Lasst Euch nicht in den Ruin führen!

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Daniela Dahn und Moderator Christoph Krämer

Von Christoph Krämer

In der Reihe „Ukraine: Verhandlungen JETZT!“ las Daniela Dahn aus ihrem Buch „Im Krieg verlieren auch die Sieger – nur der Frieden kann gewonnen werden“ am 10.10.23 in der Braunschweiger Magnikirche.

Eine Tonaufzeichnung der Lesung finden Sie hier.

Mit der Lesung der mehrfach ausgezeichneten Autorin und Publizistin Daniela Dahn setzten Friedenszentrum, Friedensbündnis, IPPNW und Magnigemeinde ihre friedenspolitische Veranstaltungsreihe an der Magnikirche fort – eine weitere Mahnung, den Krieg in der Ukraine zu beenden, um dem Töten und Zerstören ein Ende zu setzen.

Die Magnikirche war mit fast 100 Besuchern gut gefüllt, als Pastor Böger die Eingangsworte sprach und die Autorin herzlich begrüßte – was ebenso die Organisatorin der Lesung, Elke Almut Dieter vom Friedenszentrum Braunschweig, tat.

In der fast einstündigen Lesung griff Daniela Dahn Pastor Bögers Hinweis auf die vielen weiteren Kriege in der Welt sowie die hinzugekommene kriegerische Eskalation in Israel/Palästina auf und flocht auch weitere aktuelle Bezüge in ihre Lesung ein. Ihr Schwerpunkt blieb dabei der Krieg in der Ukraine. Dabei gab sie der Betrachtung und differenzierten Analyse seiner Wurzeln und Vorgeschichte breiten Raum und beklagte, dass das Thema unsere gesamte Gesellschaft gespalten habe, bis hinein in die Familien.

Daniela Dahn zitierte die gegenseitigen Vorwürfe „naiver Pazifismus“ und „brutaler Bellizismus“ – bekannte sich selbst zu einem „pragmatischen Pazifismus“: „Die Zerstörung der Ukraine im Namen ihrer Rettung, dieser Wahnsinn muss vermieden werden.“ Es gehe um die Rettung von Menschen aus Fleisch und Blut, nicht von Staaten, Ideologien oder geopolitischer Hegemonie.

Auch ein legaler Verteidigungskrieg kann maßlos und unverhältnismäßig werden, wenn seine Folgen aus dem Ruder laufen – wenn etwa die Verteidigung die gesamte Menschheit in den Abgrund reißt.“ Und weiter: „Inzwischen geht es in der Öffentlichkeit und in der Praxis fast nur noch um die Lieferung schwerer Waffen. Aber wer liefert ‚schwere Friedenskonzepte‘?“

Zu dem 2014 mit westlicher Hilfe herbeigeführten „Regime Change“ in der Ukraine merkte die Autorin an: „Seine natürliche Brückenfunktion wurde diesem kulturell geteilten Land nicht zugebilligt.“ Und bemerkte: „In der Moderne muss man in begehrte Regionen nicht mehr einmarschieren, man kauft sie einfach auf.

Zur Aushöhlung der völkerrechtlichen Ordnung:

Laut einer Studie des US-Kongresses habe das Pentagon seit Ende des Kalten Krieges 251 militärische Aktionen unternommen – darunter als „humanitäre Interventionen“ oder als „Krieg gegen den Terror“ ausgegebene Angriffskriege, in denen ungesühnt Kriegsverbrechen begangen wurden. Des Weiteren: „Es muss erlaubt sein anzunehmen, dass es diesen Krieg ohne seine Vorgeschichte nicht gegeben hätte.“ Sie verwies dazu auf ein Interview mit dem renommierten US-Politologen John Mearsheimer in der „Welt“ drei Wochen vor dem russischen Einmarsch: Mit Hinweis auf die US-Monroe-Doktrin habe er dort erklärt, wer neben einer Großmacht wohne, dürfe außenpolitisch nicht alles tun, was ihm in den Sinn käme. Seit der „närrischen Entscheidung, die Ukraine in die NATO bringen zu wollen“, seien die russischen Aktivitäten dazu Reaktionen darauf. Eine Rechtfertigung für das russische Vorgehen ergibt sich für Daniela Dahn daraus nicht. Der völkerrechtliche Bezugsrahmen sei aber zuvor vom Westen selbst außer Kraft gesetzt worden.

