Verlegung von Stolpersteinen in Helmstedt: Der Mord an Moritz Klein

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© alipictures / pixelio.de
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Am 07. Oktober 2011 werden in Helmstedt  Stolpersteine verlegt, um an in den Jahren 1933 bis 1945 ermordete bzw. zur Emigration gezwungene jüdische Bürger zu erinnern. Auf diese Weise wird gedacht auch des von der Braunschweiger Justiz ermordeten Helmstedter Juden Moritz Klein. Bei der Verlegung des Stolpersteins für Moritz Klein vor dem Haus, in dem er in Helmstedt zuletzt gewohnt hat, werde ich eine kurze Ansprache halten.

Die voraussichtlichen Uhrzeiten: Beginn der Stolperstein-Verlegung: 7. Oktober 2011, 9.00 Uhr; 11.00 Uhr dann: Eine Feierstunde im Helmstedter Rathaus; anschließend die Verlegung der weiteren Stolpersteine. Der Stolperstein für Moritz Klein wird vermutlich in der Zeit zwischen 9.00 Uhr und 11.00 Uhr verlegt.

Den Enkel von Moritz Klein habe ich zu der Veranstaltung in Helmstedt eingeladen und ihm dazu geschrieben:

 

„Die Ungeheuerlichkeit des an Ihrem Großvater verübten Verbrechen läßt sein Delikt zu einem Nichts verblassen. Gemessen an den Taten, mit denen sich heutzutage meine Richterkollegen in Jugendschutzsachen auseinandersetzen müssen, ist die Tat überhaupt weniger gravierend.

Leider ist eine „Wiedergutmachung“ gegenüber Ermordeten naturgemäß nicht möglich. Wegen des jedes andere Verbrechen überragenden absoluten Unrechts läßt sich das, was Moritz Klein angetan worden ist, nur durch eine vorbehaltlose Ehrung wieder herstellen. Das werde ich in einem Gedenkwort anlässlich der Verlegung des Stolpersteins zum Ausdruck bringen.“

Traurig und beschämend ist, dass nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrorregimes nicht nur die juristischen Schreibtischtäter straflos davongekommen sind, sondern eine Rehabilitierung von Moritz Klein jahrzehntelang unterblieben ist. Merkwürdig berührt auch, dass man in der Gedenkstätte Wolfenbüttel, insbesondere in der Ausstellung, kein Wort zu dem Verbrechen findet. Dabei handelt es sich bei Moritz Klein um den einzigen jüdischen Bürger, der in Wolfenbüttel hingerichtet worden ist.“

Weiter lesen Sie in der anschließenden Dokumentation: „Der Mord an Fritz Klein und die Folgen.“

Der Mord an Moritz Klein und die Folgen

1.Der Helmstedter jüdische Ziegeleiarbeiter hatte im Jahre 1942 wiederholt zwei Kinder sexuell berührt. Nach dem Unrechtsgehalt dieses Sittlichkeitsdelikts selbst nach den Maßstäben des nationalsozialistischen Strafrechts hätte er eine Gefängnisstrafe, allenfalls eine Zuchthausstrafe verdient. Das Sondergericht Braunschweig verurteilte ihn jedoch am 18. August 1942 zum Tode. Damit gingen die Richter über die für Sittlichkeitsdelikte maßgebende Strafrechtsvorschrift (§ 176 RStGB) hinaus, sogar über das nach ihrer Auslegung gleichfalls verletzte rassistische „Blutschutzgesetz“, wonach gleichfalls nur eine Freiheitsstrafe in Frage kam. Zu der furchtbaren Strafschärfung gelangten sie unter Heranziehung des Gesetzes über gefährliche Gewohnheitsverbrecher (§ 20 a StGB), das in einer Zusatzregelung vom 8. September 1941 die Todesstrafe ermöglichte, „wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordert“. Die dürftige Begründung lautete: „Die Strafe für einen Juden, der nach seiner Angabe mit Interesse die Geschehnisse in Deutschland verfolgt (…), der im Jahre 1942, d. i. im 10. Jahr nach der Machtübernahme noch Sittlichkeitsverbrechen an kleinen Kindern begeht, nachdem er durch Hingabe von Süßigkeiten und kleinen Geschenken sie sich zutraulich gemacht hat, kann nur die Ausmerzung sein. Unerheblich ist, dass der Angeklagte entgegen der Art seiner Stammesgenossen durch körperliche Arbeit den Lebensunterhalt verdiente.“[1] Moses Klein wurde am 22. September 1942 in Wolfenbüttel hingerichtet.

