Das Erdbeergärtchen von Auschwitz

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Stellwerk in Auschwitz Weiche zum Leben oder zum Tod an der "Rampe" in Auschwitz-Birkenau. Foto: Uwe Meier

Von Rüdiger Suchsland aus Telepolis

Es war einmal im Osten: Wie einen Film über das Unaussprechliche drehen? Glazers Meisterwerk „The Zone of Interest“: deutsches Licht, Manufactum-Welt und das Vernichtungslager.

Der abgründigste Auftritt in Sandra Hüllers Karriere beginnt mit einer Idylle: Ein Dutzend Menschen, Erwachsene und Kinder verbringen einen Sommersonntag am See.

Grün der Pflanzen, Blau des Wassers. Seelandschaft mit Ingebrigitt, Picknick und Badespaß, Dejeuner sur l’herbes. Vögel zwitschern blonde Zöpfe, deutsche Frisuren, alte Zeit; das Ganze spielt offensichtlich irgendwann in der Vergangenheit des 20. Jahrhunderts. Der Film erzählt vom Privatleben der Hedwig Höß und ihres Mannes Rudolf Höß, der von 1940 bis Ende 1943 Kommandant von Auschwitz war.

Man sieht hier einer Familie mit fünf Kindern, mit Hund und drei Dienstboten in ihrem Alltagsleben zu, einem Alltag, der direkt neben dem Vernichtungslager, nur durch eine Betonmauer getrennt, nicht etwa ungestört, sondern in einem pseudo-idyllischen Nebeneinander von Grauen und Normalität stattfindet.

Kinder planschen im Pool, Erwachsene laden zu Gartenpartys, während über die meterhohe Mauer immer wieder Hundegebell, Befehle, Schreie und Wehklagen zu hören sind, und vor allem der Höllenlärm des Dauerbetriebs der Verbrennungsöfen, deren Feuerschein hier auch die Nacht zum Tage macht.

Nichts ist normal in diesem „normalen“ Leben, an dem Ort, den Hedwig Höß „Heimat“ und „Paradies“ nennt. Überhaupt liegt das größte Grauen, das dieser Film entfaltet, in der leicht erkennbaren großen Nähe dieses deutschen Lebens am Rande des Mordbetriebs zu unserer eigenen Gegenwart. Die potenziellen Mörder sind unter uns.

Man müsse die Erdbeeren gut waschen vor dem Essen, hat Hedwig Höß ihren Kindern gesagt,

die Asche der Toten verdirbt den süßen Geschmack.

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