AfD-Politiker fühlte sich nicht willkommen – Verfahrenseinstellungen am Amtsgericht Braunschweig

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Amtsgericht Braunschweig. Foto: Ines Richlick

Von Ines Richlick

Update 9.11.22 15:50: Korrektur einiger Details (hgd).

Am 3. November 2022 endete am Amtsgericht Braunschweig wieder einmal ein Verfahren gegen zwei Antifaschisten mit einer Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO, bei der sämtliche Kosten und Auslagen zulasten der Landeskasse gehen (5 Cs 703 Js 32437/20). Obwohl schon vor gut einem Jahr ein Verfahren in gleicher Sache gegen zwei andere Besucher dieser Gedenkfeier genauso eingestellt worden war, beharrte die Staatsanwaltschaft auf ihrer Anklage.

Am 27. Januar 2020 fand an der KZ-Gedenkstätte an der Schillstraße eine Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende der AfD im Rat der Stadt Braunschweig und damalige Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz besuchte diese Veranstaltung und provozierte dabei durch sein Auftreten große Teile der Gedenkenden in ihrer würdevollen Erinnerungskultur. Das führte zu vielfachem Protest und der wiederum gefiel dem Funktionär dieser Partei, die vom Verfassungsschutz bereits als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet werden darf, gar nicht.

In insgesamt 5 verschiedenen Situation habe sich der gelernte Diplomkaufmann an dem Tag von zahlreichen Menschen bedroht gefühlt: Bei Ankunft auf dem BraWoPark-Parkplatz habe er Absprachen von Menschen mit eingerollten Bannern vernommen: „Da kommt er.“ Anschließend hätten ihm mehrere Personen die Zuwegung zur Gedenkstätte mit Bannern versperrt und seien dabei mit ihm mitgelaufen. Als er daraufhin den Wirtschaftsweg um das frühere Invalidenhaus herum gewählt habe, sei er von einem Gewerkschafter in Begleitung einer zweiten Person am Ärmel gefasst worden. Am Erinnerungsblock während der Gedenkfeier habe man ihm einen aufgespannten Regenschirm vor sein Gesicht gehalten und bei dem Schülervortrag im Gebäude sei er ebenfalls bedrängt worden.

Die beiden Antifaschisten A und B hatten gegen einen Strafbefehl i. H. v. 30 Tagessätzen Einspruch eingelegt und waren nun wegen Nötigung angeklagt, weil sie den AfD-Politiker mit Gewalt durch In-den-Weg-Stellen mit Transparenten zur Unterlassung des Gedenkfeierbesuchs gezwungen hätten.

Auf die Frage der Staatsanwaltschaft nach seinem Gefühl bei seinem Besuch sagte der Zeuge, dass er froh gewesen sei, dass die Polizei die Protestierenden von ihm ferngehalten habe. Auf Nachfrage von Strafverteidiger Sven Adam musste Herr Wirtz zugeben, dass er den eingreifenden Kriminaloberkommissar D. in zivil bereits aus anderen Zusammenhängen kenne.

Im Laufe der Beweisaufnahme wurde deutlich, dass vor Ort keine Personalien der Beschuldigten aufgenommen worden sind. KOK D., der selbst Teil des Geschehens vor Ort war, führte erstaunlicherweise anschließend selbst die Ermittlungen durch und lud den Zeugen vor. Wie man auf die beiden Angeklagten als mögliche Täter gekommen war, blieb unklar.

Bei seinen Fragen wurde Rechtsanwalt Adam mehrfach durch Staatsanwalt Londa unterbrochen, Rechtsanwalt Rasmus Kahlen pflichtete wiederholt seinem Kollegen bei und Richterin Genius bemühte sich, wieder Ruhe in die Verhandlung zu bringen.

Auf die Frage von Sven Adam, welche Personen von den rund 20 Menschen, die ihn bedrängt hätten, er noch in Erinnerung habe und beschreiben könne, fiel dem Zeugen nur eine einzige Person mit roten Haaren und Brille ein. Bei weiterer Befragung gab Herr Wirtz an, nicht verletzt worden zu sein. Er hatte auch keinen Strafantrag gestellt.

Auf Nachfrage gab der AfD-Politiker an, seinen Twitter-Account selbst zu bedienen. Auf diesem waren zahlreiche Fotos von dem Geschehen vor Ort gepostet worden. Warum er diese Fotos nicht der Polizei zur Verfügung gestellt habe, begründete Herr Wirtz mit vermuteter Nichtnotwendigkeit.

In den Akten war A mit speziellem Körperschmuck und B mit besonderen Körpermerkmalen beschrieben worden. Da beide mit FFP2-Masken im Gerichtssaal saßen, wurden sie zur Gegenüberstellung gebeten, ihre Masken abzunehmen. Dabei stellte sich heraus, dass B beschriebenes Körpermerkmal fehlt und Herr Wirtz den Mann auch nicht wiedererkennen konnte. Er war sich allerdings bei A sicher, ihn wiederzuerkennen, obwohl dieser nicht den beschriebenen Körperschmuck trägt. Allerdings konnte er zu A auch nur sagen, dass dieser ihm lediglich mit einem aufgespannten Regenschirm die Sicht versperrt habe. Dieser Vorgang war allerdings nicht angeklagt worden. Trotzdem war Staatsanwalt Londa zunächst nicht bereit, das Verfahren gegen A ohne Auflagen einzustellen, da dieser schließlich vorbestraft sei.

Es folgte eine knapp halbstündige Unterbrechung zur Pause und Besprechung. In dieser Zeit stand ein Polizist, der die ganze Zeit in der Verhandlung saß, mit seinen Kollegen inkl. KOK D. vorm Gerichtsgebäude und sprach lange auf diese ein.

Die Verständigung der Jurist*innen endete schließlich im Saal E 104 mit der Verfahrenseinstellung zugunsten beider Angeklagten wie oben beschrieben.

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