2. Bemerkenswert ist auch die Begleitung dieses Justizmordes durch die Presse, in einem Artikel der Braunschweiger Tageszeitung vom 20.08.1942: „Man braucht garnicht erst den Zionstern auf der Brust des 49-jährigen Angeklagten Moses Klein aus Helmstedt zu sehen, um in ihm nicht sogleich einen typischen Vertreter seiner Rasse zu erkennen. Mit einem „mit beredten Händen“ unterstützten Gemauschel überfiel der das Sondergericht (…). Ein unerschöpflicher Wortschwall sollte seine Schandtaten verdecken und verkleinern, doch blieb sein widerliches Geseire vor den deutschen Richtern natürlich ohne Erfolg. Im Gegenteil, machte ihn sein teuflisches Grinsen und sein verschlagener Blick, der seine ganze Verkommenheit offenbarte, nur noch widerwärtiger. Daß er dazu noch nach Strich und Faden log, und vorgab, sich an Einzelheiten nicht zu erinnern (…), machte das Gericht nicht milder gestimmt. Im

ehemaligen Polen geboren, kam Moses Klein 1914 nach Deutschland, wo ihm die geordneten Verhältnisse aber wenig zusagten; denn bald darauf ging er nach Belgien, 1917. Wohl als er Frühlingsluft witterte, kehrte er zurück und nahm in Helmstedt Wohnung. In einem unterschied er sich nun zwar von seinen Rassegenossen. Er verstand es nicht, sich durch Schacher an der Arbeitsleistung deutscher Menschen zu mästen und ein Schmarotzerleben zu führen, sondern er mußte wirklich von seiner Hände Arbeit sein Dasein fristen. Das war jedoch nicht etwa sein Verdienst; denn bei ihm reichten einfach die Geistesgaben nicht zu Handel, Wucher, Betrug und dergleichen, womit uns seine Brüder, die Ostjuden, in jener Zeit beglückten. Dass er aber im übrigen nicht aus seiner Haut konnte, denn Jud bleibt Jud, und getreu der Lehre des Talmud, wonach die Kinder der Gojims für ihn nur Freiwild waren, zeigten seine Straftaten, die nun zur Aburteilung standen (…). Seine nach dem Talmud vor dem Judengott Jahwe wohlgefälligen Taten muß er nun mit dem Tode büßen“.

3. Das Opferschicksal von Moritz Klein gibt Anlaß, auch über die schon in den Anfängen der NS-Zeit erfolgende Entrechtung der Juden im Wege der Gesetzgebung nachzudenken. Moritz Klein, der unter dem Namen „Moses Klein“ verurteilt wurde, erscheint unter diesem Namen bis heute auch in allen Veröffentlichungen. Wie aber kam er überhaupt zu dem Vornamen „Moses“? Jeder, der sich nur etwas mit dem Schicksal der Juden in der Zeit des Dritten Reiches beschäftigt hat, weiß: Juden wurden die Vornamen Sara (Frauen) und Israel (Männer) aufgezwungen. Warum, davon abweichend, nun der amtliche Vornahme „Moses“? Dazu muß man die antisemitische Änderung des Personenstandsgesetzes von 1938 kennen, aber auch dessen Vorgeschichte: Die möglichst genaue „rassische“ Abgrenzung der Juden von den „arischen“ Bürgern gehörte zu den vielen gesetzgeberischen Maßnahmen, ohne die die stufenweise Entrechtung der Juden nicht möglich gewesen wäre. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik gab es Forderungen nach einer Namensgesetzgebung, die es erleichterte, die jüdische Religionszugehörigkeit bereits an den Namen erkennbar zu machen. So zielte die Verordnung vom 21.11.1932 (VO vom 21.11.1932) darauf ab, „Bestrebungen jüdischer Personen, ihre Abkunft durch Ablegung oder Änderung ihrer jüdischen Namen zu verschleiern“, entgegenzutreten. Zahlreiche in den Jahren 1933 bis 1938 vom nationalsozialistischen Gesetzgeber erlassene Gesetzesnormen versuchten, Juden bei der Annahme christlicher Vornamen zu behindern. Zu einer endgültigen Regelung, die Juden auf jüdische Vornamen festlegte, kam es aber erst durch die Verordnung vom 17.8.1938 (Reichsgesetzblatt I, S. 1044, abgedruckt bei Josef Walk (Hg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 1981, mit Kurzbeschreibung der allein im „Altreich“, also außer den besetzten polnischen Gebieten, erlassen 1973 die Juden entrechteten Gesetzesnormen). Nach der vom Reichsinnenministerium und Reichsjustizministerium erlassenen Verordnung vom 17.8.1938 kamen für die Zeit ab 1.1.1939 für männliche Juden allein die Zwangsname

