»Txema Salvans. Spain-Based on a True Story«

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Eine vierköpfige Familie hat sich Gartenstühle so ins Meer gestellt, dass sie den klobigen Hotelanlagen im Hintergrund den Rücken zukehren kann. Die Mutter müht sich beim Aufpusten einer Luftmatratze ab, Vater und Söhne schauen ihr dabei nicht weniger angestrengt zu. Perfect Day heißt die gerade im Entstehen begriffene Serie, aus der diese Fotografie stammt und aus der – neben drei weiteren Serien – erstmalig Ausschnitte im Museum für Photographie gezeigt werden. Mit Spain – Based on a True Story ehrt das Museum für Photographie den herausragenden, spanischen Fotografen Txema Salvans in einer ersten musealen Einzelausstellung in Deutschland.

                                 Txema Salvans, aus der Serie Perfect Day, 2016
Txema Salvans interessiert sich für das Privat- und Freizeitleben seiner Landsleute. Seit über zehn Jahren fotografiert er in derselben Region Spaniens Menschen, die Hochzeit feiern, die Urlaub im eigenen Land machen, die Zeit totschlagen. Mit seinem außergewöhnlichen Blick legt er das Krude, Witzige und Absurde in der Alltäglichkeit frei und durchbricht dabei die Oberfläche des Dargestellten.

Für die Serie Nice to meet you (2005) bat Salvans, der selbst als Waise aufwuchs, per Zeitungsannonce fremde Menschen, für einen Tag Teil ihrer Familie zu werden. Das dabei entstandene „Familienalbum“ zeigt neben hautnahen, manchmal peinlichen Schwarz-Weiß-Fotografien auch kurze Erzählungen, in
denen die Verletzlichkeit der fotografierten Personen offenbar wird.

                         Txema Salvans, aus der Serie Nice to meet you, 2005
In den letzten Jahren nehmen Salvans’ fotografische Serien eine stärker gesellschaftspolitische Dimension ein. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die durch
den Zusammenbruch der US-amerikanischen Großbank, Lehman Brothers, im Jahr 2008 ausgelöst worden war, traf Spanien aufgrund einer weit verbreiteten Immobilienspekulation besonders hart. 2010 stieg die Arbeitslosigkeit auf 20%, mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 40%. Viele junge Spanier wanderten aus, einige davon nach Deutschland. Die Wirtschaftskrise machte Europa von einer Gemeinschaft ebenbürtiger Partner zu einem Zusammenschluss, in dem vermeintlich schwache Länder auf die Großzügigkeit der starken angewiesen gemacht wurden. Auch wenn die Wirtschaftskrise heute als überwunden beschrieben wird, bleiben die Folgen für das Sozialgefüge aber auch das Selbstbewusstsein des Landes nur schwer abschätzbar.

                                Txema Salvans, aus der Serie My Kingdom, 2016

Nur vor diesem Hintergrund lässt sich Salvans’ Serie My Kingdom (2016) verstehen, in der Salvans Zitate aus den Weihnachtsansprachen des (2014 abgedankten) spanischen Königs, Juan Carlos I., mit Fotografien von Menschen beim Nichtstun konfrontiert. Wenn jener die Opferbereitschaft, die Unbesiegbarkeit und die schöpferische Energie seines Volkes lobt, erhalten die danebengestellten Fotografien herumlungernder Jugendlicher einen zynischen Beigeschmack.
Das Warten, das Nichtstun, die Langeweile sind seitdem ein wiederkehrendes Motiv in Txema Salvans‘ Fotografien. In der Serie The Waiting Game, deren erster Teil 2014 in Buchform veröffentlicht wurde, zeigt Salvans Prostituierte, die an Autobahnen auf Freier warten. Es sind große panoramaartige Landschaftsaufnahmen, in denen die abgebildeten Personen kaum aus dem Bild hervortreten. Der zweite, jüngst fertig gestellte Teil der Serie, zeigt Angler und Anglerinnen, die bildkompositorisch nicht von den Fotografien der Prostituierten unterschieden werden. Diese Analogsetzung von Anglern und Prostituierten ist
gewagt aber vielsagend. Das Warten selbst ist das Thema. Der eigentliche Zwischenzustand des Wartens wird im Bild zum Dauerzustand. Die Fotografien fragen danach, was passiert, wenn eigentlich nichts passiert. Wo ist der Mensch geistig, wenn er körperlich nur anwesend ist? Txema Salvans’ Fotografien pendeln zwischen Ironie und Zynismus, zwischen Humor à la Martin Parr und tiefgreifender Ernsthaftigkeit. Es sind kompositions- und ausdrucksstarke Aufnahmen der spanischen Gesellschaft, als deren Teil sich Txema Salvans selbst sieht.

                                Txema Salvans, aus der Serie My Kingdom, 2016

Txema Salvans wurde 1971 in Barcelona geboren und studierte Biologie und Fotografie. Das Fotobuch, The Waiting Game, (2014) wurde als Gewinner der Iberoamerican Photobook Competition 2012 ausgezeichnet und von einem Text von Martin Parr eingeleitet.

Ausstellungslaufzeit 02.09. bis 25.09.2016
Eröffnung der Ausstellung Donnerstag, den 01.09.2016, 19 Uhr
Pressegespräch Donnerstag, den 01.09.2016, 12 Uhr
Ausstellungsort Museum für Photographie / Torhäuser, Helmstedter Straße 1, 38102 Braunschweig
Öffnungszeiten Di – Fr 13 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Führungen sonntags 16 Uhr
Eintritt 2,50 € / 1 € ermäßigt

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