Ihr Fazit: „Es war falsch, den Krieg über Jahrzehnte zu provozieren. Es war falsch, daraufhin einen großen Krieg zu beginnen. Und es war falsch, die schon nach einem Monat erfolgversprechend verlaufenen Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu unterbinden.“  

An weiteren Stichwörtern nannte sie: Wirtschaftskrieg, „Krieg der Narrative“, fortschreitende Zerstörung des Landes und Verlust seiner Souveränität. Zur Vorbereitung des Krieges von westlicher Seite wies sie auf das schon im Januar 2022 formulierte US-Gesetz „Ukraine Lend-Lease Act“ hin, der ein historisches Vorbild habe: Großbritannien habe seine im 2. Weltkrieg von den USA geleasten (und dort großenteils zerstörten) Waffen bis 2006 abbezahlen müssen – was die viel schwächere Ukraine niemals schaffen werde. Daher solle dies laut Financial Times die EU tun und dafür schon mal einen Dauerauftrag einrichten (was auch für die EU einen Souveränitätsverlust bedeute).

Dazu zitierte sie einen Leserbrief aus der Schweizer „Weltwoche“: „Es ist ein Wirtschaftskrieg der USA gegen Europa. Europa bezahlt die amerikanischen Waffen, es bezahlt überteuertes Gas aus den USA […], es erlässt Sanktionen, die Europa am stärksten treffen, und schlittert in eine große Rezession. Europa geht das Risiko eines Atomkrieges ein. Wie dumm kann europäische Politik eigentlich noch sein?“  

Dies führte Daniela Dahn zum Schluss ihrer Lesung zu dem dramatischen Appell von Papst Franziskus an die Mächtigen, die Menschheit nicht in den Ruin zu führen. Und ließ dies in ihrem eigenen Appell an UNS münden: „LASST EUCH NICHT IN DEN RUIN FÜHREN!“

In der anschließenden Diskussion ging es Moderator Christoph Krämer (IPPNW- Deutschland) besonders um die geforderten „schweren Friedenskonzepte“. An Daniela Dahns Eingangsthese anknüpfend, sie sehe endlich erste Anzeichen für einen „Kipppunkt“ in Richtung Suche nach einer Verhandlungslösung, sprach er sie auf eine Experten-Initiative an, der so unterschiedliche Leute wie Horst Teltschik (ehem. Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz), Peter Brandt (Sohn Willy Brandts) und Harald Kujat (ehem. Vorsitzender des NATO-Militärausschusses) angehören: „Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden“ .

Ob dies ein Hoffnungsschimmer sein könne? Dem stimmte die Autorin zu – beklagte zugleich allerdings, wie auch schon in ihrer Lesung, die Rolle unserer Medien. Es sei bezeichnend, dass so eine Initiative in der Schweiz veröffentlicht werden müsse.

Dafür, dass auf ihre Intervention bei der Berliner Zeitung hin dieser Beitrag auch in Deutschland erscheinen konnte, erhielt sie starken Beifall. Der Moderator resümierte, dass wenn die regionalen Medien nicht ausgewogen informieren wollten, man halt auch in Braunschweig die Berliner Zeitung lesen müsse. Worauf darauf hingewiesen wurde, dass es mit dem „Braunschweig-Spiegel“ wenigstens online auch lokal ein positives Beispiel gebe.

Einigkeit gab es auch zu dem exzessiv gewalttätigen Angriff der Hamas auf Israel: Eine Lösung sei nicht von einer immer weiteren Eskalation der Gewalt zu erwarten, sondern nur von der Rückkehr zu Verhandlungen um die Zukunft Palästinas und des Verhältnisses zwischen beiden Völkern, die auch diesen Namen verdienen – nachdem 30 Jahre nach den Oslo-Abkommen fast nichts davon und von einem existenzfähigen Palästina übriggeblieben ist: https://www.juedische-stimme.de/stellungnahme-zum-aktuellen-gaza-krieg-und-der-gewalteskalation-in-israel

Bei allen Unterschieden zwischen den beiden Konflikten wurde auch hier ein entscheidendes Problem in der einseitigen, gewalt- statt lösungs-orientierten medialen Darstellung gesehen und Konsens darin konstatiert, dass sich Wahrnehmung und Denkrichtung ändern müssen – weg vom Blutvergießen, hin zu substantiellen Verhandlungen.

