Friedens-Roadmap der EU für Nahost: Muster für den Ukrainekrieg?

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Von Jochen Luhmann

Vorbemerkung

Jochen Luhmann, Senior-Wissenschaftler des Wuppertal Instituts, setzt sich mit der Frage auseinander, wie der Gazakrieg beendet werden und eine dauerhafte Lösung in Form einer Zwei-Staaten-Lösung erreicht werden kann. Dann setzt er sich mit der Frage auseinander, ob der von ihm erfolgsversprechend angesehene Weg auch auf den Ukrainekrieg angewendet werden könne. In dieser Frage ist er skeptisch. Grundsätzlich spricht er sich für mehr Unabhängigkeit der EU aus. Zu seiner optimistischen Sicht, dass die EU bereits auf dem richtigen Weg sei, dürfte es allerdings unterschiedliche Ansichten geben. Seine Überlegungen sind verständlicherweise noch sehr allgemein. Aber sie sind ein guter Beitrag zu der wichtigen Diskussion, wie man die Kriege beenden und dauerhaften Frieden erreichen kann. In Deutschland ist diese Diskussion über Aktivitäten auf der diplomatischen Ebene bisher recht unterentwickelt.- Der Beitrag ist zum ersten Mal bei „blog-der-republik.de“ erschienen; dort finden sich auch Angaben zu verwendeten Quellen. – Luhmann hat übrigens vor einiger Zeit in Braunschweig einen sehr informativen Vortrag in der Evangelischen Akademie gehalten.  (a.m.)

Friedens-Roadmap für Nahost – Muster für den Ukrainekrieg?

  1. 1. Einleitung

Im erneut kriegerisch ausgebrochenen Konflikt um Israel und Palästina bewegt sich Europa auffällig eigenständig. Wenn ich die Handlungen der EU richtig deute, so besagen sie: Wir haben begriffen, dass wir uns von den USA unabhängig zu bewegen haben. Wir nutzen nun jeden, aber auch jeden Anlass, uns in Eigenständigkeit zu trainieren.

Die Entscheidung, eine eigene EU-Marine-Mission im Eingang des Roten Meeres mit dem Namen “ASPIDES” (= „Schutz“) aufzusetzen, war der Anfang. Sie soll am 17. Februar 2024 starten und wird voraussichtlich von Spanien geführt, welches auch schon die Mission ATALANTA am Horn von Afrika führt. Damit schlug Europa die Einladung der USA (mit UK im Schlepptau) aus, an deren Mission „Prosperity Guardian“ teilzunehmen.

Weiter in diesem Stil geht es mit der Vorbereitung eines eigenen und neuartigen Planes der EU, einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern herbeizuführen; bzw. Bedingungen zu schaffen, unter denen dies aussichtsreich ist.

2.     Die Grundidee der Borrell-Roadmap zu einem Auskommen von Israel und Palästina

Der Plan, den der EU-Außenbeauftragte Josip Borrell angesichts der Zuspitzung in Israel und im Gaza-Streifen hat ausarbeiten lassen, ist schon pikant. Die Diagnose der EU-Außenpolitik lautet:

  1. Ohne Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung, ohne Vorstellung davon, wie man die Grund-Ursache des Konflikts angehen kann, gibt es keine Chance auf einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern;
  2. Der eine der beiden Partner aber, Israel, ist nicht bereit, darüber zu reden.

Die selbstgesteckte Aufgabe angesichts dieser Ausgangssituation lautet: Konzipiere eine Roadmap, die zu einem Frieden zwischen zwei verfeindeten Nachbarn führen kann, ohne dass einer der beiden bislang bereit ist, die ersten Schritte auf diesem Weg mitzugehen.

Formuliert man die Herausforderung so strukturell abstrakt, dann wird deutlich: Im Erfolgsfall könnte dieses Konzept auch anwendbar sein auf den blutigen Konflikt im Osten Europas. Der ist gleicherweise gekennzeichnet von Zweierlei, a) von einem Unwillen (des Westens), die Grundursache in den Blick nehmen, und b) von der fehlenden Bereitschaft einer Konfliktpartei, in Verhandlungen einzutreten. Der Westen ist aber Konfliktpartner. Deshalb kann die EU in diesem Konflikt nicht dieselbe Rolle spielen, die sie sich als außenstehender Dritter im Nahen Osten dabei ist vorzunehmen.

