Wähler der AfD – Monster, Verhetzte oder was?

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Foto:pixabay

Die AfD ist derzeit im Umfragehoch: deutlich über 20 Prozent aller Wähler geben an, sie wählen zu wollen; danach wäre sie nach der CDU/CSU bundesweit die zweitstärkste Partei. Vor zwei Jahren erreichte die AfD bei der Bundestagswahl dagegen nur 10,3 Prozent der Stimmen. Ihre Zustimmung hat sich also glatt verdoppelt. Woher kommt der Zuwachs? Das WSI-Institut hat aus umfangreichen Befragungen zwischen 2020 und 2023 wertvolle Erkenntnisse gewonnen. 

Erste Erkenntnis

Der Großteil der Befragten, die seit 2021 zu den AfD-Wählern hinzugekommen sind, hat bei der Bundestagswahl noch eine der fünf demokratischen Parteien gewählt, gehörte also nicht zu denen, die schon lange keine demokratische Partei mehr wählen. 23 Prozent der „aktuellen AfD-Wählenden“ haben vor zwei Jahren sogar eine der drei Ampelparteien gewählt, darunter auch die Grünen. Die WSI-Forscher schreiben: „Dies deutet daraufhin, dass die AfD in nicht unbeträchtlichem Maße Wählende für sich gewinnen konnte, die sich enttäuscht von einer der drei Ampelparteien (Hervorhebung durch A.M.) abgewendet haben.“  Wenn ein Redner auf der Kundgebung gegen die AfD in Braunschweig die Wählerschaft der AfD dagegen pauschal als „rassistisch und nationalistisch verhetzt“ geißelt, will das nicht recht zu diesem Befund passen. Sie sind enttäuscht und haben darüber hinaus das Vertrauen in die Ampelregierung (wie in die Opposition von CDU und CSU) verloren.

Zweite Erkenntnis

Wovon genau sind sie enttäuscht? Das WSI hat die Motive der von ihm so benannten „AfD-Neuwähler“ nun näher betrachtet. Es handelt sich „überdurchschnittlich häufig“ um Arbeiter und Arbeiterinnen, die oft von schlechten Arbeitsbedingungen berichten, aber auch von fehlender Anerkennung, die sich in als unangemessen empfundenem Lohn und in mangelnder Wertschätzung durch Vorgesetzte und Arbeitgeber ausdrücke. Die, die zur AfD wechselten, berichteten auch bereits im Jahr 2022 davon, dass sie durch den Anstieg der Inflation finanziell belastet seien; damals wählten sie noch nicht die AfD, nun tun sie es. Diese Gruppe ist nach der Studie des WSI hochbelastet und hochbesorgt, insbesondere was ihre finanzielle Zukunft betrifft: „Es ist sehr wohl möglich, dass der enorme Anstieg finanzieller Sorgen – auch unter AfD-Wählenden – seinen Anteil daran hatte, dass sich Viele von den etablierten demokratischen Parteien abgewendet haben.“ 

Hinzu komme das Fehlen bezahlbaren Wohnraums, Schwächen der öffentlichen Infrastruktur, aber auch die „tatsächliche Konkurrenzsituation mit zugewanderten Personen.“ Die Gruppe zeige auch ein hohes Maß an Sorgen, zum einen um ihre eigene finanzielle und berufliche Situation, zum andern um den sozialen Zusammenhalt; es gebe das starke Gefühl, dass die Gesellschaft immer weiter auseinander drifte. Die fortwährende Zuwanderung scheine ein besonders wichtiger Grund dafür zu sein, sie müsse aus ihrer Sicht unbedingt begrenzt werden. – Vermutlich wird man dieser Einstellung nicht wirklich gerecht, wenn man sie als ausländerfeindlich bezeichnet. Aber es mag sein, dass sie sich, je länger sich jemand im Bannkreis der AfD bewegt, zur Ausländerfeindlichkeit entwickelt.

Dritte Erkenntnis

Auf der Suche nach weiteren Gründen für die Abkehr der „AfD-Neuwählenden“ von den demokratischen Parteien stießen die Forscher auf die Themenblöcke „Pandemie“ und „Krieg in der Ukraine“. Was die Pandemie betrifft, so hätten sich die Genannten zunächst „weitgehend solidarisch“ verhalten, hätten die Regierungsmaßnahmen eingehalten und nur eine „geringe Impfverweigerungsquote“ vorzuweisen. Dann aber, ab Anfang 2022, sei die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung gestiegen, die Einschränkungen seien zunehmend für unberechtigt gehalten worden und als Bedrohung der Demokratie eingeschätzt worden. 

Auch das Krisenmanagement der Bundesregierung zum Ukrainekrieg wurde von der überwältigenden Mehrheit (diesmal aller AfD-Wähler, also nicht nur der „Neuwähler“) abgelehnt. Die in Politik und Medien vorherrschend vertretene Position, Russland trage die alleinige Schuld an diesem Krieg, wird von mindestens der Hälfte abgelehnt. Gegenüber den ukrainischen Geflüchteten gebe es eine pessimistische bis ablehnende Haltung, so das WSI; drei von vier AfD-Wählern stimmten der Ansicht zu, die Geflüchteten aus der Ukraine sollten sich hier in Deutschland „erstmal hinten anstellen“. 

Die Verfasser der Studie deuten an, dass sie die Positionen in beiden Fragen bereits für Zeichen der Radikalisierung halten. Wenn man sich aber andere Meinungsumfragen zu den Themen Pandemie und Ukrainekrieg anschaut, wird schnell deutlich, dass diese Positionen keineswegs nur vom AfD-Wählerpotential vertreten werden, sondern von einer starken Minderheit oder sogar einer relativen Mehrheit in der Gesamtgesellschaft.