In der Diskussion mit dem Publikum wurden dann keine wesentlichen Kontroversen erkennbar. Einerseits zeigt dies, dass Dahns Analyse und Schlussfolgerungen in der Magnikirche auf breite Zustimmung stießen. Andererseits kann es aber auch als Indiz gewertet werden, dass der andere Teil der gespaltenen Gesellschaft – und insbesondere die „Leitmedien“ – solchen Diskussionen fernbleiben. Was die Frage aufwirft, wie so ein für die Demokratie essentieller Prozess wiederbelebt werden kann.

Eine weitgreifende These aus dem Publikum blieb unwidersprochen: Unser vermeintlich siegreiches Gesellschaftsmodell sei strukturell nicht friedens- und somit nicht zukunftsfähig.

Beim abschließenden Signieren der Bücher waren persönliche Gespräche mit der Autorin möglich, was großen Zuspruch fand. Einzelne der angebotenen Titel waren bald ausverkauft.

Einzelne Schlaglichter auf Daniela Dahns Biografie:

Zur Person:

Geboren 1949 in Berlin (DDR) spielte Daniela Dahn schon als Kind die Hauptrolle im DEFA-Film „Ein ungewöhnlicher Tag“. Nach ihrem Journalistik-Studium in Leipzig wurde sie Fernseh-Journalistin beim Jugendfernsehen und beim Wirtschaftsmagazin Prisma. 1981 kündigte sie aus Gewissensgründen, arbeitete als freie Autorin und gründete 1989, gemeinsam mit anderen, den „Demokratischen Aufbruch“ in der DDR (den sie nach seiner Annäherung an die CDU dann wieder verließ). Heute ist sie freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie lebt in Berlin, ist verheiratet mit dem Schriftsteller Joochen Laabs und hat eine Tochter, die Regisseurin ist.

Werk + Wirken:

Allein im Rowohlt-Verlag sind etwa 10 Bücher von ihr erschienen. Ein großer Schwerpunkt ist dabei das deutsch-deutsche Verhältnis, dem sie anhand umfassender Analyse + Recherche immer wieder eine schwere – und vermeidbare – Fehlentwicklung attestiert hat. Weitere Themen:
Ihr 2022 neu aufgelegtes Buch „Tamtam und Tabu“ etwa, das sie gemeinsam mit dem Kognitionswissenschaftler Rainer Mausfeld von der Universität Kiel veröffentlicht hat, beschäftigt sich mit interessengeleiteter systematischer Meinungsmanipulation – als Ursache für die fortschreitende Aushöhlung der Demokratie – also einem der drängendsten Probleme unserer Zeit.
Und nicht zuletzt arbeitet sie seit langem intensiv zum Thema Frieden – nicht erst seit ihrem Buch, aus dem sie heute hier lesen wird: Erkennbar an Titeln wie „Wehe dem Sieger“ von 2010, in dem sie sich u.a. mit dem völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien auseinandergesetzt hat, oder „Neubeginn – Aufbegehren gegen Krise und Krieg“, gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Antje Vollmer und Peter Brandt schon im Frühjahr 2022 herausgebracht.

Zu ihrer umfangreichen publizistischen und politischen Tätigkeit:
Sie ist wiss. Beirätin der Anti-Atomwaffen-Organisation IALANA-Deutschland (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) und der Humanistischen Union, sowie Stellvertretende Vorsitzende des Willy-Brandt-Kreises und Co-Herausgeberin der Zeitschrift Ossietzky.

Mehrere hohe Auszeichnungen untermauern ihren Ruf, zu den führenden deutschen Intellektuellen zu zählen: Schon 1988 erhielt sie den Goethe-Preis der Stadt Berlin und den Theodor-Fontane-Preis des Bezirks Potsdam. Im geeinten Deutschland dann den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik (neben Leuten wie Heribert Prantl), die Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin (neben Persönlichkeiten wie Jutta Limbach) und den Ludwig-Börne-Preis in Frankfurt/M. (neben Leuten wie Augstein, Schirrmacher, Reich-Ranicki und Gauck). Sie ist Mitglied der internationalen SchriftstellerInnen-Vereinigung PEN (Aufnahme erfolgt nur auf Einladung).

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