„Israel“ und für weibliche Personen „Sara“ in Betracht. Diese Regelung sollte sie als Juden stigmatisieren und sie ihrer personellen Identität berauben.

Bei der Beantwortung der Frage, warum aus Moritz Klein nicht Israel Klein, sondern „Moses Klein“ wurde, hilft erst der genaue Text der VO vom 17.8.1938 weiter: „Juden, die keinen Vornamen führen, der in dem vom Innenministerium am 18.8.1938 herausgegebenen Runderlass als jüdischer Vorname angeführt ist, haben vom 1.1.1938 ab als weiteren Vornamen den Namen „Israel“ (für männliche Personen) oder „Sara“ (für weibliche Personen) anzunehmen (vgl. auch Cornelia Essner: Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933 bis 1945, Paderborn 2002, S. 250 ff, 255).

Nach Auskunft des Standesamtes Helmstedt führte Moritz Klein die Vornamen Moritz und Moses. So konnte er wenigstens einen Vornamen behalten, der phonetisch seinem Rufnamen Moritz ähnelte. Vielleicht hatte er es aber nur der Korrektheit des Helmstedter Standesbeamten zu verdanken, dass im Personenstandsregister nicht schematisch „Israel“ eingetragen wurde.

Nimmt man die plakativen Überschriften ernst, mit denen der Wolfenbütteler Gedenkstättenleiter in Pressemeldungen für sich werben läßt, hat er sich zur Aufgabe gemacht, „Opfern der NS-Justiz ihre Namen zurückzugeben“ (Wolfenbütteler Zeitung vom 16.06.2009 und 18.03.2010). Dass dies aber bislang nur metaphorisch gemeint ist, ergibt sich daraus, dass die von ihm geförderte Schülerarbeit u. a. darin besteht, auf dem Gräberfeld des Wolfenbütteler Friedhofs Schilder mit den unverändert gebliebenen Namen von dort begrabenen gestorbenen Zwangsarbeitern und anderen Opfern zu verlegen. Eine Opferbiographie für Moritz Klein hätte nicht zuletzt eine Möglichkeit geboten, diesem Justizopfer seinen wirklichen Namen zurückzugeben. Dazu muß man allerdings etwas über die Namensgesetzgebung des Nationalsozialismus wissen.

