Gazakrieg: Operieren ohne Narkose

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Al Schifa-Krankenhaus Gaza Bild: Basel Yazouri, CC BY 2.0

Von Christoph Krämer

Den nachfolgenden Beitrag veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Autors Christoph Krämer, der Text erschien zuerst auf Telepolis. Christoph Krämer ist Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Braunschweig der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). (Red.)

Israels Armee in Gaza: Operieren ohne Narkose

Israelisches Vorgehen am Schifa-Krankenhaus in Gaza sorgt international für Kontroversen. Wie sieht das Geschehen ein Arzt?

Wenn ich als Chirurg im fernen, sicheren Deutschland von der Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen im belagerten und bombardierten Gaza höre, lässt mich das nicht unberührt.

Ohnedies ist es schon grauenhaft, wenn einem neunjährigen Jungen verletzungsbedingt ein Fuß amputiert werden muss, um sein Leben zu retten – wie von dem chirurgischen Kollegen Mohammed Obeid vor Kurzem aus dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt berichtet.

Dass dafür dann keine ausreichende Anästhesie verfügbar ist, überschreitet die Grenzen des Vorstellbaren. Hierzulande gibt es Einzelfälle von Berichten, dass Patientinnen und Patienten während der Operation erwacht sind, Teile davon mitbekommen und trotz Narkose Schmerzen empfunden haben. Leider ist das oft damit verbunden, dass Patient*innen sich trotzdem nicht wehren oder anderweitig bemerkbar machen können.

Je nach Ausmaß des Narkoseversagens und auch des Eingriffs (Kriegsverletzungen betreffen oft auch den Rumpf, etwa die Bauchhöhle) hinterlässt das bei den Betroffenen ein Psychotrauma.

Wenn der Patient oder die Patientin den Krieg überlebt, kann das durchgemachte lebenslange Folgen haben, und unter Umständen immer wiederkehren.

Die hiesigen Fallberichte und Publikationen betreffen unbeabsichtigte Fälle, die überdies selten sind. Was in Gaza geschieht, hat hingegen System. Und es betrifft auch die ausführenden Chirurginnen und Chirurgen.

Wer wie ich seit Jahrzehnten in diesem Fach arbeitet, kann erahnen, was nicht nur die Patienten, sondern auch die Kollegen jetzt in der Hölle von Gaza durchmachen. Einer menschengemachten Hölle. Die auch durch menschlichen Willen beendet werden könnte.

Durch das, was jetzt geschieht, werden wir gerade in die Zeit vor der Einigung auf das geltende Kriegsvölkerrecht zurückversetzt.

Aus meiner Sicht sind schwere traumatische Folgen nicht nur für die einzelnen Betroffenen zu erwarten, sondern auch für die menschliche Gesellschaft.

Völkerrecht gilt für alle

Das dürfen wir nicht zulassen. Das Grundprinzip für eine Lösung wäre einfach: Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen.

Nicht nur zur zehntausendfachen Rettung des Lebens der in Gaza Eingesperrten, sondern auch des Lebens der israelischen Geiseln. Unsere Adressatin dafür ist in erster Linie die eigene Politik.

Völkerrecht und Menschenrechte gelten für alle Menschen und alle Völker.

Auch Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock müssen sich nun für einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusetzen, um ausreichende humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in Gaza zu ermöglichen.

Ein erster Schritt dazu wäre, dass die Bundesregierung die aktuelle und völkerrechtlich bindende Resolution des Sicherheitsrats für tagelange Feuerpausen gegenüber der israelischer Regierung und Hamas bekräftigt.

Anstatt immer wieder ihre bedingungslose Solidarität mit der letztlich rechtsextremen Politik von Benjamin Netanjahu zu wiederholen, der am 22.09.23 in der UN-Vollversammlung seine Karte eines „neuen Nahen Ostens“ ohne Palästina in die TV-Kameras hielt.

Wozu tun sie das? Wollen sie sich so, mit erneuter deutscher Kaltschnäuzigkeit, von historischer Schuld reinwaschen?

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