Der dritte Golfkrieg 2003 – der Krieg um das Öl und die Legende von den Massenvernichtungswaffen

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Propagana Fall 4 Graphik: b.k.

In der Nacht vom 19. Auf den 20. März 2003 bombardierte die amerikanische Luftwaffe im Verein mit einer „Koalition der Willigen“ die irakische Hauptstadt Bagdad massiv, um das Regierungsviertel und alle Kommunikationseinrichtungen zu zerstören. Der massive Luftangriff folgte der Strategie „shock and awe“ (Schrecken und Furcht) und sollte die irakische Armee demoralisieren. In der Folge besetzten ca. 300 000 Soldaten der US-geführten Invasionstruppen das Land. Am 1. Mai 2003 erklärte Präsident George W.Bush medienwirksam und bildmächtig auf einem US-Flugzeugträger: „Mission accomplished!“ Mission erfüllt. Danach begann mit dem amerikanischen Besatzungsregime ein blutiger Bürgerkrieg. Hatte der Krieg selbst etwa 28000 bis 37000 Tote gekostet, so verzeichneten irakische Quellen (Iraq Body Count) von 2003 bis Dezember 2011 etwa 110 000 zivile Todesopfer. Andere internationale Organisationen schätzen die Gesamtzahl der Todesopfer viel höher, zwischen 800 000 und einer Million. Dieser Krieg fand statt ohne UN-Mandat, war also völkerrechtswidrig und stellt ein Kriegsverbrechen dar, für das allerdings niemand je zur Verantwortung gezogen wurde. Er beruhte auf einer erfundenen Propagandageschichte.

Das Motiv: Warum griffen die USA den Irak, nachdem sie ihn 1992 im Irak-Kuwait-Krieg besiegt hatten, erneut an? Weshalb war der Irak für die Bush-Regierung so wichtig?

Jeder Versuch einer anderen Macht, Kontrolle über den Persischen Golf zu gewinnen, wird von uns als Angriff auf (unsere) Lebensinteressen … angesehen. Ein solcher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, zurückgeschlagen werden.“

Müsste diese Aussage nicht von einem der Golfstaaten wie Iran oder von Saudi-Arabien stammen? Tatsächlich ist sie Kern der sogenannten Carter-Doktrin, verfasst vom Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski unter US-Präsident Jimmy Carter. Wie kommt eine Tausende von Kilometern entfernte Regierung dazu, einen derartigen Machtanspruch zu erheben? Ist das nicht purer Kolonialismus?

„It´s the economy,stupid“, könnte man antworten, mit diesem Wahlkampfslogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. „It´s the oil, stupid“, sagte sein schärfster Kritiker Noam Chomsky und offenbarte damit klarer, worum es im Kern ging: Der geopolitische Machtanspruch, über die weltweit wichtigsten Ölreserven und Transportwege zu bestimmen. Und da der Irak nach dem zweiten Golfkrieg ein unzuverlässiger Partner und Gegner geworden war (für den Wiederaufbau der zerstörten Öl-Förderung wollte der Irak europäische und asiatische Firmen ins Land holen, keine US-Firmen), brauchten die neokonservativen Strategen um Präsident George W. Bush wieder eine Legende, um den Irak jetzt vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. (Vgl. Dirk Eckert, Golfkrieg III – Ein Krieg um Öl? Wissenschaft und Frieden, 2003/1)

Die Vorgeschichte:

Nach dem Terrorattentat auf das World Trade Center (9/11) folgte George W.Bush den „Neocons“ genannten rechten Hardlinern der Republikaner und traf die Entscheidung, einen weltumspannenden „Krieg gegen den Terror“ (Sept. 2001) auszurufen, was den USA die Gelegenheit gab, Krieg oder militärische Einsätze überall auf der Welt gegen Menschen, Gruppen oder auch Staaten durchzuführen, die als verdächtig galten, terroristische Aktionen zu planen, auszuführen oder zu unterstützen. Während man bis dahin Krieg immer mit staatlichen Akteuren verband, verwischte der Begriff „Krieg gegen den Terror“ bewusst alle Unterscheidungen, die das Kriegsvölkerrecht bis dahin kannte und richtete sich als Drohung auch gegen Staaten und Gruppen, die sich der Unterstützung verweigern wollten, nach dem Motto „wer nicht für uns ist, der ist unser Gegner.“ Bush verschärfte in seiner sicherheitspolitischen Doktrin die Begründung für militärische Präventivschläge (vorbeugende militärische Aktionen, wenn Gefahr unmittelbar droht) dahingehend, dass schon die Möglichkeit eines Angriffs ausreiche, um präemptiv zuzuschlagen. Mit anderen Worten: Wenn der Präsident glaubt, eine feindliche Gruppe oder ein feindlicher Staat besitze die Möglichkeit einer Attacke, dann kann das schon als Grund ausreichen loszuschlagen, und zwar ohne Kriegserklärung, weltweit, ohne Grenzen. Das bot auch eine ideale Ausgangslage für eine Propagandakampagne gegen Saddam Hussein.

