Das zynische Gesicht des Kapitalismus

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Ernteten Applaus von den IHK-Mitgliedern (v.l.:) IHK-Präsident Helmut Streiff, Umweltminister Olaf Lies, „Industrieklub“-Vorsitzender Volker Heemsoth

Mitte 1917 wütete der erste Maschinenkrieg der Weltgeschichte schon 3 Jahre. Millionen deutscher und europäischer Männer verreckten in den Schützengräben an Marne und Somme elend im Dreck; in der Zivilgesellschaft des Kaiserreichs starben Kinder und Frauen an Seuchen und Unterernährung. Da beschlossen Braunschweiger Geschäftsleute, den „Industrieklub 1918“ zu gründen.

Die knapp über 50 Gründungsmitglieder brachten im vorletzten Kriegsjahr in Kürze 262.000 Reichsmark (heutiger Wert: rund 3,5 Millionen Euro) auf, um ein standesgemässes Vereinshaus in Braunschweig zu erwerben oder zu erbauen. Leider legten die kapitalistischen Wirtschaftsführer des „Industrieklub“ im Herzogtum ihren Kapitalstock in Kriegsanleihen an. 1918 war der Krieg verloren und das Geld der Braunschweiger Spekulanten futsch. Ende mit Vereinsheimsträumen. Eine klassische Fehlinvestition gieriger Nimmersatte, für die man später Andere verantwortlich machen konnte.

Als der heutige „Industrieklub“-Vorsitzende Volker Heemsoth die Geschichte anekdotenhaft beim IHK-Jahresempfang zum Besten gab, bogen sich die rund 1200 geladenen Gäste vor Lachen. Jaja, so waren sie halt, die Alten. Haben sich auch schon mal verzockt. Hihi.

Die Organisation „Industrieklub 1918“ (firmert mittlerweile als „GmbH“) überlebte die kommunistischen und sozialdemokratischen „Wirren“ der ersten Nachkriegszeit, auch das Dritte Reich, und zählt heute stolze 120 Mitglieder. Sie hat ihre Büroräume in der Industrie- und Handelskammer und fungierte zum 100-jährigen Jubiläum ihres Bestehens als Ausrichter des IHK-Neujahrsempfangs 2018.

Artikel 14 Abs. 2 GG „Eigentum verpflichtet…“ wurde in der 20-minütigen Rede des „Industrieklub“-Vorsitzenden nicht erwähnt (von den anderen Rednern auch nicht). Ein Einsehen in die moralische Verwerflichkeit der Gründerväter wurde durch Schenkelklopfen überspielt. Kein Bedauern für die Millionen Toten des Ersten Weltkriegs. Nur ein Partylacher, bevor es an den Buffets Kalbsrücken, Zander und Steinpilzcremesüppchen gab.

 

Ein bisschen Spaß muß sein: Der „Industrieklub 1918 Braunschweig“ verteilte Würfel als Entscheidungshilfe an Braunschweiger Wirtschaftsführer

Wer darauf baut, dass die „Industrieklub“-Hasardeure von Einst in der Realität angekommen sind, wurde als Besucher der Veranstaltung enttäuscht. Zum Abschied erhielten alle Gäste einen polierten Aluwürfel mit den Optionen „Ja / Nein / Später / Sofort / Besser nicht / Vielleicht“. Laut Merkblatt für die Industrie-Bosse als Hilfe bei „wichtigen Entscheidungen, schwierigen Verhandlungen“ und „weitreichenden Planungen“. War natürlich nur humoresk gemeint. Beleuchtet aber den Geist einer Kaste, deren Mitglieder sich als die Damen und Herren der Welt empfinden. Kapitalismus als Zockerei. Man weiß ja, wer am Schluß die Zeche zahlt.

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