Harfen-Agnes, Cognac-Luise & Co. – Neue Originale für Braunschweig

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Bild: Ulenspiegel
Bild: Ulenspiegel

„Ein Narr, Schalk, Weiser, ein Mensch“
Inschrift am Till-Eulenspiegel-Brunnen am Bäckerklint

 

Was macht eine Stadt sympathisch? Als Schriftsteller habe ich eine einfache Antwort: die Geschichte und die Geschichten. Mir gefallen besonders Geschichten von Menschen, die gescheitert sind, sich aber trotzdem eine gewisse Würde bewahrt haben. Menschen, die das Stadtbild mit ihrer Persönlichkeit bereichert haben.

Nächstes Jahr kommt das Kulturprojekt 1913, bei dem eine Frau neu beleuchtet wird, die man durchaus als Braunschweiger Original bezeichnen kann: Victoria Luise. Ich halte das Kulturprojekt für einen guten Anlass, neue Braunschweiger Originale zu benennen. Fürs Stadtmarketing wäre es ein schönes Projekt, originelle Persönlichkeiten dieser Stadt in die Öffentlichkeit zu bringen. In der Innenstadt gibt es genug Raum, um zum Beispiel Statuen dieser Persönlichkeiten aufzustellen oder Plaketten an Häusern anzubringen, in denen sie gewohnt haben. Auch ein Projekt der Jazzkantine wäre toll a la „Originelle – Ein Song für jedes Original“.

Und was man von den Originalen lernen kann, hat die Harfen-Agnes auf den Punkt gebracht:
Mensch sei helle, und wenn’s auch duster is …

 

Hier eine kleine Auswahl von Persönlichkeiten, die meines Erachtens das Zeug zum Original haben:

Bild: Ulenspiegel1) Viktoria Luise

Prinzessin Viktoria Luise Adelheid Mathilde Charlotte von Preußen, Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg, Prinzessin von Hannover, Prinzessin von Großbritannien und Irland – der Name deutet schon auf ein Original hin. Die Lebensgeschichte ebenso: 1913 gab’s eine große Hochzeit mit Ernst August, die von der ganzen Welt beachtet wurde. 1918 dankte der Ehemann ab. Danach ein Leben im Exil, Streit mit der Familie, viele Zigaretten und noch mehr Cognac, dazu ein seltsames Lebensmotto: „Das Leben ist wie eine Hühnerleiter: kurz und beschissen!“ Gleichzeitig hatte sie bis zum Ende einen großen Freundeskreis, der sie auch in der Not unterstützt hat. Und auf gesellschaftlichen Anlässen war sie eine beliebte Tänzerin.

Das Kulturprojekt 1913 bietet nun einen schönen Anlass, Victoria Luise in die Reihe der Originale einzuführen.
Sie steht im Übrigen in einer Traditionslinie mit Sissi. Sissi hieß eigentlich Elisabeth und kürzte ihren Namen mit ‚Lisi‘ ab. Ihre Unterschrift war allerdings so unleserlich, dass aus ‚Lisi‘ irgendwann ‚Sissi‘ wurde. Und auch bei Victoria kann man nicht so genau sagen, ob sie nun Viktoria oder Victoria hieß. Oder Vikki. Vielleicht gibt’s ja irgendwann eine Kinofilmreihe über ihr Leben mit dem Titel „Vikki Lou I bis III“!

2) Teddy Wiener

Jahrelang zog Teddy Wiener durchs Braunschweiger Nachtleben und war häufig im Tango anzutreffen. Ein Musiker, der unter anderem auch im Vorprogramm von Frank Sinatra aufgetreten ist. Leider erinnert heute kaum noch was an Teddy: Bei wikipedia hat er noch keinen Eintrag, in der Stadt gibt es keine Erinnerungsplaketten und auch seine Musik wurde nie auf CD gepresst oder als MP3 digitalisiert. Kurz gesagt: Es wird Zeit für ein Teddy-Wiener-Comeback!

 

3) Der Prediger von Braunschweig

Klaas Hoffmeister, auch genannt: der Prediger von Braunschweig, ist sicherlich das umstrittenste Original dieser Stadt. Jeden Samstag predigt er vorm Citypoint und beleidigt hosen-tragende Frauen mit kurzen Haaren als Prostituierte und Homosexuelle, die laut seiner Meinung im atomaren Höllenfeuer des Vierten Reiches verbrennen werden. Harter Tobak, sicherlich. Gleichzeitig kann man auch froh sein, in einer Stadt zu leben, in der ein ansonsten friedfertiger Prediger mit seinen abseitigen Meinungen geduldet wird. Ein lesenswertes Interview mit ihm findet man in der Subway.

 

 

4) Jagadeesha

Jagadeesha ist vermutlich das bunteste Original in dieser Stadt. Das einzige Mitglied von Deutschlands größter Ein-Mann-Sekte lebt er in seinem Königreich RishiDasa in Lehndorf und betreibt seinen unterhaltsamen Video-Blog: Jagadeesha-TV.

 

 

5) Holly

Braunschweig beliebtester Straßenmusiker und Waschmaschinen-Reparateur Holly ist leider vor einigen Jahren gestorben. Eine Innenstadt ohne Musik ist wie ein Kino ohne Film. Kein zweiter Straßenmusiker hat die Innenstadt mit seiner Herzlichkeit so belebt wie Holly. Oder wie Holly sang: „Ich glaub an die Liebe – Liebe und Musik!“

 

 

Dies ist nur eine kleine Auswahl. Weitere Kandidaten für Originale sind zum Beispiel:

– Supertalent, Bauchrolle und Flugente Stefan Choné

– Topmodel Gisele Oppermann

– Erfinder der Wasserschuhe und Musiker Woodrix

– und vielleicht auch der Schriftsteller Magister Artium Lord of Cork Graf Dirk von Kronenburg Schadt, Sohn von Jürgen Heinz Paul Willi und Helga Erna, dessen Name fast so lang ist wie der von Viktoria Luise.

 

Foto: Brunswyk at de.wikipedia

Braunschweiger Originale: Rechen-August, Deutscher Hermann, Teeonkel, Harfen-Agnes

 

P.S.: Viele Künstler haben sich mit den alten Originalen aus Braunschweig beschäftigt, und vielleicht wird es Zeit für eine Ausstellung mit diesen und neuen Werken über Originale. 1931 stellte zum Beispiel der Bildhauer Hans Bethmann sieben Statuetten mit bekannten Originalen im Städtischen Museum aus. In der Gaststätte Mutter Habenicht erinnern vier Werke von Arthur Giebler an Originale. Und schon 1884 hat der Maler C. Brandes ein Gemälde mit den altbraunschweigischen Originalen wie dem Waldmeister und Torf-August gemalt, die heute fast vergessen sind …

 

 


Kommentare

0 #1 Uwe Meier 2012-10-18 13:28
Ein wunderbarer Beitrag im Braunschweig-Spiegel. Es weist auf seine Bescheidenheit hin, aber der Lord gehört mit zu den liebenswerten und gelegentlich auch problematischen Originalen unserer Stadt. Vielleicht wird das Stadtmarketing endlich erkennen, dass 2014 das Jahr des Lords werden muss, zumal er die die Kulturszene der Stadt mehr bereichert hat als es Vici Lou je vermocht hat.

 
 
 
 

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