Die Entscheidung, Saddam Hussein zu stürzen, hatte die Regierung Bush schon im Februar 2002 getroffen, seit dem Sommer trafen bereits Zehntausende US-Soldaten in Kuwait ein. Diese Kriegsvorbereitungen trafen aber weltweit auf große Vorbehalte. Vom UN-Sicherheitsrat konnten die USA keine Unterstützung erwarten, auch die Verbündeten Frankreich und Deutschland waren entschieden gegen einen neuen Krieg. Lediglich Großbritannien stand treu an der Seite der USA. Da brauchte es eine wirksame Story.

Die Legende von den Massenvernichtungswaffen im Irak

Jeder Krieg benötigt eine Legitimation, ein Narrativ, das von den regierungstreuen Medien verbreitet wird. Und das hörte sich so an:

  • Saddam Hussein ist das Sinnbild des ultimativ Bösen, unberechenbar und im Besitz von „Massenvernichtungswaffen“, entschlossen, den USA den Kampf anzusagen und Vernichtung über das Land zu bringen
  • Saddam Hussein kooperiere heimlich mit Al-Qaida und sei somit mitverantwortlich für 9/11
  • Um die ständige Bedrohung Israels und des Friedens in Nahost zu mindern, müsse man das Regime stürzen und aus dem Irak einen „Leuchtturm der Demokratie“ machen. Demnach nannte man den Krieg „Operation Iraqi Freedom“.

Wie heute allgemein bekannt, waren die ersten beiden Punkte frei erfunden. Seit November 2002 hatten Waffeninspekteure der Vereinten Nationen das Land auf Grundlage der UN-Resolution 1441 durchsucht, um zu überprüfen, ob Saddam über verbotene biologische und chemische Waffen verfügte. Diese Behauptung hatten die US-Regierung und die britische Regierung auf der Basis angeblicher Geheimdienstinformationen immer wieder medienwirksam transportiert. Die Suche blieb allerdings erfolglos. Nun behaupteten die USA, Saddam Hussein führe die UNO-Inspekteure an der Nase herum und habe mobile Einrichtungen mit chemischen oder biologischen Massenvernichtungswaffen, die er im Lande hin und herfahren lasse. Die britische und amerikanische Regierung präsentierten schließlich auf dem Höhepunkt ihrer Propagandakampagne Geheimdienstdossiers, die Beweise dafür darstellen sollten und die man in Bild- und Textform öffentlich zeigte. Die Multimediashow mit Satellitenaufnahmen, Fotos und Konstruktionszeichnungen wurde vom US-Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat präsentiert und alle Medien berichteten weltweit darüber zur besten Sendezeit. Es war der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer, der daraufhin seinen Unglauben äußerte: „I am not convinced.“

Internationale Reaktionen

Diesmal zeigten die internationalen Reaktionen mehr Skepsis. Während die USA ein militärisches Eingreifen forderten, zeigte sich Europa in dieser Frage tief gespalten: Staaten wie Großbritannien, Spanien, Italien oder Polen befürworteten einen Krieg, Deutschland, Frankreich und Russland plädierten für eine friedliche Lösung des Konflikts. Gerade die deutsche Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer hatte sich schon früh gegen eine Ausweitung des von den USA nach dem 11. September begonnenen „Kriegs gegen den Terror“ auf den Irak ausgesprochen. Die Erinnerung an die Propagandalügen des 2. Golfkriegs waren noch wach, das Vertrauen in die UN-Waffeninspekteure groß, ebenso die Skepsis gegenüber den Zielen des US-Präsidenten. Die Bundesregierung setzte sich daher für eine Entwaffnung des Irak auf friedlichem Weg ein. Die Oppositionsführerin Angela Merkel warf ihr dagegen vor, auf dem „Irrweg“ zu sein. Mit ihrer Ankündigung, auf keinen Fall eine Resolution im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen, habe sie den Krieg „wahrscheinlicher gemacht“ und das Bündnis mit den USA in Frage gestellt.

