Philipp Winkler liest aus „Hool“: Die Faszination vor selbst geschaffenen Helden

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Philipp Winkler las im Braunschweig Kolleg auf Einladung des Raabe-Hauses aus seinem Debütroman „Hool“ vor. Foto: Marcus von Bucholz

Keine Bullenwannen. Kein Blaulicht. Keine Absperrgitter. Kein rot-weißes Flatterband. Die typischen Zutaten eines Hochrisiko-Spiels fehlten, als der Shooting-Star der Literaturszene, Philipp Winkler, am Mittwoch im Braunschweig-Kolleg aus seinem preisgekrönten Debütwerk „Hool“ vorlas. Dabei befand er sich eigentlich in Feindesland: Die Blau-Gelben vom BTSV kommen schlecht weg in seinem Buch. Mehr als einmal rückte der bekennende 96-Fan Winkler die Braunschweiger in die rechte Ecke und sprach ihnen zudem den Ehrenkodex des aufrechten Kämpfers ab. Buchprobe und Zitat seines verlorenen Romanhelden Heiko:

„Hab noch zurückgeschaut, wie sich zwei von den Braunschweigern den Typen nahmen, die Arme um die Schultern schwangen und wegzogen. Axel wollte mir nicht glauben, dass ich ein Messer gesehen hatte… und als ich ihn fragte, ob er das Messer gesehen hatte, sagte er irgendwas wie: ‚Nicht direkt, aber ich bin der Meinung, dass da definitiv was ins Gras gefallen ist. Definitiv!’“ Bedenklich dabei: Noch in zwei weiteren Textstellen impliziert er, die Braunschweiger Hool-Szene setze sich ausschließlich aus glatzköpfigen, unfair spielenden Nazis zusammen.

Winkler begleitet in seinem Buch das verkorkste Dasein des Heiko Kolbe und seiner harten Hooligan-Kollegen durch ihr strauchelndes Leben. Koks, Amphetamine, Liebe, Hass und Adrenalin treiben seine Protagonisten durch eine randständige Orgie der Gewalt, hinter der nur eine Triebkraft steckt: Körperliche Stärke zu beweisen, die in der bürgerlichen Zivilisation nicht mehr beweisbar ist. Also wird die Fußball-Begegnung rivalisierender Clubs zum überhöhenden Rahmen einer Schlachten-Inszenierung, die weit abseits des Stadions in einem verlorenen Hain ihr High-Noon findet. „Abmachung: 15 Mann auf jeder Seite und keine Waffen“, idealisiert Winklers Held Heiko die ehrenhaften Tugenden Seinergleichen vor dem heroischen Showdown. Als wären ungezügelte Aggression und das bewusste In-Kauf-Nehmen von schweren Verletzungen ein unschuldiges Ritterspiel.

Die brutal-direkte Gossensprache von Winklers Figuren, der erzählerische Ich-Stil seines literarischen Alter Ego, die subtile Kenntnis ihres verquasten Rechtfertigungs-Vokabulars machen es schwer zu glauben, dass der Autor in der Hooligan-Szene nur für das Buch „recherchiert“ hat, ohne sich der klammheimlichen Anziehungskraft wahrer Mannhaftigkeit zu entziehen. Dennoch behauptet er im Kolleg: „Ich habe an der Szene recherchiert, nicht in der Szene.“ Er sei nie ein Ultra gewesen, denn „das Hobby war mir zu teuer.“ Da muss der Mundschutz beim Dentisten maßgeschneidert werden, damit der prügelnde Banker sich am Montag wieder im Büro sehen lassen kann, „bloß kein Massenprodukt“.

Die deftigsten Bilder aus seinem Werk lässt Winkler vor den Zuhörern des veranstaltenden Raabe-Hauses lieber weg. Er pickt die Szenen über „goldbeklöppelte Buddhas“ und „kalten Kaffee“ in der häuslichen Umgebung seines Helden aus dem Buch heraus; klaubt Unflätigkeiten hervor wie „der alte Pornobalken“, wenn er über den Bart von Heikos Vater spricht. Bevor der sich „den Arsch abklopft“, darf sein Held einer „kleinen, dummen Kartoffel“ großherzig zwei Euro spenden. So sind sie halt, unsere Hools: Eigentlich

Menschen wie Du und ich. Mit niedlichen Omas und biederen Taubenzüchtern in der Familie. Mit einer schönen Seele hinter der rauen Schale. Mit dem „großen Herzen eines harten Jungen“ (original Verlagstext). Böse und rechts sind nur die Anderen.

 Die Schlüssellochperspektive auf Randgruppen der Gesellschaft mag funktionieren, wenn sie wie einst vor 40 Jahren im journalistischen Gewand der Reportage „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ daher kommt. Winklers Roman, durchaus rundum mit Humor gut erzählt und den Autor als einen Meister des literarischen Dialogs ausweisend, nutzt dieses Genre allerdings manipulativ. Der Autor spielt gekonnt mit Zeitebenen, ohne sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Da hat Einer im Fach „literarisches Schreiben“ an der Uni Hildesheim aufgepasst, als die Boulevardsprache bunter Massenblätter analysiert wurde.

Leider bleibt zum Schluss das schale Gefühl, dass der Autor die Tür vor seinem Sujet sperrangelweit aufreißt und der Faszination seiner selbst geschaffenen Helden erliegt.

(Philipp Winkler „Hool“, gebunden mit Schutzumschlag, 310 Seiten, Aufbau Verlag, ISBN 978-3-351-03645-4)

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