TREUHAND – ist das noch ein Thema?

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Übervoll besetzter Franziskussaal (ca. 145 Gäste) mit dem Kreuz der Rumänisch orthodoxen Kirche im Hintergrund Foto: J. Heiderich

Die Antwort vorweg: Im Westen, dem Land der Ahnungslosen, kaum. Es ist dringend Zeit das zu ändern. Das Theologische Zentrum in Braunschweig hat damit schon mal begonnen. Gott sei Dank bewegt sich was – wenn auch nur zart!

Wer verstehen will, was heute in den ostdeutschen Bundesländern passiert, der muss zunächst lernen, die DDR zu verstehen. Von den Menschen der DDR lernen will aber kaum jemand im Westen, denn warum soll man „Verlierer“ verstehen lernen – zumal noch Verlierer aus einem sog. „Unrechtsstaat“ („Der Unrechtsstaat?„) mit Todesstreifen und Stasi. Was soll man denn von denen lernen? Die sind doch vor 30 Jahren Pleite gegangen in ihrem Sozialismus. Das war`s dann auch schon an Erkenntnissen des Wessis über die DDR. Ach ja, es gab auch keine Bananen. Und diese sog. „Erkenntnisse“ werden bis heute politisch gepflegt – und das nicht ohne Grund.

Die politischen Folgen der Ignoranz werden immer deutlicher. Folgen, wie das Erstarken des Rechtsradikalismus, der auf Demütigung und Respektlosigkeit basiert und mit der Würde des DDR-Bürgers eng verbunden ist. Eine tiefer gehende Diskussion scheint im Westen nicht gewollt zu sein. Will man das Gespräch trotzdem beginnen, so kommen zunächst die Bedenkenträger zu Wort oder gar die kalten Krieger aus ihren Schützengräben. Es kann und darf nichts gut gewesen sein in der DDR – das scheint in der West-DNA verankert zu sein. Wenn der Sieger die Geschichte schreibt und seine Sicht verteidigt, dann hat die ganze Wahrheit keine Chance. Ist das nicht erbärmlich in einer angeblich gebildeten und aufgeklärten Gesellschaft? Oder ist es politisch so gewollt, um sozialistisches Gedankengut aus dem gesellschaftlich politischen Diskurs den Garaus zu machen? Doch wenn wir wirklich zusammenwachsen wollen, um das damals geforderte „Ein Volk“ zu werden, dann muss der Westen diese Zeit der Wende und die der Treuhand gemeinsam mit den Bürgern des Ostens aufarbeiten. Nicht nur mit Hilfe der seinerzeitigen Gegner des DDR-Systems sondern mit allen maßgeblichen gesellschaftlichen Kräften.

Wo sollte eine solche Aufarbeitung beginnen? Vielleicht bei den Kirchen. Denn im Osten haben sie bei der friedlichen Revolution eine entscheidende Rolle gespielt und im Westen wird es Zeit, dass sie Brücken bauen. Dafür sollten die Kirchen auch da sein! Und so lud das Theologische Zentrum in Braunschweig ein und öffnete ihre Räume für die Ausstellung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale, die von der Firma „Rohnstock Biografien“ kuratiert wurde. Am Montag wurde sie eröffnet. Sie ist täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr. Begleitet wird die Ausstellung von dem Film „Goldrausch“ im Universum und von einer Diskussionsveranstaltung in der Volkshochschule durch das Friedenszentrum.

Prof. Christa Luft während ihrer Rede im Franziskussaal. Foto: J. Heidenreich

Die Ostdeutschen Gäste waren: Prof. Christa Luft (Wirtschafsministerin der Modrow Regierung, 1989-90), Uwe Trostel (Leiter der Zentralen Staatlichen Inspektion für Investitionen bei der Staatlichen Plankommission, Mitglied im Kabinett Modrow (1989) und Mitarbeiter bei der Treuhandanstalt (1990 bis 1992). Moderation: Katrin Rohnstock (Rohnstock Biografien). Ein weiterer Gesprächspartner war Axel Becker (Bankabteilungsdirektor i.R. und Wirtschaftsförderung Sachsen-Anhalt). Frau Dr. Kerstin Lindner, die die Veranstaltung organisiert hatte, hatte zuerst das Wort und berichtete als ehemalige DDR-Bürgerin aus Potsdam vom sog. „Runden Tisch“ an dem sie in der Wendezeit aktiv beteiligt war, um der DDR ein anderes politische Gesicht zu geben.

Axel Becker Mitte; Uwe Trostel Links. Moderation: Katrin Rohnstock Rechts. Foto: J. Heidenreich

Hauptrednerin der Veranstaltung war die renommierte Ökonomin Christa Luft. Sie setzte sich hauptsächlich mit der seit 30 Jahren existierenden Behauptung auseinander, dass die DDR pleite gewesen sein soll. Dazu hat sie belastbar und nachvollziehbar Stellung bezogen. Kurz: die DDR war nicht pleite, sie wird bis heute verleumdet: „Ende August 1998 brachte die Bundesbank ein Bändchen heraus mit dem Titel: „Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975 bis 1989“. Das Ergebnis: die Schulden betrugen Ende 1989, also wenige Wochen vor der Währungsunion, 19,8 Milliarden D-Mark. Zum Nachlesen über die ökonomische Situation der DDR aus einem Vortrag von Christa Luft vor der „Humanistischen Union„.

