Traumstoffe oder die Metamorphose vom Tanzschuh zum Filzpantoffel (Teil 24)

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1976, gut dreißig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, beschenkte Oswald Mathias Ungers die Stadt Braunschweig mit einer großartigen analytischen Studie zur Morphologie der Stadt und des Schlossparkareals sowie mit Vorschlägen zur weiteren Entwicklung. Ungers bespielte, besser noch: betanzte den höfischen Grund des Schlossgartens mit archetypischen Grundformen und entwarf einen Strauß von schwebend leichten Alternativen für eine Durchformung des Parkareals mit Bepflanzungen und architektonischen Bauelementen im Geiste der höfischen Kultur. Auf einem hier wiedergegebenen Deckblatt der Studie hat er dann auch den Grundriss und die Lage des Schlossgartens innerhalb des Okerringes mit einem Tanzschuh markiert. (P.S. Die Grafik-Collage ist etwas unglücklich geraten: Die waagerechten Beschriftungen und die Form des Schlossparkareals links unten mit dazu passendem Schuhwerk sind Hinzufügungen von mir. Dies auf einem Deckblatt der Studie von Ungers, Kollhoff und Will, das den Okerverlauf über Planquadraten zeigt, darin den Umriss des Schlossparks mit einem Ballettschuh und senkrechter Schrift hervorhebtt. K. E.)

 

 

 

2006, dreißig Jahre später, finden wir unter der Ägide von Dr. Gert Hoffmann und seinem Stadtbaurat Wolfgang Zwafelink den Schlossgarten mit einem riesigen, unförmigen Einkaufzentrum zugetrampelt, dass sich über dem Areal wie ein grober, klobiger Filzpantoffel breit macht. Aber Adel verpflichtet – und wie zum Hohn hat man dem Filzpantoffel in trunkenem Übermut mit der Schlossfassade die karnevalistische Adelsmaske eines so genannten „Faschingsprinzen“ vor die Hühneraugen gehängt.

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(Im Bild: Ein kleines visuelles Zitat aus einem Bild der unfertigen, unverfugten Fassade während der Enthüllungsfeier – Link)

Gehen wir weiter von der Form zum Stoff aus dem die Träume sind, in diesem Fall zum Filz, in dem man es sich bekanntlich so recht pantoffelgemütlich einrichten kann.

Hinter den Fassaden des Rathauses und der ECE scheint es Aufregung zu geben. ECE bedrohe die Stadt Braunschweig mit einer „beträchtlichen Vertragsstrafe“, wenn die Zugänge zum Einkaufszentrum nicht bis zum 30. März 2007 fertig gepflastert seinen, berichtete Norbert Jonscher am Samstag vor einer Woche in der Braunschweiger Zeitung. Das scheint mal wieder völlig absurd, wie so vieles oder fast alles um das närrische Grosskaufhaus über dem ehemaligen Schlossparkgelände.

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(Der gleiche unfertige, unverfugte Fassadenteil einige Tage nach der Enthüllungsfeier Anfang September – wie alle anderen Ausschnitte, die folgen.)

Denn erst einmal hat man noch viereinhalb Monate Zeit, um den Vorplatz zu pflastern, und für so eine Pflasterarbeit braucht man vielleicht einige Wochen, kaum einige Monate.

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(Nach der Fassadenenthüllung und vor der Kommunalwahl)

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Zweitens unterbrach man auf Seiten der ECE mitten in der Bauphase alle Arbeiten an und vor der Schloss-Fassade, um eine Enthüllungsfeier des unfertigen Portikus zu feiern. Dafür musste man die Fassade aber erst einmal verhüllen, und um die Fassade überhaupt verhüllen zu können, musste man auch noch die Baugerüste abbauen, die einer Ver- und Enthüllung des Braunschweiger Pantoffelfilzes gleichermaßen im Wege standen.

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(Nach der Fassadenenthüllung und vor der Kommunalwahl)

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Miit einer großen Feier enthüllte man dann die unfertige Fassade.

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(nach der Fassadenenthüllung und vor der Kommunalwahl)

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(nach der Fassadenenthüllung und vor der Kommunalwahl)

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(nach der Fassadenfeier und vor der Kommunalwahl)

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Direkt nach der Enthüllungsfeier hatte man schon einmal angefangen, die Baugerüste vor der Fassade wieder aufzubauen. Doch hastig nahm man sie wieder weg. Erst einige Tage nach der Kommunalwahl, die dieses Mal wohl rein zufällig so terminiert war, dass sie – welch glückliche Fügung! – gerade mit der „Enthüllungsfeier“ des Braunschweiger Portikus harmonierte, wurden die Baugerüste wieder aufgebaut.

Gegen drei Wochen hatte man die Arbeit an der Fassade unterbrochen. Rechnet man die Zeit für den Ab- und den Wiederaufbau der Baugerüste noch hinzu, hat man fast einen ganzen Monat Bauzeit verprasst und verfeiert. In einer solchen Zeitspanne kann man aber die Zugänge zum Einkaufszentrum mehrfach pflastern.

In Pressererklärungen, wie sie dann auch von der Braunschweiger Zeitung verbreitet wurden, erklärte der Oberbürgermeister, die Fassadenfeier sei nicht Sache der Stadt gewesen, sondern allein Sache der ECE bzw. der Credit Suisse und diese hätten die Enthüllungsfeier auch allein bezahlt.

Damit hätte die ECE dann aber einen ganzen Monat Zeit verschwendet, um eine völlig unsinnige Feier zu veranstalten, die nur Zeit und Geld kostete und jedenfalls besser nach Fertigstellung der Fassaden und der Vorplätze veranstaltet worden wäre. In dieser Zeit hatte die Stadt aber keine Möglichkeit, den Vorplatz zu pflastern, auf dem übrigens auch jetzt noch Kräne vor dem Fassadengerüst stehen, um die Fassadenbrüstung fertig zu stellen – wie soll die Stadt da den Boden bereiten für eine Pflasterung und wie pflastern? ….

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