Am 05.09.2024 um 19:00 Uhr findet in der Ev. Akademie Abt Jerusalem eine Veranstaltung zum Thema „Propaganda als Herrschaftstechnik“ statt. Referent: Thymian Bussemer. Siehe auch unsere frühere Ankündigung dazu.
Nachfolgend finden Sie, als vorbereitendes Informationsmaterial, eine Sammlung von Meilensteinen der Propagandageschichte aus dem Buch „Propaganda, theoretisches Konzept und geschichtliche Bedeutung“ von T. Bussemer.
Meilensteinen der Propagandageschichte:
1613
Der spanische Karmelitermönch Thomas A. Jesu veröffentlicht sein Buch „De erigenda Congregatione pro fide propaganda”, in dem er Vorschläge für die Professionalisierung der katholischen Missionsarbeit macht.
1622 Papst Gregor XV. gründet die Sacra Congregatio de propaganda fide zur Propagierung der Gegenreformation.
Um 1770
Kirchenkritische Aufklärer machen in der propaganda fide das Zentrum der Gegenaufklärung aus und mobilisieren gegen diese. Das Wort Propaganda bekommt erstmals eine polemische Bedeutung.
1789ff.
Französische Revolution. Die Jakobiner im revolutionären Paris werden verdächtigt, eine
Geheimorganisation zum propagandistischen Export der Revolution zu unterhalten. Diese Vermutung geht zurück auf die Forderung des jakobinischen Mönchs Emanuel
Joseph Sieyès, „de propager les principes de la vraie liberté”.
Um 1830
Die demokratische Opposition des Vormärz macht Propaganda zum politischen Aktionsbegriff mit positiver Konnotation. Der Begriff Propaganda löst sich von seiner
Bindung an bestimmte Institutionen und wird ein Instrument ideologischer Expansion.
1846
Die Arbeiterführer Karl Marx und Wilhelm Weitling zerstreiten sich in der Frage, ob und wie Propaganda zu betreiben sei. Weitling macht Propaganda neben Brüderlichkeit und „Socialer Bindung” zum Vereinszweck seines „Kommunistischen Bildungsvereins” in der Schweiz. Karl Marx hält dagegen: „Keine mündliche Propaganda, keine Konstituierung von geheimer P., überhaupt das Wort P. auch in der Zukunft nicht mehr gebrauchen.” Gefragt sei vielmehr wissenschaftliche Aufklärung der Arbeiter im Sinne des historischen Materialismus.
1848
In der Revolution 1848/49 vertreten auch die deutschen Demokraten offensiv das Propagandaprinzip. Damit rufen sie systematische Gegenpropaganda auf den Plan.
1853-1856
Krim-Krieg. Dieser gilt als Ausgangspunkt der modernen Kriegsberichterstattung und der Pressefotografie.
Ab 1870
Die Arbeiterbewegung eignet sich den Begriff Propaganda an und verwendet ihn positiv und parallel zum Begriff der Agitation.
1887 Ferdinand Tönnies‘ „Gemeinschaft und Gesellschaft” erscheint.
1895 Gustave Le Bons „Psychologie der Massen“ erscheint in Paris.
Ab 1890
Synonym zum Begriff Reklame taucht zusätzlich die Bezeichnung Propaganda als geläufiger Terminus der Geschäftssprache auf.
1901
Lenin definiert in der Zeitschrift „Iskra” die „Presse als kollektiven Propagandist[en], Agitator und Organisator”. Verstanden wird Propaganda in kommunistischer Sichtweise als Verbreitung eines ganzen, in sich geschlossenen Ideengebäudes von den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung die zwangsläufig in den Sozialismus als höchste Stufe einmünden. Propaganda gilt als „Bindeglied zwischen Theorie und Praxis, als spezielles Mittel zur Materialisierung der marxistischen Ideen”.
1904
Ivy Lee gründet in den USA sein Public Relations Counsel.
Um 1910
In Deutschland gibt es eine Diskussion über die Notwendigkeit von Kulturpropaganda im Rahmen der Auswärtigen Politik, um das Ansehen Deutschlands in der Welt zu heben. Der Propagandabegriff ist zu dieser Zeit durch die kommerzielle Verwendung in der Wirtschaft geprägt.
