Geschichtslegenden entstehen schnell und halten sich hartnäckig. Ich sah mich deshalb am 7. März zu einem Leserbrief veranlasst, als in der Braunschweiger Zeitung ein Artikel von Gerd Biegel zum Frauentag 1913 erschien. Die Braunschweiger Zeitung hat meinen Hinweis auf die problematische Quellenlage dieser Darstellung aber bislang nicht berücksichtigt. Im Folgenden zu Ihrer Kenntnis:
In seinem Artikel „Ein Frauentag vor 100 Jahren“ gibt Gerd Biegel eine Geschichte wieder, die schon seit längerem kursiert und einige – bislang ergebnislose – Nachrecherchen auslöste: Am 8. März 1913 sei Rosa Luxemburg zu einer Frauentagskundgebung in Braunschweig gewesen.
Die wiedergegebene Schilderung beruht auf Erinnerungen von Robert Biehl, der in Braunschweig 1898 geboren wurde und der Arbeiterjugend angehörte. Später lebte er in Königswusterhausen. In der DDR erschienen seine Jugenderinnerungen in dem Band „Deutschlands junge Garde“ und wurden später in einer Publikation der westdeutschen „Marxistischen Blätter“ weitergeführt. Zu diesen Erinnerungen fällt auf, dass der Zeitzeuge sich mit der Datumsangabe irrt. So berichtet er, es habe zu dem Luxemburg-Besuch ein Vorgespräch im Volksfreund-Gebäude gegeben. Fragt man nach der Baugeschichte des Gebäude, dann muss das Gespräch auf der Baustelle stattgefunden haben. Blickt man in die sozialdemokratische Tageszeitung Volksfreund, so findet sich um den 8. März 1913 kein Hinweis auf die Veranstaltung mit Rosa Luxemburg. Das ist sehr erstaunlich, denn über andere Veranstaltungen wurden regelmäßig berichtet, so über eine Frauenversammlung im Konzerthaus am 3.5. des Jahres, auf der die Genossin Anna Blos über das Verbot der Kinderarbeit sprach. Bereits befragte Biografinnen von Rosa Luxemburg wissen auch nichts über einen Braunschweiger Auftritt der Rednerin. Außerdem ist ungewiss, dass der wenig eingeführte 8. März im Jahr 1913 in Braunschweig überhaupt als Frauentag begangen wurde.
Das schließt nicht aus, dass Rosa Luxemburg zu einem anderen Zeitpunkt in Braunschweig war. So gibt es einen Hinweis auf den 8.7.1916.