Was kann man aus den drei Erkenntnissen schließen?

Grundsätzlich: die Lebenslage, die Sorgen und die Motive, die Menschen zur Wahl der AfD bewegen, sollten ernst genommen werden. Wenn man sie dagegen als „rassistisch und nationalistisch verhetzte“ Masse diffamiert, ihnen also noch einen zusätzlichen verbalen Tritt in den Hintern verpasst, wird man sie nur noch tiefer in den AfD-Sumpf hineintreiben. Das klingt dann zwar schön entschieden, ist aber einfach dumm.

  • Ohne eine Politik, die im Stande ist, die sozialen und finanziellen Sorgen der Wähler abzumildern, kann nicht erfolgreich gegen den Einfluss der AfD vorgegangen werden. Die WSI-Forscher schreiben:

                      „Gute Politik, die Probleme und Ungerechtigkeiten angeht und löst,

                        kann dafür sorgen, dass Menschen wieder Vertrauen in die Politik

                        fassen.“

Die Massendemonstrationen gegen die AfD sind zwar sehr erfreulich und produktiv, weil sie schädliche politische Positionen ins kritische Rampenlicht befördern, die Demokraten bestärken und verhindern, dass es einen Gewöhnungseffekt für ausländerfeindliche und rassistische Ansichten gibt (oder auch Resignation ihnen gegenüber). Gegen die Ursachen des Problems aber können sie nichts ausrichten. Das zeigt gerade die hier in den Mittelpunkt gestellte Gruppe der „AfD-Neuwähler“, die noch vor zwei Jahren demokratisch gewählt haben. Übrigens ist gerade bei Ihnen das Vertrauen in die AfD merklich kleiner als bei den Stammwählern, jedenfalls noch.

  • Die geforderte „gute Politik“ ist leider derzeit nicht in Sicht. In der Ukrainepolitik gibt es die fortwährende Weigerung, über diplomatische Wege zur Lösung auch nur nachzudenken. Also: mehr Waffen und andere Ausgaben für die Ukraine und ihre Geflüchteten (über den Wiederaufbau gar nicht zu reden). Die nicht durchdachte Sanktionspolitik hat sowieso Verhältnisse geschaffen, die für die Haushalte und die Industrie immer schwerer zu tragen sind – auch hier ist bisher keine Umkehr zu erwarten. 

Und 100 Milliarden extra für die Bundeswehr, darüber hinaus die schon angekündigte dauerhafte Erhöhung des Militäretats; die Spatzen pfeifen es von den Dächern, etwa die FAZ (8.12.2023):

                         „Es will keiner hören, aber hier wird man bald zwischen

                           Sozialstaat und Verteidigung wählen müssen.“

Und nicht einmal beim Thema Pandemiepolitik ist die Regierung in der Lage, die eigenen Maßnahmen nachträglich selbstkritisch zu überprüfen. Dabei kostet das nicht einmal Geld, könnte aber das Vertrauen in die Demokratie erheblich stärken.

Solange aber die Wende zur „guten Politik“ nicht kommt, kann die AfD nicht geschwächt werden; ihr Umfragehoch wird zum Wahlhoch. Das können dann auch Demonstrationen nicht verhindern – leider!  

Alle verwendeten Angaben stammen aus:

Andreas Hövermann: WSI: Das Umfragehoch der AFD – Aktuelle Erkenntnisse über die AFD-Wahlbereitschaft aus dem WSI-Erwerbspersonenpanel; WSI-Report 92, November 2023

Wer das umfangreiche statistische Material der Studie selber anschauen will (auch zu den Stammwählern der AfD), findet am Ende des Textes die PDF zum Herunterladen. Ist zwar ein bisschen anstrengend, lohnt sich aber.

3 Kommentare

  1. Ein Freund von mir war auf einem Seminar zum Thema Buergergeld, wo zum Schluss die Behauptungen von Friedrich Merz exemplarisch nachgerechnet wurden, das Einkommen von Arbeitenden laege unter dem der Buergergeld-Empfaenger.

    Der Rechnung nach bekommt ein vierkoepfiger Haushalt mit einem Beschaeftigten im Mindestlohn insges. ca 3100,- (inkl. Kindergeld u.ae. Leistungen); die gleiche Familie bekommt ca. 2000,- Buergergeld. Hier werden zB Leistungen wie Kindergeld angerechnet und abgezogen.

    Man fragt sich: weiss das Friedrich Merz alles nicht? Ist sein eigenes Leben so weit davon entfernt? Oder gibt es keine anderen Kritikpunkte an der Ampel? Haette er zB im Cumex-Fall genauso gehandelt wie Scholz? Oder sagt er bewusst die Unwahrheit, um AfD-Waehler zu ‚umgarnen‘?
    Ist so jemand geeignet als Bundeskanzler? Kennt sich in der CDU jemand aus, oder traut sich niemand, weil man Aerger kriegt, wenn man gegen den Chef meckert?

    Fakenews sollten kein Mittel in der Debatte sein, genauso wenig wie das Aufhetzen von Teilen der Bevoelkerung gegen andere.

  2. Ich finde den Artikel sehr sachlich und daher sehr gut recherchiert. Die Konsequenz aus dieser Untersuchung ist nur eine: Wir müssen es schaffen, die „abgehängte“ Bevölkerung durch eine Politik, die sie ernst nimmt und die deren Sorgen und Nöte vermindern hilft, zufriedenzustellen und ihnen eine Perspektive in unserer Mitte zu geben. Allerdings ist das leider sehr viel leichter gesagt als getan.

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