Weltweite Anti-Kriegsdemonstrationen

Die Kritik an den Kriegsvorbereitungen der USA und Großbritanniens fand ein breites Echo in der Bevölkerung Westeuropas und trug dazu bei, die größte Antikriegsbewegung seit dem US-Krieg in Vietnam hervorzubringen. Am 15. Februar 2003 gingen Millionen von Menschen auf die Straße, um den drohenden Krieg gegen den Irak zu verhindern. In Rom protestierten rund drei Millionen, in Madrid rund 1,5 Millionen. Es wird geschätzt, dass an den weltweit 3.000 Anti-Kriegs-Protesten an diesem Tag rund 36 Millionen Menschen teilnahmen. Auch in Berlin protestierten Hunderttausende – es war eine der größten Friedensdemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik.

„Der Krieg gegen den Irak hat die Welt und die Weltgeschichte gewaltig verändert – zum Schlechten“

Doch der Krieg im Irak konnte nicht gestoppt werden. Die „Operation Iraqi Freedom“ endet in einem blutigen Besatzungskrieg. Zwar wurde der Diktator Saddam Hussein gestürzt, jedoch schuf der Krieg ein grauenerregendes Umfeld der Unsicherheit und Gewalt (s. die Folterhölle von Abu Ghraib), zerstörte weitgehend die Infrastruktur des Landes, führte zu einer katastrophalen Massenerwerbslosigkeit (die nach der Invasion einen inoffiziellen Höchststand von 60 Prozent erreichte) und zu einer humanitären Krise. Heute haben nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup vier von zehn Irakern Schwierigkeiten, sich Lebensmittel zu leisten.

Die schlimmste Folge war jedoch das Entstehen von ISIS oder dem „Islamischen Staat“ aus freigelassenen Gefängnisinsassen und Leuten aus dem aufgelösten Militär- und Sicherheitsapparat. Ohne den Irakkrieg hätte es die islamistischen Anschläge in Madrid, Paris, Berlin u.a. Orten nicht gegeben und vielleicht auch nicht den brutalen Bürgerkrieg in Syrien. „Darüber hinaus hätten ohne ISIS und den Versuch, ein neues «Kalifat» zu errichten, ISIS-Sympathisanten auf der ganzen Welt keine asymmetrische Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung der am Stellvertreterkrieg in Syrien beteiligten Länder geführt. Ohne solche Angriffe und ohne den Massenexodus von Millionen von Vertriebenen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan wäre der Aufstieg von rechtsautoritärem Nationalismus und antimuslimisch-rassistischen Kräften in Europa und Nordamerika nicht so leicht möglich gewesen, wie er dann war und heute ist. Mit anderen Worten: Der Krieg gegen den Irak hat die Welt und die Weltgeschichte gewaltig verändert – zum Schlechten.“ (Ingar Solty: Der Krieg im Irak hat die Welt verändert – zum Schlechten. Rosa-Luxemburg-Stiftung, 20.3.2023. Ingar Solty ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik.)

Kommentar: Könnte man nicht einen Vergleich anstellen zwischen dem US-geführte Angriffskrieg gegen den Irak und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Beide waren bzw. sind völkerrechtswidrig, stellen eine verbrecherische Aggression gegen einen souveränen Staat dar, beide werden begleitet von Kriegsverbrechen, beide beruhen auf einer Propagandageschichte als Vorwand, beiden liegen im Kern geopolitische Motive zugrunde. Warum sind unsere Leitmedien und Politiker dann so einseitig in der Bewertung und Verurteilung?

Wenn man rückblickend diese Propagandastrategie der USA als relativ erfolgreich bewerten muss, wird man als informierter Leser befürchten, was wohl mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz an Fake-Beweisen für angebliche Angriffsabsichten bestimmter Staaten produziert werden könnte, besonders unter der Prämisse einer präemptiven Strategie, die sich lediglich auf verifizierbare (?) Verdachtsgründe stützen will, wie sie von den USA entwickelt wurde.

Der 1. Fall: Der Afghanistan– Krieg (2001-2021)

Der 2. Fall: Der Tonkin-Zwischenfall im Vietnam – Krieg (1964)
Der 3. Fall: Die 12-Millionen-Dollar-Lüge, die einen Krieg auslöste oder: Wie man eine Region unter Kontrolle bringen kann.









1 Kommentar

  1. Bei dem Einpflegen des Artikels kam es zu einem Kopierfehler. Wer den Artiekl schon gelesen hat, bitte nocheinmal lesen.

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