Uwe Fritsch: Meine Leidenschaft ist es, den Alltag im Interesse der Menschen politisch mitzugestalten

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Uwe Fritsch. Foto: Frau Taylor

Der frühere Betriebsratsvorsitzende des Braunschweiger VW-Werks, Uwe Fritsch, hat dem Braunschweig-Spiegel ein Interview gegeben. Wir sprachen über Erfolge und Misserfolge und seine Motivationen politisch gestalten zu wollen. Neue Gestaltungsräume öffnen sich nun über sein Engagement bei der BIBS, für die er zur Kommunalwahl antritt.

Die Fragen stellte Uwe Meier

Herr Fritsch,

über viele Jahre waren Sie Vorsitzender und damit in verantwortlicher Position im Betriebsrat von VW Braunschweig. Sie haben Höhen und Tiefen des Unternehmens miterlebt. Was war ein Höhepunkt und ein Tiefpunkt in Ihrem Leben bei Volkswagen?

Das Volkswagenwerk in Braunschweig muss sich mit seinen Lenkungen, Achsen und anderen Fahrwerksteilen bei Produktvergaben gegen die kapitalistische Konkurrenz von Zulieferern aus aller Welt behaupten. Da unterscheiden wir uns etwas von den fahrzeugbauenden Werken. Der betriebswirtschaftliche Druck auf den Standort ist enorm. Das ging sogar so weit, dass es Unternehmensvorstände gab, die das Werk komplett verkaufen wollten. Das war sicherlich ein Tiefpunkt. Zugleich waren diese Auseinandersetzung und das Ergebnis dieses Konfliktes ein großartiger Erfolg. Denn die Belegschaft hat sich erfolgreich gegen den Verkauf gewehrt. Das liegt über ein Jahrzehnt zurück. Heute gehört die Komponentenfertigung ganz selbstverständlich zu Volkswagen. Sie trägt ihren Beitrag zum Erfolg des gesamten Konzerns bei.

Was waren für Sie in den Jahren als Betriebsratschef Ihr persönlich größter Erfolg und die größte Niederlage?

Für mich war immer eine der wichtigsten Kriterien für den Erfolg die Beschäftigungsentwicklung. Die nachhaltige Sicherung von Beschäftigung und Arbeitsplätzen ist eine Hauptaufgabe des Betriebsrates. Zu Beginn meiner Amtszeit als Vorsitzender des Betriebsrates lag die Beschäftigung in Braunschweig bei rund 5.700. Heute liegen wir bei rund 8.600. Auf diese gemeinsame Leistung aller Kolleginnen und Kollegen in der Interessenvertretung, gemeinsam mit unserer Gewerkschaft der IG-Metall, bin ich sehr stolz. Dennoch gabt es auch dabei persönliche Tiefpunkte. Das war für mich im Jahr 2016, als wir Kolleginnen und Kollegen aus der Zeitarbeit gegenüberstanden und sie erfahren mussten, dass es für sie keine Weiterbeschäftigung bei Volkswagen gibt.

Sie haben im Mai das Amt des Vorsitzenden des Betriebsrates abgegeben und kandidieren für die BIBS für den Rat der Stadt. Dass sie nun ehrenamtlich politisch weiterarbeiten wollen und Ihr Wissen und Können in die Stadt einbringen möchten, überrascht kaum. Was ist das Interessante an der BIBS-Gruppierung, und was können sie in den Rat einbringen, wenn Sie gewählt werden?

Meine Leidenschaft ist es, den Alltag im Interesse der Menschen politisch mitzugestalten. Bisher habe ich das im Betrieb getan. Das Programm der BIBS bietet viele gute Ansätze, die ich teile. Besonders hervorheben möchte ich die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit auch auf lokaler Ebene. Zum Beispiel der Umgang mit der Verarbeitung von radioaktiven Stoffen in Thune.

Die BIBS steht für die Bündelung lokaler Initiativen und Belange. Sie versteht sich nicht als klassische Partei, sondern als Gruppierung. Das ist etwas Besonderes.

Ich sehe meine politischen Schwerpunkte weiter in der lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Braunschweig ist nach wie vor eine Industriestadt.

Wir brauchen ganzheitliche Politikansätze und Lösungen, die ökologische Anforderungen und Notwendigkeiten mit wirtschaftspolitischen Möglichkeiten und beschäftigungspolitischen Anforderungen vereinen. Beispiel: In unserer Region dreht sich wirtschaftlich und bei den Arbeitsplätzen ein großer Anteil ums Automobil. Welche Auswirkungen hat der Umbau hin zur E-Mobilität auf Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung in der Region? Welche Effekte können sich durch neue Geschäftsfelder und neue Verkehrskonzepte ergeben? Das muss politisch gestaltet werden.

Dafür will ich mich zusammen mit der BIBS stark machen.

