Wiederaufnahme für eine Generation: Schräge Hymne auf David Bowie

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„…and the stars look very different today“: Die Textzeile aus Bowie’s „Space Oddity“ überschreibt den Abend im Aquarium des kleinen Hauses. Foto: Staatstheater Braunschweig / Marco Kany

Eine tote Legende, die 40 Jahre die Rock- und Popgeschichte der westlichen Hemisphäre beeinfusst hat, lässt sich nur schwer zum Leben erwecken. Jeder Versuch endet tendenziell tödlich. Zu Vieles muss ausgelassen, verkürzt, ignoriert, unerklärt oder in seinen Facetten übersehen bleiben. Bowie post mortem auf der Bühne darstellen? Dafür bedarf es eigentlich mindestens weiterer 40 Jahre, und das Nonstop. Und dazu nochmal 80 Jahre wegen der vielen Anmerkungen von Kritikern, Besserwissern, Zeitzeugen, Fans und tatsächlich nahestehenden Mitschaffenden. Eine intellektuelle Singularität wie Elvis Presley lässt sich mit einem flotten Medley in 90 Minuten brav abarbeiten. Für einen sich täglich neu erschaffenden Egomanen mit musikalischen, literarischen und darstellerischen Ansprüchen genügen 90 Minuten kaum, um den inneren Zwiespalt vor dem Ändern der Haarfarbe zu erklären.

Schauspieler Heiner Take überrascht und überzeugt mit großartigem Gesangsvermögen in der Titelrolle. Bisweilen zwingt die Regisseurin ihn zum publikumsheischenden Tuntensein. Foto: Staatstheater Braunschweig / Marco Kany

Im „Aquarium“ des kleinen Braunschweiger Hauses unternimmt Heiner Take in der Titelrolle dieses Wagnis dennoch – und erhält hierfür, berechtigt, tosenden Applaus. In der Atmosphäre der rudimentären Studiobühne, die an eine Studentenaufführung im Audimax erinnert (ja, während der Vorstellung darf sogar ein schnödes Pils aus der Flasche verköstigt werden!), nähert Take sich mit beachtlich-stimmlicher Wucht einer Liedfolge des Meisters, die so auf keinem Sampler verewigt werden würde: Vom rock’n’rolligen „Suffragette City“der Frühjahre bis zu den mainstreamigen „Heroes“; von der „Space Oddity“ (etwas zu getragen und melancholisch verschwurbelt) bis zum „Sound of Vision“ ist für eine ganze Generation etwas dabei. Dabei spielt die Regie (Deborah Epstein) mit vielerlei Reminiszenzen: Zeitweilig auf die Studiorückwand projizierte Rasterlinien lassen die hervorragende Bühnenband (Achim Schneider: keyb., bass, Daniel „d-flat“ Weber: Drums, Marc Sauer: guit., bass) wie eine Kraftwerk-Kopie aussehen. Takes‘ Bowie schlüpft auf offener Bühne in diverse Glamrock-, Ziggy- und Space-Kostüme, wird vor dem Publikum umgeschminkt, und zitiert sein Rollen-Vorbild: „Ich kann mir nicht vorstellen, mit Jeans und Gitarre vor die Leute zu treten. Das ist nicht normal.“ Dass sein Alter (Bühnen)-Ego Tate sich dann im knallroten Homo-String vor den Zuschauern auf Sitzsäcken in den ersten Reihen räkeln muss, hätte Bowie wahrscheinlich auch nicht verstanden. Eine Continuity brachte dieser Gag der Regisseurin nicht gerade. Da hat, mit Verlaub, Deborah Epstein inhaltlich geschwächelt (aber das Bild stimmte schon; ist ja die Hauptsache).

Mit Schneebesen und Händen holt Weber aus seinem minimalistischen Set optimale Effekte hervor. Das ist beste Berliner Schule von Mick Harvey („Bad Seeds“, Bowie’s beeinflussende Größe in Schöneberger Junkie-Tagen). Achim Schneider schlägt den Bass sehr zurückhaltend und melodiös und drängt sich dabei nie in den Vordergrund – dennoch lässt die Holztribüne das Publikum jede Saite körperlich spüren. Gitarrist Marc Sauer verarbeitet alle Stile, die Bowie selbst in sich aufgesogen und umgeformt hat: Das begann bei Marc Bolan („T.Rex“), steigerte sich über Rick Wakeman und Velvet Underground und kulminierte in den fruchtbarsten Schaffenstagen bei Brian Eno und Iggy Pop. Allein diese Arbeitsbeziehungsgeschichte wäre schon wieder eine ganze Doktorarbeit wert, einschliesslich Workshop, Konzertabend und Matinée.

Zwangsläufig findet nicht jeder Bowie-Fan der letzten 40 Jahre sein Lieblings-Chamäleon wieder. Und auch die Sicht auf die Person des Sujets wird stark verengt: Epstein setzt ein wenig zu sehr auf das Zerrissene in der Biographie dieser Lichtgestalt Licht, lässt Take die Koketterie mit dem angeblichen Schwulsein von Bowie (in realitas eine gepflegte Provokation, als er bereits in erster Ehe verheiratet war) zu sehr übertreiben. Über 20 Jahre als skandalfreier Ehemann an der Seite von Topmodel Imam bleiben ausgeblendet. Ist die Darstellung von Harmonie zu schwierig für nachdrängende angry young women? Muss man sich da wie die „Bunte“ benehmen, die man ja eigentlich ankotzt? Aber die Frage ist natürlich auch wieder nur die Meckerei eines Besserwissers, der in Bowie’s unheilige Heiligkeit einen eigenen Deutungsanspruch hinein formuliert.

Nach 90 Minuten bleibt als Fazit: Wer sich unvoreingenommen auf das Stück einlässt, mit Überraschungen kein Problem hat, unerfüllte Erwartungen als Freiraum für neuen Input begreift und Popgeschichte als epochebegleitendes Lebensgefühl, ist in dieser Aufführung gut aufgehoben. Heiner Take opfert sich auf für eine Inszenierung, die in ihrer Eindimensionalität nur als „gelungen“ und „schön“ anmuten darf. Die ZuschauerInnnen können übrigens am Schluss mitsingen. Für textunsichere KandidatInnen gibt’s das Wording im Programmflyer.

Aufgrund der großen Nachfrage wird das Stück ab 13. April wieder aufgenommen, Kartentelefon: 0531 – 1234567

 

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