen Projekten eine zeitgenössische
Neuinterpretation von Geschichtsschreibung am Beispiel ausgewählter Orte und Nicht-Orte der Erinnerung. Er
schafft neue Formen und Figuren, indem er sich des Archivs, des Dokuments oder der Zeugenschaft im Sinne
eines living memory bedient. Arno Gisinger arbeitet nicht nach fotografischen Genres, sondern stellt ja nach
Projekt Menschen, Dinge oder Topografien in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen.
Eine retrospektive und prospektive Werkschau
Die Zusammenarbeit mehrerer Institutionen (das Centre photographique d’Ile de France in Pontault-Combault
bei Paris, das Museum für Photographie Braunschweig, die Landesgalerie Linz sowie das Photoforum PasquArt
in Biel) macht es möglich, eine Wanderausstellung zu organisieren, die wichtige Arbeiten der letzten Jahre mit
neuen, für die jeweiligen Ausstellungsorte konzipierten Projekten kombiniert. Die Schau ist inhaltlich retrospektiv
und prospektiv zugleich angelegt. Die Auswahl der Arbeiten schöpft aus dem vorhandenen Fundus, variiert
aber nach den räumlichen Gegebenheiten. Die Ausstellungsform wird also den jeweiligen Orten angepasst.
Das Projekt wird von einer umfangreichen Publikation in Form eines Künstlerbuches begleitet.
Methoden und Perspektiven des Werkes
Von den ersten Arbeiten zur französischen Gedenkstätte Oradour-sur-Glane (Archéologie d’un lieu de mémoire,
1994) und zu einer unterirdischen Rüstungsproduktion in den Tiroler Alpen (Messerschmitthalle, 1995), über die
Auseinandersetzung mit der Enteignung jüdischen Eigentums in Österreich und Frankreich während des Zweiten
Weltkrieges (Invent arisiert, 2000 / 147, rue Sainte-Catherine, 2004) bis hin zur fotografischen Befragung
totalitärer Topografien und Ikonografien der Justiz in Nürnberg (Les Coulisses du pouvoir und La Scène du
procès, 2004) stellen Arno Gisingers Arbeiten auf unpathetische Art und Weise die oft schmerzliche Frage nach
den Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Krieg und Shoah. Waren die 1970er und 1980er Jahre in
vielen europäischen Ländern von einem abrupten Wiederauftauchen der »dunklen Jahre« geprägt, die zu heftigen
politischen Auseinandersetzungen zwischen Vergangenheitsbewältigung und Verdrängung führten, so haben
die Diskussionen der letzten Jahre die nationalhistorischen Sichtweisen vielfach in Frage gestellt. Arno
Gisingers Arbeiten reflektieren und thematisieren diesen Paradigmenwechsel über die geografischen Grenzen
hinaus und stellen die generelle Frage nach Erinnern und Vergessen im Medium der Fotografie.
![]() |
![]() |
Nicht zuletzt stehen sie für die aktuelle Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen innerhalb der Tradition
des Dokumentarischen. Es gibt stets einen Wirklichkeitsbezug, eine Art Feldforschung, in der der Fotoapparat
jedoch nicht zur Erzeugung von Beweismitteln oder von »schönen Bildern«, sondern als Analyse- und
Rechercheinstrument zur Befragung unseres Verhältnisses zur Vergangenheit benutzt wird. Die Methoden der
historischen Disziplin tragen zur Konstruktion seiner Projekte im Vorfeld bei. Arno Gisinger arbeitet systematisch
in Archiven und / oder befragt Zeitzeugen, oft lange bevor die ersten Aufnahmen entstehen. Die Verwendung
neuer Techniken im Printbereich und neue Trägermaterialien (wie zum Beispiel Planen, Plakatpapier oder
Holz) ermöglichen neue Formen der Ausstellungsgestaltung und ein ambivalentes Verhältnis zu Original und
Reproduktion. So wird beispielsweise die Arbeit Konstellation Benjamin jeweils neu und in unterschiedlicher
Größe auf Plakatpapier gedruckt und plakatiert. Arno Gisinger konfrontiert seine Arbeiten oft mit spezifischen
Ausstellungsorten, die vom klassischen Museum und der Galerie bis zu ungewöhnlichen Orten im (halb-) öffentlichen
Raum reichen: von einer alten Tabakscheune bei Langon über die ehrwürdigen Mauern in den Pariser
Tuilerien bis hin zur Mole des alten Hafens in Bastia. Der Ort und seine geschichtliche Aufladung sind stets Teil
der Gesamtinstallation, die den Status und die Aura des Einzelbildes hinterfragt, um unterschiedliche Lesarten
der Arbeiten zu provozieren. Neue Produktionstechniken haben auch die Einbettung von Textelementen in bestimmte
Arbeiten ermöglicht und die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Schrift, von Betrachten und Lesen
fotografischer Bilder gestellt.
In Zusammenarbeit mit dem Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung entsteht für die Ausstellung
eine Arbeit über das gegenseitige Bild Frankreichs und Deutschlands in den Schulbüchern beider Länder
während der Zwischenkriegszeit.
Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog (dt. / franz.) bei Trans Photographic Press / Bucher Verlag,
gestaltet von Helmut Völter.
Eröffnung Donnerstag, 08.11.2012, 19 Uhr
Pressegespräch Donnerstag, 08.11.2012, 12 Uhr
Ausstellungslaufzeit 09.11.2012 – 06.01.2013
Öffnungszeiten Di-Fr 13-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr
Eintritt 2,50 € / ermäßigt 1 €
Führungen sonntags 16 Uhr sowie nach Anmeldung
Veranstaltungen Freitag, 09. November 2012, 19 Uhr: »Kunst als Geschichtsschreibung«,
Künstlergespräch mit Arno Gisinger
Weitere Veranstaltungen ggf. auf www.photomuseum.de
In Kooperation mit
Centre photographique d’Île de France, Pontault-Combault (F)
PhotoForum PasquArt, Biel/Bienne (CH)
Landesgalerie Linz am Oberösterreichischen Landesmuseum (A)
![]() |