Anschließend sprach Uwe Trostel. Uwe Trostel war zuletzt Mitglied der Plankommission der DDR, also des zentralen Gremiums, das die Ziele für die Planungen der Wirtschaft vorgab. Trostel machte einen äußerst pragmatischen Eindruck. Er scheint einen unverstellten Blick auf die Wendeereignisse und danach zu haben. Er benannte klar die ökonomischen Defizite, wobei er ab er auch deutlich die Vorteile ansprach.

Uwe Trostel, ehemals Leiter der Zentralen Staatlichen Inspektion für Investitionen bei der Staatlichen Plankommission, Mitglied im Kabinett Modrow (1989) und Mitarbeiter bei der Treuhandanstalt (1990 bis 1992) Foto: J. Heidenreich

Sehr kritisch setzte sich Trostel mit der Kündigung von Millionen an Arbeiter/-innen auseinander. Das war brutal und es hätte Alternativen gegeben, die auch diskutiert wurden. Manch ein Betrieb hätte gerettet werden können. Doch die traditionellen Märkte brachen weg nach dem D-Mark-Beitritt. Diese Märkte wurden z. T. von Westfirmen Übernommen. Die DDR sei wie ein Schlachthaus gewesen und so wurde es auch von West-Managern gesagt. Wenn es nach Pöhl von der Bundesbank gegangen wäre, hätte sich die Politik mehr Zeit lassen müssen. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl bestimmte wo es langzugehen hat.

Axel Becker ist ein Bankabteilungsdirektor a.D. Er war bei der Nord/LB und ging in den Osten zur Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt. Dort hatte er zu tun mit der Beurteilung von Unternehmen und der Kreditvergabe. Er schilderte seine Zeit in der Bank, und die war rundweg positiv. Er verdiente gut und hatte Freiheiten, die er in der Bank im Westen nie gehabt hätte.

Die Veranstaltung leitete in Form eines Erzählsalons Frau Katrin Rohnstock. Seit 2012 lädt das Berliner Unternehmen Rohnstock Biografien frühere Kombinatsdirektoren, führende Wissenschaftler und andere Wirtschaftsführer der DDR zu sogenannten Erzählsalons ein. Es bestand zunächst die Hoffnung schweigende Zeugen der Vergangenheit zum Erzählen zu bringen und ihre Erfahrungen festzuhalten. Inzwischen hat sich dieses Projekt entwickelt. Aus einem kleinen Kreis des geselligen Austausches unter Insidern ist eine feste Institution geworden. Lesen sie hier von Isolde Dietrich über Das Kombinatsdirektoren-Projekt. Ein Projekt, dass kritischen Ostdeutschen eine Stimme gibt und damit Außergewöhnliches leistet.

Spontan ergriff Dr. Lutz Modes das Wort: Ehemaliger Direktor des SKL = Schwermaschinenbau Karl Liebknecht
„Wenn ein Schiff mit unserem Dieselaggregat untergeht und es Jahre später gehoben wird, dann muss der Diesel sofort wieder laufen. Das war unser Qualitätsanspruch.“ Foto: J. Heidenreich

Unplanmäßig und überraschend ergriff ein Zuhörer aus dem Publikum im Anschluss an den Erzählsalon das Wort. Er stellte sich als Dr. Lutz Modes vor. Statt einer geplanten Diskussion berichtete Herr Modes als ehemaliger Direktor des traditionsreichen SKL = Schwermaschinenbau Karl Liebknecht, Magdeburg, über seine Managementtätigkeit vor und während der Wende. SKL war weltweit der führende Anbieter von großen Dieselmotoren, insbesondere für Schiffsdiesel. Herr Modes berichtete vom Alltag im Werk, von dem weltweiten Verkauf von Dieselmotoren insbesondere in die Sowjetunion, die endlosen Bedarf für die Schiffe auf den großen sibirischen Strömen hatte. Doch plötzlich war der Markt verloren, weil die D-Mark eingeführt wurde. Die Produkte waren nicht mehr konkurrenzfähig, denn der Markt der RGW -Staaten war ein völlig anderer als der westliche Markt.

Der Mann schilderte die Verhandlungen mit der Treuhand und hier besonders mit Detlev Carsten Rohwedder (Erster Leiter der Treuhand), den er als hoch integer in Erinnerung hat. Nach der Ermordung von Herrn Rohwedder (der Mord wurde nie aufgeklärt) kamen Birgit Breuel und andere Entscheider aus dem Westen. Alternative Pläne, die es gab und auch mit Rohwedder erarbeitet wurden, sind damit über Nacht obsolet geworden.

Prof. Christa Luft vor ihrem Publikum. Foto: J. Heidenreich

Fazit: Es war ein hoch spannender und informativer Abend mit Entscheidungsträgern aus der DDR und mit sehr vielen interessierten Zuhörern. Es gab überraschende Aussagen und überraschende Gäste. Der Abend war intensiv und viele hatten das Gefühl, dass sie an einer besonders denkwürdigen Veranstaltung des Theologischen Zentrums teilgenommen hatten.

Dass sich das Theologische Zentrum des Themas angenommen hat ist zu begrüßen. Zu erwartende Widerstände sollten ernst genommen und überwunden werden. Es ist zu hoffen, dass weitere kirchliche und sonstige Organisationen in den westlichen Bundesländern diese Ausstellung zeigen und entsprechende Auftaktveranstaltungen durchführen.

„Unsere Sprache mit ihren vorurteilsgesättigten Redewendungen verrät uns nicht nur; sie wird der Nährboden für Ausgrenzung und Gewalt.“ Friedrich Schorlemmer (*1944), Pfarrer und Bürgerrechtler, 1993 Friedenspreis des Dt. Buchhandels

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