Nachtrag Demo Hannover: Energiepolitische Hintergründe der Krise in der Ukraine

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Auf der Demonstration in Hannover fand auch eine Kundgebung statt. Ein interessante Rede hielt die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen. Die sprach über die energiepolitische Dimension des Krim-Konfliktes. Diese Sichtweise war mir neu, und so bat ich Frau Claußen um ihr Redemanuskript, um es den Leserinnen und den Lesern des B-S zukommen zu lassen. Energiewende- Demo Presse (red)

Energiepolitik kann entweder Kriege befördern oder Frieden schaffen: Die energiepolitischen Hintergründe der Krise in der Ukraine und die Notwendigkeit einer dezentralen Energiewende. Interview mit Angelika Claußen (IPPNW) Radio Bremen

Angelika Claußen (rechts mit der Pace-Flagge) nach Ihrer Rede beim Interview

Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

seit vielen Jahren wird in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern weltweit die dezentrale Energiewende auf der Grundlage von erneuerbaren Energien vorangetrieben. Es geht um Energieautonomie. Es geht um das Ziel einer Gesellschaft, deren Energieversorgung nachhaltig, sauber und dezentral erfolgt, frei von Monopolen, Kartellen und Lobbyisten, frei von politischen Abhängigkeiten und von Ressourcenknappheit, zugänglich und erschwinglich für alle.

Doch die führenden Politiker in Ost und West kneifen vor der Energiewende. Sie spielen stattdessen weiter mit dem fossilen und dem atomaren Feuer. Das „Wie“ der Rohstoffpolitik und der Energiepolitik kann entweder kriegerische Konflikte befördern oder aber Friedenspolitik sein.

Am Beispiel Ukraine möchte ich diese Zusammenhänge ein wenig erhellen.
Im Ukraine bzw. Krim-Konflikt finden wir nicht nur die Staaten in Ost und West miteinander im Konflikt, sondern ebenso große transnationale Energieunternehmen, die Gasfelder auf dem Gebiet der Ukraine erschließen und ausbeuten wollen bzw. Gas verkaufen wollen und ihre Absatzmärkte erhalten wollen.

Da ist auf der einen Seite der russische Staatskonzern Gazprom, wobei Russland knapp 70 % seiner Exporterlöse aus dem Verkauf von Öl und Gas gewinnt. Auf der anderen Seite finden sich große europäische und US-amerikanische Energiekonzerne, die den Rohstoff und Energiemarkt in der Ukraine für sich erschließen wollen, flankiert von den westlichen Staatenbündnissen der EU und den USA (nichtmilitärisch) und dem NATO-Militärbündnis.

So verpflichtete sich die ukrainische Regierung unter Julia Timoschenko 2009, Russland zu einem überhöhten Preis, Gas abzukaufen. Dann folgten ab 2012 unter der Regierung Janukowitsch Verträge mit dem deutschen Energiekonzern RWE, das russisches Gas an die Ukraine zu einem günstigen Preis als Russland diesmal von West nach Ost über Polens Pipelines verkaufte. Der britisch-holländische Energiekonzern Shell schloss im Januar 2013 einen Vertrag mit der Ukraine ab, der die Erschließung des Schiefergasfeldes Jusowskaja in der Ostukraine mittels Fracking vorsieht.

Natürlich wollen im „great game“, im großen Spiel um die Energieausbeute auch US-amerikanische Energiekonzerne nicht fehlen:
Der Energiekonzern Chevron will das Schiefergasfeld Olesskaja in der West-Ukraine ausbeuten, stößt aber noch auf lokalen Widerstand der Bevölkerung.

Ein von Exxon geführtes Konsortium gewann im August 2012 Zugang zu Öl- und Gasreserven in dem tief liegenden ukrainischen Schieferfeld Scythian unter dem Schwarzen Meer. Allerdings waren die Verträge mit der Regierung Janukowitsch noch nicht beendet.
Nun, mit der Annektierung der Krim durch Russland ist es wahrscheinlich, dass die neue Regierung auf der Krim diese Gas- und Ölfelder zur Ausbeute an Gazprom geben wird.

Erschreckend, wie die transnationalen Energiekonzerne und die hinter ihnen stehenden Regierungen in Ost und West dem Denken in fossil-industrieller Wohlstandsgestaltung verhaftet blieben. Ein Wohlstandsmodell, das auf fortwährendem Wachstum beruht, obwohl die Ressourcen in unserer Welt doch endlich sind. So als hätten sie nie etwas vom Klimaschutz, von Ressourcenschonung und Energiewende gehört.

Wolfgang Sachs und Hermann Ott, beide Forscher aus dem Wuppertal –Institut, malen ein treffendes Bild davon, wie Kriege um knappe Ressourcen immer wahrscheinlicher werden: „Der Kuchen wird kleiner, der Hunger wird größer, und die Anzahl der Gäste auch. So kehren die Grenzen des Wachstums auf unserem begrenzten Kontinent als geopolitische Konflikte zurück, als soziale Grenzen fossiler Energienutzung“.

Wir protestieren und mahnen heute dafür, dass Politik und Wirtschaft, das alte fossile Denken und Handeln endlich überwinden.
Eine 100% ige Versorgung mit Erneuerbaren Energien für Strom und Wärme in Deutschland (Punkt 2050) ist möglich, und zwar ohne jegliche Importe von Energie, also nur auf der Basis von Ressourcen die in Deutschland zur Verfügung stehen. Das ist keine Utopie, sondern gut durchdachte wissenschaftliche Prognose des Fraunhofer Instituts, die bereits seit 2012 vorliegt. Die Gesamtkosten für den Bau, Erhalt und die Finanzierung für eine auf 100 % EE basierende Strom- und Wärmeversorgung sind nicht höher als die Kosten, die schon heute für die Versorgung (Bau, Erhalt, Brennstoffkosten, Finanzierung) mit Strom und Wärme verwendet werden.
Wir wollen eine beschleunigte dezentrale Energiewende.
Wir wollen Energieautonomie, frei von Monopolen und transnationalen Energiekonzernen wie RWE und Exxon, frei von Gazprom, Rosatom und Rosneft, frei von EON und Shell. Mit einem Deckel für Braunkohle und Steinkohle statt für die Erneuerbaren Energien.

Eine dezentrale Energiewende
Für uns Bürgerinnen und Bürger.
Für unsere Kommunen.
Für nachhaltige Wirtschaftskreisläufe
Für unsere Region.
Mit der Bürgerenergiewende – für den Frieden.

Hannover, den 22.03.2014
Dr. med. Angelika Claußen, IPPNW, Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in Sozialer Verantwortung

ausgestrahlt mit Informationen

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