Gesundheitsrisiko Asse II – Weltatomerbe Braunschweiger Land

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Am  30.3.2011 sprach Winfrid Eisenberg, IPPNW, auf der Veranstaltung „Gesundheitsrisiko Asse II – Weltatomerbe Braunschweiger Land“ in der Lindenhalle Wolfenbüttel. Er stellte braunschweig-spiegel sein Redemanuskript zur Veröffentlichung zur Verfügung.

„Die Atomkatastrophenkette Hiroshima-Nagasaki-Majak-Windscale-Harrisburg-Tschernobyl-Fukushima veranlasst mich, mit einem Zitat aus Heinrich Heines Ballade Belsazar zu beginnen, gedichtet 1815:

(Der König von Babylon hatte bei einem Gelage frevelhaft aus einem heiligen Becher getrunken und Gott gelästert, dann ging es so weiter:)
 


Und sieh! und sieh! An weißer Wand – da kam’s hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Der König stieren Blicks da saß, mit schlotternden Knien und totenblass.
Der Knechte Schar saß kalt durchgraut, und saß gar still, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verstand zu deuten DIE FLAMMENSCHRIFT AN DER WAND.
Belsazar ward aber in selbiger Nacht von seinen Knechten umgebracht.

 

 

 

 

 

 

 

Um die Flammenschrift von Hiroshima bis Fukushima zu deuten, benötigen wir keine Magier. Die Botschaft ist klar: 

Wir müssen das Nuklearzeitalter umgehend beenden, sonst verbrennen wir im atomaren Feuer. Wir fehlbaren Menschen dürfen keine Technologie verwenden, die den kleinsten Fehler mit lebensfeindlicher Grausamkeit bestraft.
 

Hier im Umfeld der Asse brennt kein explodierter Reaktor, aber Sie sind in anderer Weise von der Atomindustrie betroffen. Die Versuche, strahlende Abfälle irgendwo zu lagern, sind genauso hilflos wie jene, mit Feuerwehrspritzen gegen den Radioaktivität speienden vierköpfigen Drachen in Japan vorzugehen.

Wenn wir hören,  ein Endlager für Atomabfälle sei „noch nicht gefunden“, wissen wir, dass dreist gelogen wird. Wir müssen klipp und klar sagen, dass die Endlagerfrage prinzipiell nicht gelöst werden kann. Welcher Wissenschaftler oder Politiker will sich anmaßen, von irgendeinem Ort auf der Welt zu behaupten, der sei für eine Million Jahre sicher, dort eingelagerter Strahlenmüll werde auf ewig von der Biosphäre abgeschirmt sein? Es wäre einfach nur vermessen und größenwahnsinnig, so eine Behauptung aufzustellen. Deshalb gibt es nicht nur nirgends auf der Welt ein Endlager, nein, es  KANN keins geben.

Asse II hat nicht einmal 30 Jahre gehalten. Und die Frage, was nun mit dem verseuchten Salzstock und seinem radioaktiven Inhalt zu tun sei, kann nur falsch beantwortet werden, wie auch immer die Antworten und Beschlüsse lauten mögen.
 

Unabhängig von der Zukunft des missglückten „Versuchsendlagers“ wollen wir heute fragen, welche Gesundheitsgefahren in der Umgebung der Asse bestehen. 

 

Am 25. November 2010 war ganz Deutschland von der Nachricht beunruhigt, dass in der Samtgemeinde Asse von 2002 – 2009 statt der statistisch zu erwartenden 8 Leukämie-Erkrankungen bei Erwachsenen 18 aufgetreten waren. 6 entfielen auf Frauen (statistische Erwartung 3,3), 12 auf Männer (stat. Erw. 5,2). Gleichzeitig wurde berichtet, dass 10 Frauen an Schilddrüsenkrebs erkrankt waren, während die statistische Erwartung bei 3,3 lag. In der gleichen Zeit erkrankten auch 2 Männer an Schilddrüsenkrebs, nach der bundesweiten Statistik hätte die Rate nur 0,6 sein dürfen.