3.     Inhalte des Borrellschen 10-Punkte-Plans

Nochmals: Es geht nicht um einen Friedensplan der EU. Inhalt des Plans, der noch nicht offiziell veröffentlicht worden ist, ist vielmehr lediglich

to provide a coherent timeline to organise a potential peace process

Im Zentrum steht eine sog. „Preparatory Peace Conference„, der ein Jahr Zeit gegeben werden soll, zu einem Ergebnis zu kommen. Als sog. „Schlüsselakteure“ beteiligt sollen neben der EU sein: Die USA, Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien, daneben die Arabische Liga und die Vereinten Nationen. Die Konflikt-Parteien sollen nicht mit am Tisch sitzen, das soll ihnen nicht zugemutet werden. Die Teilnehmer der Konferenz aber sollen im ständigen Austausch mit den Vertretern Israels und der Palästinenser sein. Als Vertreter der Palästinenser sollen die PLO und die Palästina-Behörde im Westjordanland gelten, die Hamas wird ausgeschlossen. Wichtig sein dürfte noch diese Verpflichtung (in Punkt 8):

if either side decides to pull out, the work should continue nevertheless.

Hervorzuheben, auch der Analogie zum Konflikt um die Ukraine wegen, ist Punkt 7 des EU-Plans. Er lautet:

7      The plan should provide „robust security assurances“ for Israel and the future Palestinian state, „conditional upon full mutual diplomatic recognition and integration of both Israel and Palestinian in the region.“

4.     Analogie für den Konflikt um die Ukraine

Auf Initiative der Ukraine hat es eine Reihe von inzwischen vier Konferenzen der „National Security Advisors (NSA) and Foreign Policy Advisors“ zu der Friedens-Formel gegeben, die Präsident Selenskyj im Oktober 2022 herausgegeben hat. Die sog. Peace Summits der NSA fanden bislang statt in

Kopenhagen: 25. Juni 2023;

Jeddah (Saudi-Arabien): 5. August 2023;

Malta: 28. Oktober 2023;

Davos: 14. Januar 2024.

Mit der Zeit hat die Zahl der Teilnehmer zugenommen, in Davos waren es 82 Delegationen, ein gutes Zeichen. Es wird auch konkret gearbeitet. Zu jedem der zehn Punkte der Selenskyjschen Friedens-Formel ist eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Die Ukraine bemüht sich, für jeden der zehn Punkte eine detaillierte Roadmap ausarbeiten zu lassen. Abschließendes Ziel der Ukraine ist die Veranstaltung eines „Global Peace Summit“.

Der Präsident der Ukraine hat sich intensiv bemüht, China zur Teilnahme zu bewegen – bislang vergeblich.

Man erkennt den Unterschied im Design des Verhandlungsansatzes. Der Ansatz für Friedens-Verhandlungen zum Krieg in der Ukraine ist asymmetrisch, die Führung liegt bei einer Konfliktpartei, deren Allianzpartner nehmen teil, während die andere Partei des Konflikts, Russland, ausgeschlossen bleibt. So wird das nichts werden, im Borrellschen Vorschlag sind die Konfliktpartner in einer Art 7+2-Format aufgestellt. Auf den Ukraine-Konflikt übertragen wäre das dann ein x+3-Format, wobei 3 für Russland, Ukraine und „den Westen“ steht. Und in x sind China, Indien, Brasilen und Südafrika sowie die UN gleichsam gesetzt.

Nimmt man das Design des Borrellschen Plans als Ausdruck dessen, was von den erfahrenen Diplomaten der EU als ein erfolgsträchtiger Verhandlungsansatz gesehen wird, so wird man konstatieren können: Die EU glaubt nicht daran, dass das Verhandlungsformat, an dem sie sich unter den „Peace Summits“ beteiligt, zum Erfolg führen kann. Das heisst nicht, dass es sich da lediglich um Scheinverhandlungen handelt – im Gegenteil. Aber das Format ist offenkundig nicht so angelegt, dass es darin zum Durchbruch kommen kann.

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