Vor einigen Wochen gab es Demonstrationen auf den Straßen und im VW-Werk Wolfsburg für den Klimaschutz und gegen klimaschädliche Autos – also gegen die Produkte ihres Kerngeschäfts. Wie kann die Autoindustrie den Spagat zwischen Klimaschutz und klimaschädlichem Auto hinbekommen?

Der Volkswagenkonzern hat sich zum Klimaziel von Paris bekannt. Seit einiger Zeit betreibt das Unternehmen den konsequenten Übergang vom Verbrenner-Antrieb hin zur Elektromobilität. Das ist eine enorme Herausforderung. Zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz im Unternehmen gehören aber nicht nur elektrisch angetrieben Fahrzeuge, sondern auch eine CO² neutrale und nachhaltige Produktion. An dieser Neuausrichtung hat auch die Mitbestimmung einen erheblichen Anteil.

Übrigens Nachhaltigkeit bedeutet für mich immer auch soziale Nachhaltigkeit, das heißt Beschäftigungssicherung, gute Arbeitsbedingungen und ordentliche Entgelte.

Ich verstehe das Anliegen der Demonstranten voll und ganz. Aber ich frage mich schon, ob Volkswagen angesichts seiner Strategie der richtige Adressat für die Kritik ist. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Volkswagen immer die erste Adresse für diese Proteste ist.

Wie groß ist die Sorge der Beschäftigten in der Autoindustrie um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze angesichts des immer notwendigeren Klimaschutzes? Denken die Kolleg*innen der Autoindustrie, wenn es ums Klima geht, nur an ihre Arbeitsplätze oder auch darüber hinaus?

Ich trete dafür ein, dass Ökologie und Ökonomie nicht gegeneinandergestellt werden dürfen.

Die Kolleginnen und Kollegen in den Automobilfabriken, schauen nicht nur auf ihre Arbeitsplätze. Sie sind auch bewusste Konsumenten; sie und ihre Familien wollen eine intakte Umwelt. Auch sie sind von den Folgen des Klimawandels betroffen. Das höre ich in vielen Diskussionen. Deshalb brauchen wir einen Ausgleich von Ökologie und Nachhaltigkeit auf der einen Seite und wirtschaftliche Belangen und den Interessen von Beschäftigten übrigens in allen Branchen andererseits. Was wir zukünftig unter Wohlstand verstehen wollen, muss erweitert werden. Wirtschaftliche Entwicklung, die Sicherung und die Schaffung neuer Beschäftigung ist nur mit und nicht gegen Nachhaltigkeit und Klimaschutz möglich.

Volkswagen ist für unsere Region und für Niedersachsen lebensnotwendig. Was meinen sie: Wird VW gestärkt aus der Transformation einer der tiefsten Strukturveränderungen der vergangenen Jahrzehnte hervorgehen und auch zum Klimaschutz Entscheidendes beitragen?

Volkswagen ist ein Treiber beim ökologischen Umbau der Automobilindustrie. Daran kann meines Erachtens kein Zweifel bestehen. Die Furcht um Arbeitsplatzverluste ist durchaus vorhanden. Bei Volkswagen gibt es seit vielen Jahren eine stabile Beschäftigungssicherung. Das ist ein Erfolgsgarant bei der anstehenden Transformation. Gerade das Braunschweiger Werk zeigt, dass der Umstieg erfolgreich gestaltet werden kann. Wir haben zum Beispiel die bisherige Produktion von Kunststoffteilen schrittweise auslaufen lassen und parallel die Fertigung von Batteriesystemen für E-Autos ausgebaut. Übrigens mit hohen Investitionen. Das Werk ist nicht nur ein positives Beispiel für die Transformation, sondern fester Bestandteil der E-Mobilitätsstrategie von Volkswagen.

Welche kommunalpolitischen Ziele sind Ihnen am wichtigsten?

Wir brauchen eine nachhaltige Lösung für die Strahlenbelastung und das Nuklearrisiko im Ortsteil Thune. Das erwarten die Menschen in Braunschweig und so ganz nebenbei bemerkt liegen alle Braunschweiger VW-Standorte bei einem Störfall in der Risikozone.

Großen Handlungsbedarf sehe ich bei der Verringerung der Verkehrsbelastung insbesondere im Nordwesten unserer Stadt. Man kann vor allem mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen. Da sehe ich ganz konkrete Möglichkeiten. Darüber hinaus brauchen wir ein umfassendes Verkehrskonzept. Das ist ein wichtiger Beitrag hin zu einer lebenswerten Stadt.

Herr Fritsch, ich danke ihnen für das Gespräch.

Vita Uwe Fritsch

25.03.1956: in Braunschweig geboren

1977: Abitur am Gymnasium „Hoffmann-von-Fallersleben“ in Braunschweig

1978 bis 1982: Lehre zum Radio- und Fernsehtechniker

seit1982: bei Volkswagen Braunschweig, Tätigkeiten in der Produktion, dann Güte-Prüfer

1987: erstmals Wahl zum Mitglied des Betriebsrats

2002 bis Mai 2021 Vorsitzender des Betriebsrates

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