4. Zur Straflosstellung der Richter im Fall von Moritz Klein

Anfang 1948, als wohl erster Versuch eines Rechtsbeugungsverfahrens gegen NS-Richter leitete die Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Braunschweiger Landgerichtspräsidenten und Vorsitzenden des Sondergerichts Hugo Kalweit und seine Beisitzer, die Richter Günter Seggelke und Rudolf Grimke mit dem Vorwurf des Totschlags ein. Dabei stützte sie sich auf die Begründung des Urteils von 1942, in der die Richter die fehlende Gesetzesgrundlage durch unverhohlene antisemitische Wendungen ersetzten: „Die Strafe für einen Juden, der (…) Sittlichkeitsverbrechen an kleinen Kindern begeht, nachdem er durch Hingabe von Süßigkeiten und kleinen Geschenken sie sich zutraulich gemacht hat, kann nur die Ausmerzung sein. Unerheblich ist, dass der Angeklagte entgegen der Art seiner Stammesgenossen durch körperliche Arbeit den Lebensunterhalt verdiente.“ Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren schließlich ein, weil die Richter das Unrecht nicht hätten erkennen können. Inzwischen hatte sich der im November 1949 ins Amt des Braunschweiger Generalstaatsanwalts gekommene Fritz Bauer eingeschaltet. Auf seine vom Justizminister bestätigte Weisung mußte die Staatsanwaltschaft das Verfahren wiederaufnehmen. Am 21.08.1950 erhob sie Anklage zum Schwurgericht. Nun lehnte das Landgericht Braunschweig die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Es könne nicht nachgewiesen werden, welche der drei Richter für die Todesstrafe gestimmt hätten: „Diese Feststellung und schon eine Befragung der Beschuldigten in diese Richtung würde ein unzulässiges Eindringen in das gesetzlich geschützte Berufsgeheimnis bedeuten.“

Exkurs: hier könnte man sowohl in einer Diskussion mit Juristen als auch mit interessierten Schülern die Reichweite des Prinzips der im Grundgesetz (Art. 97 GG) garantierten richterlichen Unabhängigkeit beleuchten, worunter auch das Verbot jeglicher direkten und indirekten Zensur und von direkten oder auch verkappten Weisungen zu verstehen ist. Gilt dies aber auch für die Justiz in einem totalitären Staat? Übrigens: um die niedersächsischen Richter gegen eine Anwendung des in der Anklage genannten Tatbestandes der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Kontrollratsgesetz Nr. 10) einzustimmen, reiste der Vizepräsident des OLG Celle, Gerhard Erdsieck zu von den Gerichtspräsidenten organisierten Vorträgen auf Dienstbesprechungen an allen Oberlandesgerichten – eine heute nicht mehr mögliche justizielle Lenkungsmaßnahme.

Gegen die Nichtzulassung der Anklage legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein, mit einer zusätzlichen Begründung des im Jahre 1949 ins Amt des Braunschweiger Generalstaatsanwalts gekommenen Fritz Bauer, mit Ausführungen von ähnlicher Klarheit wie die späteren Äußerungen Fritz Bauers in dem Verfahren gegen die am Anstaltsmord beteiligte NS-Juristenprominenz.

Doch zeigte sich, wie singulär und isoliert die Stellung von Fritz Bauer in der deutschen Justiz war. Die Beschwerde wurde am 12. Juli 1951 vom Strafsenat zurückgewiesen. Interessant und geradezu spannend ist, dass sich nach Herkunft und Mentalität zwei Antipoden gegenübertraten: Meier-Branecke, bis 1945 einer der ranghöchsten Wehrmachtsjuristen (dessen Täterbiographie längst in der Gedenkstätte Wolfenbüttel zu finden sein müßte) auf der einen Seite, Fritz Bauer als schon in der Weimarer Republik zum Demokraten gereifter Jurist, NS-Verfolgter und Emigrant.

Nun trat eine Wendung ein. Sie ließ die Problematik des Kontrollratsgesetz Nr. 10 und seiner möglichen Unvereinbarkeit mit dem Rückwirkungsverbot entfallen und hätte eine Verurteilung der Braunschweiger Sonderrichter ermöglicht. Denn zugleich war die den deutschen Gerichten die hinsichtlich der unter dem Schutz der Besatzungsmächte stehenden NS-Opfer, auch der Juden, bislang versagte Anwendung des deutschen Rechts freigegeben. Deshalb forderte Fritz Bauer eine Prüfung nach deutschem Recht. Es komme Rechtsbeugung in Tateinheit mit Mord in Betracht. Der Strafsenat wies auch diese Gegenvorstellung zurück: Rechtsbeugung setze voraus, dass der Richter gegen seine Überzeugung gehandelt habe. Gerade weil alle drei Angeschuldigten überzeugte Nationalsozialisten gewesen seien, lasse sich nicht widerlegen, dass sie das drakonische Urteil in ihren nationalsozialistisch beeinflussten Gedankengängen für gerecht gehalten hätten. Originalton des Strafsenats: „Sie waren nicht hart gegen ihre Überzeugung, sondern hart aus Überzeugung.“ Unbeachtlich sei eine solche Überzeugung der Richter nur beim Nachweis einer judenfeindlichen Einstellung. Diesen Nachweis sahen die Oberlandesrichter als nicht geführt an. Dabei sahen sie über die unverkennbar antisemitischen Passagen des Urteils gegen Moses Klein großzügig hinweg.