Diese Steigerung auch bei Männern wurde seitens der Behörden wegen der kleinen Fallzahl gar nicht erst erwähnt.

Diese Nachrichten kamen vom Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN; Originalausdruck, 31 Seiten). Der KreisWolfenbüttel hatte 2008 diese Daten angefordert. Die Erfassung der Krebserkrankungen bei Erwachsenen obliegt in Deutschland den Bundesländern, während Krebs bei Kindern bundesweit dem Mainzer Kinderkrebsregister zu melden ist. Ob im Bereich der Asse auch Kinder überzufällig oft an Krebs erkrankt sind, ist bisher nicht mitgeteilt worden; seitens der IPPNW haben wir eine solche Untersuchung gefordert, aber es gibt diesbezüglich noch keine Reaktion. Vermutlich müssen Sie, die betroffene Bevölkerung, auf der Veröffentlichung auch der Kinderdaten bestehen; da die Daten in Mainz vorliegen, wäre die Herausgabe ohne großen  Aufwand möglich. 

Der Zusammenhang mit Emissionen radioaktiver Substanzen aus dem Asseschacht wurde von den zuständigen Behörden des Landes Niedersachsen, wie in solchen Fällen üblich, umgehend verneint. Nennenswerte Emissionen gebe es nicht, verlautete aus dem Umweltministerium in Hannover. Das ist schlichtweg falsch, denn das Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht ganz ohne Geheimniskrämerei jährlich die keineswegs unerheblichen  Asse-Messwerte für Tritium H-3, Kohlenstoff C – 14, Radon Rn – 222 und radioaktive Radonfolgeprodukte wie das Ultragift Polonium Po – 210. Greenpeace at 2009 eine Abhandlung über widersprüchliche Angaben zu Tritium-Emissionen und Tritium-Inventar der Schachtanlage Asse II veröffentlicht. Danach ist offenbar das Tritium-Inventar als viel zu niedrig angegeben worden. Tritium, H 3, ein Betastrahler, schadet nicht nennenswert von außen, aber die Gefährlichkeit der inneren Strahlung inkorporierten Tritiums wird in der Regel unterschätzt.                  

Radiojod scheint nicht, mindestens nicht regelmäßig gemessen zu werden; aus meiner Sicht wäre das bei Kenntnis der ungewöhnlichen Häufung von Schilddrüsenkrebs jedoch unumgänglich; und zwar müsste  nicht nur nach dem kurzlebigen Jod – 131 (Halbwertszeit ca. 8 Tage), sondern auch nach dem langlebigen Jod – 129 (HWZ 15,7 Millionen Jahre) gefahndet werden.                                                               

Leukämie ist die am eindeutigsten mit ionisierender Strahlung korrelierte Krebserkrankung. Schilddrüsenkrebs wird  –  das wissen wir sehr genau seit Tschernobyl  – ganz ohne Zweifel durch radioaktives Jod ausgelöst. So werden auch im EKN-Bericht für beide hier überzufällig oft diagnostizierten Krebserkrankungen  ionisierende Strahlen bei den Risikofaktoren an erster Stelle angegeben.
Anstatt aber nun den logischerweise bestehenden Zusammenhang der Krankheitshäufungen mit den aus der Asse zu ebener Erde entweichenden Radionukliden als wahrscheinlich anzunehmen oder wenigstens ernsthaft zu erwägen, ist schon wieder der Zufall bemüht worden, obwohl die Erkrankungsraten im Vergleich zur statistischen Erwartung trotz der relativ kleinen Zahlen hoch signifikant sind.

Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der niedersächsischen Sozial- und Umweltministerien, des Krebsregisters, des Landesgesundheitsamts und des Bundesamts für Strahlenschutz wurde eingesetzt, um zu erforschen, wie die erhöhten Krebsraten in der Samtgemeinde Asse erklärt werden könnten; vorsorglich hieß es gleich, „es werde mehrere Monate dauern, bis verwertbare Ergebnisse vorliegen.“  Es fällt auf, dass VertreterInnen der zahlreichen Asse-Bürgerinitiativen nicht dabei sind. Ich befürchte, dass irgendwann eine wachsweiche Erklärung abgegeben wird, etwa in dem Sinn, man könne die Verursachung der Erkrankungen nicht klären, auf jeden Fall könnten Emissionen aus dem Schacht nicht angeschuldigt werden, weil diese nach dem aktuellen Kenntnisstand viel zu gering seien.
 

Es gibt aber inzwischen einen weiteren starken Hinweis auf Auswirkungen ionisierender Strahlung auf die Umgebungsbevölkerung der Asse: Die Relation von Jungen- zu Mädchengeburten liegt durchschnittlich bei 105:100.

Eine Verschiebung dieser Relation zu Ungunsten der Mädchen war weltweit nach den oberirdischen Atombombenversuchen (1) und europaweit im ersten Jahr nach Tschernobyl (2) festgestellt worden. 1987 fehlten in Europa statistisch 800.000 –  1 Mio Geburten im Verhältnis  von 10 : 3 zu Ungunsten der Mädchen. In einer im November 2010 veröffentlichten Studie von Kusmierz, Voigt und Scherb wurde nachgewiesen, dass in den vergangenen 40 Jahren im 35-km-Umkreis von 31 Atomanlagen in Deutschland und der Schweiz 15.000 Kinder zu wenig geboren wurden, wiederum zum größten Teil Mädchen. (3)

Die gleichen Autoren haben im Dezember 2010 die Geburtenrelation in Remlingen/Samtgemeinde Asse untersucht. Vom Beginn des Asse-Betriebs  bis 2009 ergab sich eine Relation von 125 : 100; für die Hauptbetriebszeit mit einem Jahr Nachlauf, also von 1971 – 1979, fiel das Zahlenverhältnis mit 142 : 100 noch deutlicher aus, es ist in dieser Zeit offenbar zu geradezu dramatischen Mädchenverlusten gekommen. (4)

 

Die Ergebnisse sind hoch signifikant. Inzwischen gelten Leukämie und Verschiebung der Geburtenrelation als sehr empfindliche biologische Indikatoren für kontinuierliche Niedrigstrahlung. Auf unserem Internationalen IPPNW-Kongress  „25 Jahre Tschernobyl“ vom 8.-10.4. in Berlin werden wir in einem Workshop der Frage nachgehen, warum Mädchengeburten stärker als Jungengeburten betroffen sind und an welcher Stelle der Entwicklung der Schaden eintritt. Molekulargenetiker, Humangenetiker, Statistiker, Mediziner werden beteiligt sein. Der Zusammenhang der Asse-Emissionen mit den beschriebenen Phänomenen kann  aus meiner Sicht nicht mehr bezweifelt werden. 

< Winfrid Eisenberg, Dr. med., Kinderarzt, IPPNW >

 

1Scherb H (2010): Verlorene Kinder – die Geschlechtschance des Menschen bei der Geburt in Europa und in den USA nach den oberirdischen Atomwaffentests  und nach Tschernobyl. Strahlentelex 558 – 559; www strahlentelex.de/Stx_10_558_S01-04.pdf

2Scherb H, Voigt K (2007): Trends in the human sex odds at birth in Europe and the Chernobyl Nuclear Power Plant accident. Reprod.Toxicol. 23(4), 593 – 599

3Kusmierz R, Voigt K, Scherb H (2010): Is the human sex odds at birth distorted in the vicinity of nuclear facilities? A preliminary geo-spatial-temporal approach. In: Greve K, Cremers AB (eds): EnviroInfo2010, Bonn/Cologne, Oct. 2010, Shaker, p. 616 – 626

4Scherb H (5.12.2010): Aktuelles Factsheet: Geburten nach Geschlecht in Remlingen (Asse) 1971 – 2009, Helmholtz-Institut München 


Ein Bericht der Braunschweiger Zeitung ist zu finden auf newsclick.de

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