1914-1918
Erster Weltkrieg. Propaganda wird in allen kriegführenden Nationen zur kommunikativen Schlüsseltechnik.
Frankreich: Gustave Le Bon wird Berater für psychologische Fragen beim französischen Generalstab.
Deutschland: Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger gründet 1914 die „Zentralstelle für Auslandsdienst”, die das neutrale Ausland beeinflussen soll. Ab 1915 drängt der Bremer Kaufmann Ludwig Roselius die Oberste Heeresleitung zu einer stärker emotionalen, offensiven und an der Massenpsychologie ausgerichteten Propaganda. 1915 wird das Kriegspresseamt gegründet, 1917 die Universum Film AG (Ufa).
Großbritannien: Lord Northcliffe wird 1917 Direktor der Feindpropaganda, Lord Beaverbrook 1918 erster Informationsminister des Vereinigten Königreichs.
USA: Präsident Woodrow Wilson errichtet im April 1917 das Committee on Public Information (CPI) als zentrale Nachrichtenlenkungsinstanz der amerikanischen
Regierung. Leiter wird der Journalist George Creel.
1916 Gründung des ersten zeitungskundlichen Instituts in Leipzig durch Karl Bücher.
November 1918
Waffenstillstand. Deutsche Militärs begründen die Niederlage fortan mit Dolchstoßlegende und Propagandadefizit. Folgen davon sind intensive Forschungsbemühungen, vor allem in Deutschland.
1921
Edgar Stern-Rubarths „Die Propaganda als politisches Instrument” erscheint in Berlin.
Sigmund Freuds „Massenpsychologie und Ich-Analyse. Die Zukunft einer Illusion” erscheint.
Am 13. Juli hält Ludwig Roselius in Münster seinen Vortrag über „Zwang oder Propaganda in der Organisation”.
1922
Johann Plenges „Deutsche Propaganda. Die Lehre von der Propaganda als praktische Gesellschaftslehre” erscheint in Bremen.
Walter Lippmanns „Public Opinion” erscheint in New York.
1925 Hitlers „Mein Kampf” erscheint in München
1927 Harold D. Lasswells „Propaganda Technique in the World War” erscheint in London.
1928 Edward L. Bernays „Propaganda” erscheint in New York.
1931
Das US-Social Science Research Council beauftragt beim Committee on Pressure Groups and Propaganda, das von Harold D. Lasswell geleitet wird, eine umfassende Bibliografie zu Propaganda. Ziel ist es, „von der Spekulation zur wissenschaftlichen Analyse der Propaganda” zu kommen.
1932
Hans Domizlaffs „Propagandamittel der Staatsidee” erscheint in Altona. Sergej Tschachotins und Carlo Mierendorffs Aufsatz „Grundlagen und Formen politischer Propaganda” erscheint in Magdeburg.
1933
30. Januar. Hitler wird Reichskanzler.
13. März. Joseph Goebbels wird Chef des neu geschaffenen Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.
1935 Leonard W. Doobs „Propaganda. Its Psychology and Technique” erscheint in New York.
1937 Willi Münzenberg veröffentlicht im Pariser Exil „Propaganda als Waffe”.
1939-1945 Zweiter Weltkrieg. Propaganda wird von allen kriegführenden Mächten extensiv eingesetzt.
1940
Sergej Tschachotins „The Rape of the Masses. The psychology of Totalitarian Political Propaganda” erscheint in New York.
1940-1945 Harold D. Lasswell leitet das War Time Communications Project an der Library of Congress in Washington.
1941
Dezember. Kriegseintritt der USA. Intensive sozialwissenschaftliche Bemühungen zur Erforschung von Propaganda setzen ein und machen die Propagandaforschung zu einem der modernsten Wissenschaftszweige.
Nach 1945
Diskreditierung des Propagandabegriffs in der Bundesrepublik (trotz positiver Anknüpfungsversuche Adenauers), positive Konnotation in der DDR und anderen sozialistischen Gesellschaften.