Der Fall Moritz Klein zeigt besonders drastisch, wie unmöglich es ist, Opferschicksale von Täterbiographien zu trennen. Und welch ein Zusammentreffen! Einerseits die opportunistischen Richter des Sondergerichts (die nach ihrer Vorgeschichte und Mentalität wahrscheinlich nicht einmal  fanatischen Antisemiten waren, ungeachtet der anpasserischen Urteilsgründe). Sodann die nach 1945 mit dem Rechtsbeugungsverfahren befassten Richter des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, die sich der Verdrängungsmentalität der Nachkriegsjahre unterwarfen. Dazu die rechtspolitischen Antipoden Meier-Branecke und Fritz Bauer mit ihren geradezu beispielhaften gegensätzlichen Biographien. Die große Biographie über Fritz Bauer von Irmtrud Wojak liegt seit einem Jahr vor, meine Biographie von Hans Meier-Branecke wird demnächst veröffentlicht. Der Mord an Moritz Klein und seine Aufarbeitung nach 1945 sollte zum Anlaß genommen werden, am Beispiel der Juristen Hans Meier-Branecke und Fritz Bauer zweier in Arbeitsweise und Mentalität unterschiedlicher Juristenpersönlichkeiten zu gedenken.

Auch kann man im Fall Moritz Klein anschaulicher als in anderen Fällen zeigen, wie sehr jene antisemitische Justiz Hand in Hand mit der Presse ging. In die Opferbiographie Moritz Klein oder – noch besser – in eine Themenakte zum Fall Moritz Klein gehört unbedingt ein Faksimile des Berichtes der Braunschweiger Tageszeitung vom 20.08.1942 über die Gerichtsverhandlung vom 18. August 1942. Der Artikel, an diffamierenden Wendungen und demagogischem Antisemitismus kaum noch zu übertreffen, ähnlich den antisemitischen Tiraden eines Ludwig Streicher und seines Hetzblattes „Der Stürmer“.

Diese kapitel- und personenreiche Darstellung des vor und nach 1945 an Moritz Klein begangenen Unrechts darf in der Wolfenbütteler Ausstellung nicht länger fehlen. Es wäre der Versuch einer posthumen Genugtuung. In diesem Zusammenhang fällt mir wieder das von dem Gedenkstättenleiter anspruchvoll aufgeblasene Wort von der „Schicksalsklärung“ ein.

5. In seiner Aspektvielzahl – mit Stichworten wie „Justizmord“, antisemitische Justiz, NS-Justiz und NS-Massenpresse, antisemitische Namensgesetzgebung, gescheiterte Aufarbeitung nach 1945, unterschiedliche Juristenmentalitäten – Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE MicrosoftInternetExplorer4 /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:“Normale Tabelle“; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-priority:99; mso-style-qformat:yes; mso-style-parent:““; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin:0cm; mso-para-margin-bottom:.0001pt; mso-pagination:widow-orphan; font-size:11.0pt; font-family:“Calibri“,“sans-serif“; mso-ascii-font-family:Calibri; mso-ascii-theme-font:minor-latin; mso-fareast-font-family:“Times New Roman“; mso-fareast-theme-font:minor-fareast; mso-hansi-font-family:Calibri; mso-hansi-theme-font:minor-latin; mso-bidi-font-family:“Times New Roman“; mso-bidi-theme-font:minor-bidi;} „erscheint der Fall sowohl thematisch unter dem Stichwort ‚Judenverfolgung’ als auch wegen des Regionalbezugs zu Braunschweig gewürdigt zu werden“: In einer Opferbiographie und in einem Themenheft. Darin müssten weitere Namen genannt werden. So der Name von Hans Globke, im Reichsinnenministerium ab 1932 erst als Regierungsrat, dann als Ministerialrat tätig, später, von 1949 bis 1963 Ministerialdirigent und Ministerialdirektor, ab 1949 unter Konrad Adenauer Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Im Reichsinnenministerium war er als Referent für „allgemeine Rassefragen“ zuständig für die antisemitischen Personenstands- und Namensgesetzgebung. Nachdem er an den berüchtigten „Nürnberger Gesetzen“ von 1935 mitgewirkt hatte, veröffentlichte er gemeinsam mit Wilhelm Stuckart 1936 den Kommentar zur „Reichsbürgergesetz, Blutschutzgesetz und Gesundheitsgesetz“.

Gerade im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Namensgesetzgebung muß ein weiterer Jurist genannt werden, nicht zuletzt auch wegen seiner Verbindung mit dem Braunschweiger Raum: Friedrich A. Knost. Auch er war (seit 1934) im Reichsinnenministerium in Berlin tätig, anfangs als Referent unter dem Referatsleiter Globke, dann Vizepräsident des Reichssippenamtes. Dieses unterstand dem Reichsinnenministerium und war 1934 aus der Dienststelle des Sachverständigen für Rasseforschung hervorgegangen. Mit Abstammungsbescheiden (über die „blutmäßige“ Abstammung, also über die vorhandene oder fehlende Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“) entschied Knost somit über Tod und Leben von vielen Menschen.

Gemeinsam mit dem Ministerialrat Bernhard Lösener veröffentlichte auch Knost einen Kommentar über „die Nürnberger Gesetze, über das Reichsbürgerecht und den Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Mit den Statusdefinitionen im Kommentar machte auch er die Nürnberger Rassengesetze erst praktisch durchführbar und ermöglichte die Deportation und den Massenmord an den Juden. Ab 1952 war er Regierungsvizepräsident in Stade, 1954 Kurator der Universität Göttingen und von 1956 bis 1964 Präsident des Verwaltungsbezirks Braunschweig. Danach wurde er Präsident des Bundesverbandes der deutschen Standesbeamten (ferner, aber noch zu überprüfen, Präsident des Deutschen Rotes Kreuzes). Auch war er Mitglied der Historischen Kommission für Niedersachsen. Von 1956 bis 1968 war er Vorsitzender des Braunschweigischen Geschichtsvereins. Zu seinem 80. Geburtstag am 21. September 1979 ließ der Braunschweigische Geschichtsverein seinem Ehrenmitglied Friedrich A. Knost durch eine Abordnung seine besonderen Glückwünsche aussprechen. Dazu wird in der Laudatio in dem vom Braunschweigischen Gesichtsverein herausgegebenen Braunschweigischen Jahrbuch (Bd. 60, 1979) lobend erwähnt: „In den Jahren 1931 bis 1944 erschienen von F. A. Knost nicht weniger als 340 gezeichnete Beiträge in der Zeitschrift „Das Standesamt“, darunter viele größere Aufsätze“. Der Braunschweigische Geschichtsverein hatte bereits den im Jahre 1969 erschienenen Band 50 des Jahrbuches „In Dankbarkeit seinem Ehrenmitglied Herrn Dr. jur. Friedrich A. Knost (…) zum 70. Geburtstag“ gewidmet.

6. Literaturhinweise

zum Fall „Moses Klein“: Hans-Ulrich Ludewig und Dietrich Kuessner: „Es sei also jeder gewarnt“. Das Sondergericht Braunschweig 1933 – 1945, S. 84, 242 – 245

Cornelia Essner: Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933 – 1945, Paderborn 2002, insbesondere S. 254 – 257

Helmut Kramer:

Richter vor Gericht: Die juristische Aufarbeitung der Sondergerichtsbarkeit, in: Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit. Ein Tagungsband, S. 122 ff.

zu Hans Globke: Jürgen Bewers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globke.


[1] Diesen Versuch des Sondergerichts, sich in der Urteilsbegründung den Anschein der Korrektheit zu geben, kommentierte Fritz Bauer in seinem Schriftsatz vom 23.10.1951 an den Braunschweiger Strafsenat mit der Bemerkung: „Etwas kürzer hat es nur noch der Patriarch in Lessings „Nathan“ gesagt: ‚Tut nichts ! der Jude wird verbrannt !’“


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