1946 Beginn des Kalten Kriegs. Winston Churchill spricht vom „iron curtain”.
1948
Smith-Mundt-Act von 1948 (verabschiedet als Public Law 402), der die US-Regierung ermächtigt, nach Gutdünken Informationsdienste aufzubauen, um die Sicht der USA auf die Weltpolitik zu kommunizieren.
1950-1953
Korea-Krieg. Vor allem die Behandlung amerikanischer Kriegsgefangener durch China und Nordkorea löst Diskussionen um das Potenzial von „brainwashing” und Psychologischer Kriegführung aus.
1953 Gründung der United States Information Agency (USIA).
1961
Bundeskanzler Adenauer unterliegt vor dem Bundesverfassungsgericht mit seinen Plänen für ein Regierungsfernsehen. Die von ihm gegründete Deutschland-Fernsehen-GmbH wird aufgelöst.
1962 Jacques Elluls „Propagandes” erscheint in Paris.
1964-1975
Vietnam-Krieg. Das US-Militär zeigt eine bislang unbekannte Offenheit im Umgang mit den Medien, deren Bewegungsspielraum kaum eingeengt wird. Der Krieg gilt als erster TV-War. Nachträglich zieht das Militär daraus den Schluss, die Freiheit der Berichterstattung in künftigen Kriegen einzuengen.
1971
Die „New York Times” publiziert die „Pentagon Papers”, welche die Lügen der amerikanischen Regierung im Hinblick auf die Ziele, die Situation und die Strategie des Kriegs in Vietnam enthüllen. Dies inspiriert Hannah Arendt zu ihrem Essay „Die Lüge in der Politik”.
1983
Invasion der USA in Grenada. Nachdem die Presse erst keinen Zugang zum Schlachtfeld bekommt, wird am dritten Tag der Invasion der erste Pool der Mediengeschichte etabliert.
Dezember 1989
US-Invasion in Panama. Das amerikanische Militär führt für Journalisten verbindlich das Pool-Prinzip ein.
1991
Golfkrieg um Kuwait. Die USA verfeinern das Pool-System und zensieren alle Bilder vom Kriegsschauplatz radikal. Die Medien werden mit klinisch sauberen Kampfbildern versorgt, die vom US-Militär erstellt werden. Die Folge ist eine jahrelange Debatte
über das Verhältnis von Medien und Militär. Der Kollaps der Sowjetunion beendet siebzig Jahre der marxistisch-leninistischen Propagandapraxis des Agitprops.
1999
Kosovo-Krieg. Die Bundesrepublik Deutschland führt ihren ersten Krieg seit 1945. Die Medienarbeit besorgt aber überwiegend das Nato-Hauptquartier mit seinem Sprecher Jamie Shea.
2001
Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon. In der Folge beschleunigen die USA die Modernisierung ihres Apparats für Auslandspropaganda, um im Rahmen eines „erweiterten Sicherheitsbegriffs” um Empathie in der arabischen Welt zu werben.
2003
Irak-Krieg. Vor allem im Vorfeld des Kriegs wird die Öffentlichkeit von amerikanischen Politikern über das Potenzial an Massenvernichtungswaffen des Iraks massiv getäuscht. Während des Einmarschs im Irak kommen zahlreiche Techniken des Psychological Warfare zum Einsatz.
Ab 2005
China. Die wirtschaftliche Öffnung des Landes verstärkt auch den Ruf nach Medienfreiheit. Die politische Führung hält mit technischer Abschottung vor allem des World Wide Web und mit massiven Propagandakampagnen dagegen.
2010
Die Plattform Wikileaks enthüllt zahlreiche US-amerikanische Geheimdokumente, die auch einen Einblick in die weltweiten Propaganda- und Public-Affairs-Aktivitäten der USA erlauben. Dies führt zu breiten Diskussionen um das Propaganda-Engagement der US-Amerikaner (Unter Verwendung von: Tobias Liebert (Hrsg.), Persuasion und Propaganda in der öffentlichen Kommunikation (=Leipziger Skripten für Public Relations und Kommunikationsmanagement; 4), Leipzig 1999 und Wolfgang Schieder/Christof
Dipper, Propaganda, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1984, Bd. 5, S. 69-112.)